Predigt vom Neujahrstag, 1. Januar 2021

Predigt zur Jahreslosung Lukas 6,36; Neujahrstag, 1. Januar 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Norbert Heinritz

Liebe Gemeinde,

Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. (Lk 6,36) So lautet die Jahreslosung für 2021. Eine wunderbare Wahl ist dieser Vers. Eine großartige Überschrift ist es für dieses nun beginnende neue Jahr, von dem wir alle noch nicht wissen, was es bringen wird. Hoffentlich wird es, was Corona anbelangt, ein viel besseres Jahr als 2020 werden. Im Radio habe ich gehört: Viele werden sich heute nicht ein gutes neues Jahr, sondern ein besseres neues Jahr wünschen.

Wenn Barmherzigkeit groß als Überschrift über diesem Jahr geschrieben steht, dann ist das die beste Voraussetzung für ein besseres neues Jahr.

Barmherzigkeit - ich liebe dieses Wort, auch wenn es schon etwas in die Jahre gekommen ist. In der Kirche und in den Gottesdiensten hört man es viel, doch im allgemeinen Sprachgebrauch taucht es leider nicht mehr sehr häufig auf. Es ist – würden die jungen Leute sagen – nicht mehr „in“. Als ich vor einiger Zeit Schüler im Religionsunterricht bat, vorgegebene Eigenschaften nach Wichtigkeit für ihr Leben zu sortieren, da habe ich auch Barmherzigkeit mit angegeben. Die nüchterne Erkenntnis: Barmherzigkeit rangierte auf dem letzten Platz. Oben standen Durchsetzungsfähigkeit und Selbstbewusstsein.

Ich fragte die Schüler, warum die Barmherzigkeit so schlecht abschneide. Es stellte sich heraus: Barmherzigkeit landete auf dem letzten Platz, nicht, weil die Sache den jungen Leuten nicht wichtig gewesen wäre, sondern weil sie mit dem Wort „Barmherzigkeit“ nichts mehr anfangen konnten. Was ist das also: Barmherzigkeit?

Zwei Begriffe stecken in diesem schönen alten Wort drin. Der eine fällt einem ja sofort auf. In der Mitte des Wortes „Barmherzigkeit“ ist sinnigerweise der Ort angegeben wird, an dem die Barm-herzig-keit lebt, nämlich im Herzen. Wer barmherzig ist, lässt sich etwas zu Herzen gehen, lässt sich berühren von der Not eines anderen.

Und damit wären wir auch schon beim zweiten Begriff, der im Wort „Barmherzigkeit“ steckt und der nicht sofort ins Auge springt. Es geht bei Barmherzigkeit ums Erbarmen. Und „erbarmen“ hat tatsächlich etwas mit arm sein zu tun. Wenn man im Herkunftswörterbuch nachsieht, erfährt man, dass althochdeutsch „armen“ „arm sein, arm werden“ bedeutet. Und „ab-armen“ oder eben „erbarmen“ hieße dann: die Armut ab- oder wegtun, also von Armut und von Not befreien.

Barmherzig sein heißt demnach, sich die Not des anderen zu Herzen gehen zu lassen und dann auch etwas gegen die Not des andern zu tun. Darum geht es in unserer Jahreslosung.

Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. – Jesus sagt nicht einfach: Seid barmherzig! Und das war’s. So wie es vielleicht Eltern ihren Kindern sagen würden: Seid anständig! Eine klare Ansage und dann fertig. Nein, Jesus sagt dazu: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und er meint damit natürlich unseren himmlischen Vater.

Jesus stellt also unsere Barmherzigkeit in den viel größeren Rahmen von Gottes Barmherzigkeit. Gott ist barmherzig, und weil eben Gott barmherzig ist, deshalb sei du es auch. Gott steht am Anfang von allem – nicht wir und unser Tun. Gott und seine Barmherzigkeit sind das Maß aller Dinge. An seiner Barmherzigkeit entscheidet sich alles.

Der himmlische Vater ist barmherzig. Oder mit anderen Worten bildlich gesprochen: Er lässt sich die Not von uns Menschen zu Herzen gehen und tut auch etwas dagegen.

Die vielleicht schönste und berührendste Geschichte von der Barmherzigkeit des Vaters erzählt Jesus selbst. Wir finden sie auch im Lukasevangelium ein paar Kapitel weiter. Es ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Besser sollte es wohl überschrieben werden: Das Gleichnis vom barmherzigen Vater. Jesus sagt: So wie der Vater den zurückkehrenden Sohn in die Arme schließt, ohne ihn sein Vergehen und Versagen anzurechnen, so wird dich dein himmlischer Vater in die Arme schließen, wenn du zu ihm kommst.

