Predigt von Karfreitag, 2. April 2021

Predigt zu Jesaja 52, 13-15 und 53, 1-12; Karfreitag, 2. April 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Norbert Heinritz

Viertes Gottesknechtslied: Gott erhöht den leidenden Knecht
Jesaja 52,13-15; 53,1-12 (Übersetzung der Basisbibel)

52 13Seht her, mein Knecht wird Erfolg haben.

Er wird in die allerhöchste Stellung erhoben.

14Viele haben sich entsetzt von ihm abgewandt,

zur Unkenntlichkeit entstellt sah er aus.

Er hatte keine Ähnlichkeit mehr mit einem Menschen.

15Doch dann werden viele Völker über ihn staunen,

und Königen wird es die Sprache verschlagen.

Denn sie sehen, was ihnen keiner je erzählt hat.

Sie erleben, was sie noch nie gehört haben.

531Wer hätte geglaubt,

was uns zu Ohren gekommen ist?

Wer hätte für möglich gehalten, dass der Herr

an einem solchen Menschen seine Macht zeigt?

2Er wuchs vor seinen Augen auf wie ein Spross,

wie ein Trieb aus trockenem Boden.

Er hatte keine Gestalt, die schön anzusehen war.

Sein Anblick war keine Freude für uns.

3Er wurde von den Leuten verachtet und gemieden.

Schmerzen und Krankheit waren ihm wohl vertraut.

Er war einer, vor dem man das Gesicht verhüllt.

Alle haben ihn verachtet,

auch wir wollten nichts von ihm wissen.

4In Wahrheit hat er unsere Krankheiten getragen

und unsere Schmerzen auf sich genommen.

Wir aber hielten ihn für einen Ausgestoßenen,

der von Gott geschlagen und gedemütigt wird.

5Doch er wurde gequält, weil wir schuldig waren.

Er wurde misshandelt, weil wir uns verfehlt hatten.

Er ertrug die Schläge, damit wir Frieden haben.

Er wurde verwundet, damit wir geheilt werden.

6Wir hatten uns verirrt wie Schafe.

Jeder kümmerte sich nur um seinen eigenen Weg.

Aber der Herr lud all unsere Schuld auf ihn.

7Er wurde misshandelt, aber er nahm es hin.

Er sagte kein einziges Wort.

Er blieb stumm wie ein Lamm,

das man zum Schlachten bringt.

Wie ein Schaf, das geschoren wird,

nahm er alles hin und sagte kein einziges Wort.

8Er wurde verhaftet, vor Gericht gestellt

und zur Hinrichtung geführt.

Aber wen kümmert sein Schicksal?

Er wurde abgeschnitten vom Land der Lebenden.

Weil sein Volk schuldig war, traf ihn der Tod.

9Man begrub ihn bei den Verbrechern,

bei den Übeltätern fand er sein Grab.

Dabei hatte er keine Gewalttat begangen,

keine Lüge war ihm über die Lippen gekommen.

10Es war der Plan des Herrn,

ihn zu schlagen und leiden zu lassen.

Er setzte sein Leben für andere ein

und trug an ihrer Stelle die Schuld.

Darum wird er viele Nachkommen haben und lange leben.

Durch ihn führt der Herr seinen Plan zum Erfolg.

11Nachdem er so viel erduldet hat,

wird er sich wieder sattsehen am Licht.

Mein Knecht kennt meinen Willen.

Er ist gerecht und bringt vielen Gerechtigkeit.

Ihre Schuld nimmt er auf sich.

12Darum belohne ich ihn:

Mit vielen anderen gebe ich ihm Anteil an der Beute.

Mit zahlreichen Leuten wird er sie sich teilen.

Denn er hat sein Leben dem Tod preisgegeben

und ließ sich zu den Schuldigen zählen.

Er trug die Sünden von vielen Menschen

und trat für die Schuldigen ein.

Liebe Gemeinde,

Wer hätte geglaubt, was uns zu Ohren gekommen ist? Wer hätte für möglich gehalten, dass der Herr an einem solchen Menschen seine Macht zeigt? - So hören wir es von unserem heutigen Bibelwort. In diesem Worten hört man die Verwunderung und das Staunen über das, was dann im Folgenden von Gott und seinem Vorhaben berichtet wird. Wer hätte für möglich gehalten, dass der Herr an einem solchen Menschen seine Macht zeigt?

