Predigt vom 11. Sonntag nach Trinitatis, 15. August 2021

Predigt zu Epheser 2, 4-10; 11. Sonntag nach Trinitatis, 15. August 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

So steht geschrieben im Brief an die Gemeinde in Ephesus im 2. Kapitel:

Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Der Herr segne sein Wort an uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

ABER – liebe Gemeinde – ABER! - Mit diesem kleinen Wörtchen konnte ich meine Mutter zur Weißglut bringen. Trotzig stand ich da und wollte nicht wahrhaben, was mir meine Mutter ans Herz legen wollte. Das kleine Wörtchen „aber“ kann die Wirkung und Atmosphäre in einem Gespräch ganz schnell kaputt machen. Ein Satz wie „Ich bin völlig Ihrer Meinung, aber…“ heißt im Klartext: „Ich bin anderer Meinung!“. Das alltägliche Wort „aber“ kann vieles zerstören, ungenießbar machen, alles in Frage stellen.

Es gibt nicht wenige, die votieren dafür, dieses Wörtchen zu streichen. Meine Mutter gehörte auch dazu: „Aber: Das möchte ich von dir nicht mehr hören!“

Das Wörtchen „aber“ hat es schwer. In unserem heutigen Predigttext steht es prominent an erster Stelle, und es wird auch noch an Gott „gebunden“. „Aber Gott“ – zwei Worte nur, und vor meinem inneren Auge schraubt sich ein erhobener Zeigefinger von veritabler Länge in die Höhe.

„Aber Gott“ – das klingt nach Widerspruch, nach Einspruch, und dieser richtet sich heute seltener an uns, als an Gott selbst. „Gott, aber …“ - das sind Sätze in meiner Seele und oft auch in meinen Ohren.

Seit Jahren müssen wir hierzulande mit schlechten Nachrichten leben. Gott hat es bei uns nicht leicht: Wer tritt heute noch als offener, liberaler und moderner Mensch für den Glauben ein? „Deutschland nimmt Abschied von Gott“ oder „Kirchenaustritte auf historischem Höchststand“. So haben mehr als eine halbe Million Christen im vergangenen Jahr bei uns die großen Amtskirchen verlassen – mehr als je zuvor. Auch jenseits der nüchternen Empirie ist überall spürbar: Der christliche Glaube ist aus dem Mittelpunkt der Gesellschaft weggerückt, und das liegt nicht allein an den vielen Missbrauchsfällen und anderen Verfehlungen der Würdenträger.

Aber fehlt damit auch automatisch Gott? Und was fehlt, wenn Gott fehlt? Und, so könnte man fragen, wer kümmert sich dann um einst so hoffnungsvolle Botschaften wie Nächstenliebe, wer hilft bei Antworten auf die letzten Fragen, wer spendet Trost und gibt Hoffnung? Warum können die Glaubensgemeinschaften nur so wenige dafür mobilisieren?

Ein „Aber“ stand schon immer über unserem heutigen Predigttext. Über Jahrhunderte galt er nicht als zentral genug. Erst vor etwa 40 Jahren wurde unser Abschnitt durch die damalige Perikopenrevision in den Kanon der gottesdienstlichen Lesungen aufgenommen. Das „Aber“ unserer Mütter und Väter im Glauben hatte sicher etwas mit der ungeheuren Aussage unseres Predigttextes zu tun.

Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus. - Nicht irgendwann, in ferner Zukunft, sondern er hat uns jetzt schon – heute (!) - mit auferweckt und eingesetzt im Himmel. Kein Konjunktiv, keine Möglichkeitsform, die hier Platz ließe für Zweifel, kein besorgtes Fragen: Aber haben wir auch unsere Herzen wirklich beim Herrn? Sondern klare, präzise, eindeutige Antwort: Wir haben sie beim Herrn. Du bist erlöst und befreit.

Kann ich das hören? Hören ohne „Aber“?

