Predigt vom 4. Advent, 19. Dezember 2021

Predigt zu Lukas 1, 26-38; 4. Advent, 19. Dezember 2022, 10.00 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrerin i.R. Karin Lefèvre

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Gemeinde,

wie hätten Sie reagiert, wenn ich Sie heute anders angesprochen hätte: Zum Beispiel mit „Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Gäste unserer Gemeinde …“ Oder, um in ein anderes Extrem zu verfallen, mit: „Ein fröhliches morgendliches Hallöchen, alle miteinander!“ – das wäre wohl noch schlimmer gewesen! Das passt einfach nicht hierher auf die Kanzel.

Die korrekte Anrede, sie ist wichtig. Sie ist der Spiegel einer Kultur. Kinder wachsen da von Anfang an hinein und lernen bei uns: Gleichaltrige darf ich duzen, aber Erwachsene, wenn es nicht gerade Freunde der Familie oder Verwandte sind, werden gesiezt. Es erleichtert das soziale Miteinander, wenn wir uns da sicher fühlen, und es verursacht ziemlichen Stress, wenn wir es nicht sind. Darum nun ein kleines Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, auf dem Nachhauseweg tritt ein Engel zu Ihnen. Nicht irgendeiner, sondern der ranghöchste aller Engel, und spricht Sie an. Mit welchen Worten wird er Sie anreden?

Ich habe dieses kleine Experiment selbstverständlich auch gemacht. Und natürlich hat mich der Engel mit meinem Vornamen angesprochen. Ungefähr so: „Hallo Karin, es gibt etwas, worüber ich mit dir reden möchte. Kein Stress! Reg dich nicht auf. Hör einfach nur zu. Wenn du hinterher Fragen hast, ist das kein Problem. Also ….“

Ja, so ungefähr stelle ich mir das vor. Waren Ihre Gedanken ähnlich? Oder war bei Ihnen der Engel förmlicher? Würden Sie sich aufregen und müssten beruhigt werden? Bei mir wäre das sicherlich der Fall. Mich hat schließlich noch nie ein Engel persönlich angesprochen. Jedenfalls keiner, der sich als Engel „geoutet“ hat. Und ich kenne auch keinen Menschen persönlich, dem so etwas schon einmal widerfahren ist. Wenn ich ehrlich bin, dann kenne ich ernstzunehmende und eindeutige Engelgeschichten nur aus der Bibel. Eine der bekanntesten werde ich gleich vorlesen. Sie ist unser heutiger Predigttext. Ich lese aus dem Evangelium nach Lukas im 1. Kapitel:

26 Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott in eine galiläische Stadt namens Nazareth gesandt, 27 zu einer Jungfrau, die mit einem Mann namens Joseph verlobt war, der aus dem Hause Davids stammte, und der Name der Jungfrau war Maria. 28 Und er trat bei ihr ein und sprach: „Sei gegrüßt, Begnadete, der Herr ist mir dir!“29 Sie aber geriet aufgrund der Anrede in Bestürzung und überlegte sich, was das wohl für ein Gruß sein könnte. 30 Und der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast bei Gott Gnade gefunden. 31 Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du wirst ihm den Namen Jesus geben. 32 Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakobs herrschen bis in Ewigkeit, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“ 34 Maria aber sprach zum Engel: „Wie soll das geschehen, da ich noch mit keinem Mann geschlafen habe?“ 35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: „Heiliger Geist wird auf dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deswegen wird auch das Kind heilig genannt werden, Sohn Gottes. 36 Und siehe: Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat einen Sohn empfangen – in ihrem Alter. Sie, die als unfruchtbar galt, ist im sechsten Monat schwanger. 37 Denn kein Wort, das von Gott kommt, wird unwirksam bleiben. 38 Maria aber sprach: „Siehe, ich diene dem Herrn; mir geschehe nach deinem Wort.“ Und der Engel verließ sie.

Den meisten von uns sind diese Worte vertraut. Genau da liegt aber das Problem. Was uns vertraut ist, das haben wir uns zu eigen gemacht, haben die Ecken und Kanten abgeschliffen, damit alles in unser persönliches Weltbild hineinpasst und möglichst nichts mehr stört.

Genau deshalb möchte ich heute noch einmal genauer hinschauen und hinhören. Schon der erste Halbsatz hat es in sich: 26 Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott in eine galiläische Stadt namens Nazareth gesandt.

Gabriel, er wird zu den Erzengeln gezählt, steht also im Rang der Engel ganz oben, ist oberster Chef aller Engel. Übersetzt lautet sein Name: Meine Stärke ist Gott! Aus dem Danielbuch wissen wir, dass er wie ein Mann aussieht, mehr nicht. Dort erklärt er Daniel dessen Visionen. Daraufhin sinkt Daniel ohnmächtig zu Boden.

In den berühmten Qumranrollen wird von Gabriel in der sog. Kriegsrolle erzählt, dass er zusammen mit den Söhnen des Lichts gegen die Söhne der Finsternis kämpft.

Im Neuen Testament kennen wir ihn nur von Lukas, wo er die Geburten Johannes des Täufers und Jesu ankündigt.

Wo er auftaucht, geht es also um äußerst wichtige Dinge. Doch warum wird der Engelfürst dann ausgerechnet nach Galiläa geschickt, das als heidnisches Gebiet einen sehr schlechten Ruf hatte? Und Nazareth war keine Stadt, sondern ein winziges Kaff, das nur aus ein paar Häusern bestand. (Es dürfte noch armseliger gewesen sein als Neuendettelsau es war, als Wilhelm Löhe hierher kam und hier nicht seinen Hund begraben wissen wollte.)