Fragen, Verwunderung, Staunen, das führt uns mitten hinein in das Geheimnis von Karfreitag. Ich habe in den Fragen des Bibelwortes auch meine Karfreitags-Fragen entdeckt: Wer hätte es für möglich gehalten, dass Gott gerade so zu uns Menschen kommt wie an Karfreitag, als leidender, geschundener, sterbender Mensch? Wer hätte geglaubt, dass Gottes Macht sich gerade in der Ohnmacht Jesu am Kreuz offenbart? Wie soll man das verstehen?

Unser Bibelwort steht im Alten Testament, im Buch des Propheten Jesaja. Ein halbes Jahrtausend bevor Jesus in Jerusalem gekreuzigt wurde, ist es aufgeschrieben worden. Ein Lied ist unser heutiger Bibelabschnitt. In der deutschen Übersetzung ist das nicht mehr recht nachzuvollziehen. Doch im Hebräischen ist es Poesie. Es ist das letzte von vier sogenannten Gottesknechtsliedern des Jesajabuchs. Der Beauftragte Gottes wird da besungen, der um seines Auftrags willen so schwer leiden muss.

Wer ist da gemeint? Ist es der Prophet selbst? Oder ist es gar das ganze Volk Israel? Oder ein anderer unbekannter Einzelner? Es bleibt im Alten Testament offen. Für die Christen nach Ostern war freilich klar: Auf den Gekreuzigten weisen die Gottesknechtslieder aus dem Jesajabuch.

Christus, der leidende Gottesknecht – für uns, zu unserem Heil. Daran denken wir heute an Karfreitag. Er, der eine, hat sich für uns geopfert, damit wir leben. Was sagt uns dazu heute unser Bibelwort?

Das erste: Die, die da staunend und verwundert fragen „Wer hätte geglaubt, was uns zu Ohren gekommen ist?“, wollen zunächst mit jemandem, der leidet, nichts zu tun haben. Sie wenden sich ab. Alle haben ihn verachtet, auch wir wollten nichts von ihm wissen.

Krankheit, Schmerzen, Unansehnlichkeit, Leiden – da schaut man lieber weg. Da sollen sich andere kümmern. „Ich kann das nicht!“, hört man dann sagen. Wie gerne werden die Augen vor dem Leid der andern verschlossen.

Mir hat er eine schwerkranke Frau, die ich besucht habe, gesagt: „In so einer Lage merkt man, was echte Freunde sind. Viele können nicht damit umgehen, dass es mir so schlecht geht. Nur die echten Freunde halten das auch aus.“

Ja, liebe Gemeinde, wir schieben das Leid der andern lieber weg. Wir schützen uns, lassen uns nicht berühren, haben Angst, mit hineingezogen zu werden in den Schmerz, in die Klage, in die Verzweiflung. Doch damit lassen wir dann die andern auch im Stich. Wie schnell werden Leidende abgeschoben und ausgegrenzt, vergessen, allein gelassen. Was geht mich schon das Unglück des anderen an?

So kann man sich auch das Kreuz Jesu vom Leib halten. Besser wegsehen! Sich nur nicht mit hineinziehen lassen! Man könnte ja plötzlich selbst betroffen sein. Was geht mich dieser Mann am Kreuz an?

Er war einer, vor dem man das Gesicht verhüllt. Alle haben ihn verachtet, auch wir wollten nichts von ihm wissen, heißt es in unserem Bibelabschnitt. Wie oft geschieht das bis zum heutigen Tag? - Und doch bewegt sich etwas bei denen, die in unserem Bibelwort so reden. Das ist das zweite, was mir auffällt und mich verwundert, weil dahinter wohl wirklich ein Wunder steckt: Aus Distanzierten werden nämlich Beteiligte. Sie merken, das Leiden des anderen geht mich etwas an: In Wahrheit hat er unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich genommen.