Oft wurden diese Aussagen als Blasphemie verworfen. Nicht nur früher. Auch heute. Allein mit einer generellen Säkularisierung, der Verweltlichung des Lebens in einer von Wissenschaft und Technik geprägten Zeit, lässt sich das nicht begründen. Denn das Bedürfnis nach irgendeiner Form von Spiritualität scheint groß. Im Internet boomt eine neoliberale Esoterikszene mit „Erwecke die Göttin“-Kursen oder Meditations-Apps. Und die erfolgreichste Serie der letzten Jahre, „Dark“ auf Netflix, ist eine Mischung aus Glauben, Metaphysik und Wissenschaft. Die Suche nach Sinn und Erlösung ist also allgegenwärtig, aber scheint nur da insbesondere für Jüngere interessant, wo die Alternativen leicht konsumierbar sind. Kirche, Synagoge oder Moschee wirken da vergleichsweise unattraktiv. Welcher modern denkende, zumal jüngere Mensch würde da gar noch ein religiöses Amt übernehmen wollen? Oder liegt diese Entwicklung nur an der falschen Interpretation und Vermittlung der alten Wahrheiten? Braucht es einfach eine neue Generation von Sinnfluencern?

Diese Fragen sind auch dem Epheserbrief nicht fremd. Dieser Brief entstand in den Generationen danach. Nicht zur Zeit der großen Apostel. Nicht mit den kraftvollen Anfängen verbunden. Nein: später. Als die Gemeinden zur Ruhe kamen und die erste Zeit des kraftvollen Feuers zu Ende ging. Als Vermächtnis ist er geschrieben. Und das große Vermächtnis des Glaubens möchte er weitergeben. Er gibt der Gemeinde für die apostellose Zeit Hinweise, wie sie ohne einen erneuten Austausch mit dem Apostel weiter aus dem Glauben und an die Auferstehung Jesu leben kann.

Anders als in den paulinischen Briefen lassen sich keine innergemeindlichen Konflikte oder Kontroversen ausmachen. Kein polemisches Wort. Nur der Glaube: Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

So fern die Welt des Schreibers unseres Epheserbriefes sein mag, so nah empfinde ich sie doch. Es mag zwar das Weltbild verändert sein: Gott und Himmel – als das verfängt nicht mehr. ABER die Sehnsucht nach Sicherheit und Absicherung bleibt: Die Märkte, die Gesundheit und die Kontrolle über das eigene Leben und das der andern sind an die Stelle des Himmels getreten. Die Teilhabe an ihnen verspricht heute Heil und den Zugang zum höchsten Gegenwärtigen Gut: zur Sicherheit.

Aber gibt es diese? Gibt es absolute Sicherheit? Taugen die Götter unserer Zeit wirklich? Rente – Gesundheit – Impfung – Strategie? Oder werde ich nicht permanent enttäuscht?

Mit Gott beginnt unser Predigttest. Dieser nachdrückliche Neuansatz möchte direkt auf den Glauben zielen, der stets neu beginnen soll. Gott hat an uns gehandelt und möchte auch heute immer wieder an uns handeln. Ohne Voraussetzung, einfach so. Gott möchte uns retten. Ich muss dafür nichts leisten, keine To-Do-Listen abarbeiten, nichts planen und keine Meilensteine erreichen. Ich muss mich nicht selbst optimieren. Ich darf auf Sicherheiten verzichten.

ABER – liebe Gemeinde – ABER! Auf dieses Aber möchte ich nicht verzichten. Nicht in meinem Leben. Nicht in meinem Glauben. Aber Gott: Das ist der permanente Widerspruch in meinem Leben. Ein Leben, das ständig brüchig und voller Aufregungen ist. Dieses Aber brauche ich. Denn ich möchte nicht, dass dieses Leben und diese Welt das letzte Wort haben.

Nein, ich möchte darauf vertrauen: Er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Bienert, David C.: Bibelkunde des Neuen Testaments, Gütersloh 2010.

Falkenroth, Arnold; Held, Heinz Joachim (Hg.): Hören und Fragen. Eine Predigthilfe. Band 2. Erste Epistelreihe, Neukirchen-Vluyn 1979.

Fechtner, Kristian (Hg.): Denkskizzen zu den Predigttexten der sechs Perikopenreihen. Band 3, Stuttgart 2020.

Hübner, Hans: An Philemon. An die Kolosser. An die Epheser (HNT 12), Tübingen 1997.

Wiefel-Jenner, Katharina: Singen gegen die Dämonen. Eph. 2, 4-10. 7.8.2016. 11. Sonntag nach Trinitatis, in: Göttinger Predigtmeditationen 70 (2016), 380-385.

Weber, Silke; Virgili, Maximilian: Suche nach Sinn und Erlösung. Das sind Gottes neue Sinnfluencer, in FAZ vom 26.11.2020. 

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