Gott ist ein barmherziger Gott. Im Grunde ist das jeden Sonntag die Botschaft. Es ist die Botschaft vom Anfang der Bibel bis zu ihrem Ende. Gott ist barmherzig. Er fühlt mit seinen Geschöpfen mit. Wir sind ihm nicht gleichgültig. Gott verhält sich zu uns Menschen nicht wie ein Kaufmann, der rechnet und schaut, was wir ihm zu bieten haben. Nein, Gott verhält sich wie ein guter Vater, der zwar über manchen Unsinn seiner Kinder den Kopf schüttelt, der auch verärgert und streng sein kann, der aber vor allem liebt und vergibt und viel mehr schenkt, als er bekommt. So ist Gott.

Wir sind mitten in der Weihnachtszeit. Wir feiern, dass Gott sogar sich selbst den Menschen verschenkt. So sehr nimmt sich Gott die Not des Menschen zu Herzen, dass er sich selbst arm macht in einem Kind in einem Kuhstall in einer Krippe liegend.

Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Weil ihr von Gott Barmherzigkeit erfahrt, deshalb seid auch ihr barmherzig! Es ist wie mit Eltern und Kindern. Wenn ich als Kind Liebe und Zuneigung von meinen Eltern erfahre, werde ich mich leichter tun, Liebe und Zuneigung weiterzugeben. Wenn ich Barmherzigkeit erfahre, werde ich auch barmherzig sein können.

Also seid barmherzig! Auch zum ersten Teil unserer Jahreslosung fällt einem ja gleich eine Erzählung Jesu aus dem Lukasevangelium sein. Es ist die Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter. Wohl fast jeder kennt sie. Ein Mann wird überfallen und braucht Hilfe. Ein Priester und ein Tempeldiener gehen vorüber, doch der Samariter hilft. Wir lesen da: Der überfallene Mann jammerte ihn. Das heißt, die Not dieses Menschen berührte sein Herz und er hilft. Wie sehr lassen wir uns von der Not anderer berühren?

Ich erinnere mich noch ganz lebendig an eine Situation, die schon viele Jahre zurückliegt. Mein Sohn, der mittlerweile erwachsen ist, war damals etwa zehn Jahre alt. Wir waren einkaufen und sind durch die Nürnberger Fußgängerzone geschlendert. Wie immer sind wir dort auch auf Bettler gestoßen. Ich gestehe, mein Mitleid wird in solchen Situationen meist nur sehr bedingt angesprochen. Wie oft ist es nur Masche? Wie oft werden einem die wildesten Dinge vorgemacht? Und: Ist es wirklich Hilfe, einen Euro reinzuwerfen? Ich kenne richtig arme Leute, die sitzen aber nicht in der Fußgängerzone.

Mein Sohn freilich sagte zu mir: „Schau, der arme Mann. Und schau, die arme Frau.“ Er hat sich von ihrer Not anrühren lassen. Mich hat das betroffen gemacht. Die paar Cent, darum geht es eigentlich ja gar nicht. Die machen nichts aus. Ich habe meinem Sohn dann Münzen in die Hand gedrückt. Ich wollte sein Mitgefühl nicht enttäuschen. Wie wichtig ist es doch, sich die Not anderer zu Herzen gehen zu lassen.

Wir Menschen haben die großartige Fähigkeit, mitzufühlen. Das kann man lernen und kultivieren, oder man kann auch abstumpfen und kalt werden. Cool sein halt. Doch das ist keine Auszeichnung, das ist Verarmung.

Leider gibt es so viel, was einem ein mitfühlendes Herz verstellen kann. Stress und Hektik können es sein, auch kühle Berechnung und Überlegung. Es können auch Enttäuschungen und Verletzungen sein. Um sich selber zu schützen, verschließt man sein Herz und lässt nichts mehr an sich ran. Hilfreich ist es dann, selber Mitgefühl zu erleben, um wieder mitfühlend zu werden, eben selber Barmherzigkeit zu erfahren, um barmherzig zu werden. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.

Im Übrigen ist es wichtig, nicht nur mit anderen barmherzig zu sein, sondern auch mit sich selber. Und das ist oftmals die viel schwerere Übung. Wie leicht wird man hart zu sich selber.

Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.

Diese Jahreslosung wurde schon lang vor Corona festgelegt. Aber gerade in unseren Tagen ist es ein passendes Wort. Ich habe mich im vergangenen Jahr über so viel Hilfsbereitschaft und Einsatz gefreut. Ich habe aber auch erlebt, wie wenig manchen die Not der Menschen in Kliniken und Pflegeheimen berührt hat oder umgekehrt, wie unbarmherzig über die Zweifler und Skeptiker oder auch über Politiker geurteilt wurde.

Wie wunderbar ist da unsere Jahreslosung 2021. Sie lädt uns ein, in diesem Jahr unser Augenmerk auf die Barmherzigkeit zu richten, auf die Barmherzigkeit unseres himmlischen Vaters und auf die Barmherzigkeit, wie wir einander begegnen. Möge Gott dieses Jahr mit Barmherzigkeit segnen. Amen. 

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