Für die jüdische Erwartung des kommenden Messias hat es nicht die geringste Rolle gespielt. „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ hatte Nathanael anfangs sein Misstrauen Jesus gegenüber begründet.

Und doch wird Gabriel genau dorthin gesandt, um der jungen Maria, die mit einem gewissen Joseph verlobt ist, eine wichtige Botschaft zu überbringen. Eine unbedeutende junge Frau an einem unbedeutenden Ort wird dabei nicht etwa mit ihrem Vornamen begrüßt, sondern mit: Sei gegrüßt, Begnadete, der Herr ist mir dir. Dass Maria darüber bestürzt ist, leuchtet ein.

Mozart oder Bach waren ohne Zweifel begnadete Musiker, Gabriele Münter war eine begnadete Malerin und Johann Wolfang von Goethe ein begnadeter Dichter. Und zur Zeit der biblischen Maria nannte sich Kaiser Augustus begnadet. Ausgerechnet da spricht Gabriel eine junge Frau aus ganz einfachen Verhältnissen mit „Begnadete“ an! Das verstört Maria noch mehr als die Tatsache, dass einer der ranghöchsten Engel vor ihr steht. Der teilt ihr mit, dass sie schwanger werden und einen Sohn bekommen wird.

Das ist für sich betrachtet nun keine besondere Ansage. Maria war schließlich verlobt und stand damit wohl kurz vor ihrer Hochzeit. Da konnte jeder davon ausgehen, dass in absehbarer Zeit ein Kind unterwegs sein würde. Doch was Gabriel über den zu erwartenden Nachwuchs sagt, das ist allerdings mehr als ungewöhnlich: Dieser wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakobs herrschen bis in Ewigkeit und seine Herrschaft wird kein Ende haben.

Das passt nun gar nicht zu der völlig unbedeutenden jungen Maria, die mit dem einfachen Handwerker Joseph verlobt ist. Auf dem Thron Davids herrschen bis in alle Ewigkeit – soll ein Sohn von ihr? Welche erfahrene und gestandene Frau wäre mit einer solchen Ansage zurechtgekommen? (Werden nicht schon bald selbst hochgelehrte Männer aus fernen Ländern den neugeborenen König im Herrscherhaus von Jerusalem suchen?)

Und so tut Maria, was wir alle machen, wenn wir heillos überfordert sind: Sie greift auf das zurück, was ihr wenigstens ein klein wenig vertraut ist und beharrt darauf, dass sie gar nicht schwanger sein könne. Und Gabriel, der Engelfürst, der gerade noch bei Zacharias unerbittlich streng gewesen ist, lässt sich darauf ein. Geradezu liebevoll erzählt er Maria, dass Gott bei ihrer Verwandten Elisabeth die Macht der Unfruchtbarkeit bezwungen hat und nun dabei ist, den in die Welt zu senden, der bis in Ewigkeit herrschen und damit sogar die Macht des Todes überwinden wird.

Das ist zu viel für unseren menschlichen Verstand. Noch immer! Das ist mehr als eine Nummer zu groß für uns. Darum erinnert Gabriel Maria an etwas, das ihr vertraut ist, an das erste Wort Gottes: Es werde Licht! Dieses Wort hatte die Macht, die Entwicklung der Welt mit allen Universen in Gang zu setzen. Und nun hat Gott wieder gesprochen und den Messias angekündigt. Ein genauso wirkmächtiges Wort. Es setzt eine neue Entwicklung in Gang.

Damals, als Gabriel dem Daniel die Visionen erklärt hatte, war dieser in Ohnmacht gefallen. Maria dagegen antwortet: Siehe, ich diene dem Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort. Eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen und aus einem unbedeutenden kleinen Ort zeigt uns, was es heißt, wirklich aus tiefstem Herzen auf Gott und auf die Wirkung seines Wortes zu vertrauen.

Heute wissen wir, was dieser Dienst Maria in den folgenden Jahren kosten wird. Immer wieder wird sie dabei an ihre Grenzen stoßen. Sie wird ihren Sohn nicht verstehen und sein Leiden wird ihr schier unerträgliche Schmerzen zufügen.

Doch als sehr junge Frau stellt sich Maria in den Dienst Gottes. Vielleicht können das nur junge Menschen, sich so begeistert – von Gott begeistert – in den Dienst stellen zu lassen?!

Jetzt könnten wir einwenden: Aber Maria war ja auch begnadet! Das hebt sie heraus aus der Menge der Frauen um sie herum. Ein verführerischer Gedanke – den ich nicht zu teilen vermag. Denn Gottes Gnade gilt uns allen. Die Erinnerung an Gottes Gnade war heute, wie immer! – mein erstes Wort auf der Kanzel. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus ist mit uns. Wir alle sind Begnadete des Herrn. Es gibt keinen Ort und keinen Menschen, der dafür zu unbedeutend ist. Jede und jeder hier soll es sich sagen lassen: Du bist von Gott begnadet! Und dann nach dem Segen diese Zusage mitnehmen und darauf vertrauen: Ich bin von Gott begnadet! Dieses sein Wort soll in uns wirksam werden. Das ist das große Wunder, das Gott an uns tut und das für alle Ewigkeit gilt. Auch wenn unser Verstand es nicht fassen kann oder wir mit unseren Kräften und unserem Vertrauen am Ende sind. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus macht uns zu Begnadeten. Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was unsere Vernunft denken und sagen kann, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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