In Wahrheit! Offensichtlich war es falsch, so zu tun, als wenn man nichts damit zu tun hätte. Nein, jeder hängt mit drin im Leid des anderen, spätestens dann, wenn mir klar wird: Es hätte auch mich treffen können. Das Motto „selber Schuld“ stimmt oft nicht. Oft tragen andere das, was ich genauso zu tragen hätte - stellvertretend für mich also. Da wird der Kollege entlassen, der fleißig und gewissenhaft seine Arbeit geleistet hat, nur, weil er noch nicht so lange im Betrieb ist wie ich. Stellvertretendes Leid. - Rund 2700 Verkehrstote zählten wir im vergangenen Jahr. Sie werden Opfer, weil uns allen unsere Mobilität so wichtig ist. Die meisten können nichts dazu. Stellvertretendes Leid. - Und dann die diejenigen, die sich im vergangenen Jahr bei Pflege von Corona-Patienten selber infizierten und starben. Stellvertretendes Leid.

Oft höre ich: Warum? Warum trifft es gerade mich? Nie wird die Frage andersherum gestellt: Warum trifft es eigentlich mich nicht, sondern einen andern?

Heute, am Karfreitag, werden wir jedenfalls daran erinnert: Das Leiden Jesu damals vor nun fast 2000 Jahren hat mit uns heute zu tun. Wir können es uns nicht vom Leibe halten. Wir stecken mitten drin in diesem leidvollen Geschehen am Kreuz. Wir sind nicht einfach Distanzierte, wir sind Beteiligte.

Und unvermittelt finden wir uns als Täter wieder. Auch unsere Schuld ist es, die Jesus ans Kreuz nagelt. Mit jedem Menschen, der wegen uns leidet, kreuzigen wir Jesus. Mit jedem, der auf dieser Welt verhungert, wo wir doch genug für alle hätten, kreuzigen wir ihn. Mit jedem, der von uns übersehen, ausgegrenzt, fertiggemacht, gemobbt wird, kreuzigen wir ihn. Das ist die bittere Botschaft des Kreuzes. Wir kreuzigen Jesus heute noch. Wenn wir ans Kreuz sehen, sehen wir unsere eigene Schuld.

Das dritte und bedeutsamste in unserem Bibelwort führt uns nun ins Geheimnis von Karfreitag: Der einsame leidende Gottesknecht trägt alles zur Rettung der anderen. Das geht dem Propheten hier auf. Bewundernd und dankbar erkennt er: Da trägt einer meine Last, das, was ich eigentlich selbst hätte tragen müssen. Da läuft einer nicht einfach davon, wie ich es gerne tun würde. Da stellt sich einer dem Leid der Welt. Da hält jemand aus, geht mit, erträgt, nimmt ab.

Darin liegt die Kraft der Stellvertretung. Wir können einander die Last tragen und abnehmen. Ich meine das zunächst ganz zwischenmenschlich. Wir können es einander leichter machen, wenn wir einander tragen, stützen, helfen. So wie es Paulus gesagt hat: Einer trage des anderen Last (Gal 6,2). Das können wir in den Grenzen unseres menschlichen Daseins, und das ist gut so.

Doch an Karfreitag blicken wir weit darüber hinaus. Wir können heute bewundernd und staunend sehen: Am Kreuz trägt Gott selbst meine ganze Last. In dem Gekreuzigten geht Gott so weit, dass er sich vollkommen auf die Seite der Leidtragenden stellt. Er leidet unseren Schmerz, unsere Krankheit, er trägt unsere Schuld und stirbt unseren Tod. Das ist das Geheimnis von Karfreitag: Am Kreuz stirbt Gott selbst für uns.

Und unvermittelt finden wir uns in der Rolle des Geretteten wieder. Das ist die tröstliche Botschaft von Karfreitag. Gott nimmt uns unsere Schuld ab. Er trägt unseren Tod. Das macht es uns leichter, selbst zu tragen die eigenen größeren und kleineren Lasten des Lebens, auch die Lasten des anderen.

An Karfreitag also diese staunende Frage: Wer hätte für möglich gehalten, dass der Herr an einem solchen Menschen seine Macht zeigt? An einem Geschundenen, Bespienen und Gekreuzigten. Es war der Weg, den Gott gehen wollte. Im Kreuz kommt er uns so nahe wie sonst nirgends. Zu unserer Rettung.

Amen. 

Mehr lesen aus dem Magazin zum Thema Spiritualität

Diesen Artikel teilen

Haben Sie Fragen? Wir helfen Ihnen gerne.

Wenn Sie sich näher über unser Angebot informieren möchten, können Sie gerne Ihre
bevorzugte Kontaktmöglichkeit hinterlassen.

Oder rufen Sie uns an unter unserer Service-Nummer:

+49 180 2823456 (6 Cent pro Gespräch)