Predigt vom 12. Sonntag nach Trinitatis, 30. August 2020

Predigt zu 1. Korinther 3, 9-17; 12. Sonntag nach Trinitatis, 30. August 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

So steht geschrieben im 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 3. Kapitel:

9 Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. 10 Nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe ich den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. 11 Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. 12 Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, 13 so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. 14 Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. 15 Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch. 16 Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? 17 Wenn jemand den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören, denn der Tempel Gottes ist heilig – der seid ihr.

Der Herr segne sein Wort an uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

die Kirchen meiner Kindheit waren nicht sonderlich schön anzuschauen. Alt und morsch. Vermodert und kalt. So waren sie. Wenn wir das Krippenspiel einübten, machten wir es uns zur Gewohnheit, zwei Thermometer mitzubringen. So konnten wir recht einfach sagen: Es sind doch immerhin zehn Grad. Fünf hier und fünf da. 44 Jahre Sowjetische Besatzungszone und DDR hatten allerorten ihre tiefen Spuren hinterlassen. Durch das Dach regnete es rein, und die Buntglasfenster waren eingefallen.

Geliebt habe ich meine Dorfkirche und die Kirchen in meiner heimatlichen Umgebung dennoch. Eines hatte sich unter dem morbiden Scharm des Verfalls nämlich bewahrt: Die Spuren der Geschichte. Hier war eigentlich seit 1933 nichts mehr geschehen, und so konnte ich Glaubenszeugnisse der Generationen vor mir entdecken. Alte Gemälde an den Wänden. Schränke voller Papiere. Leuchter, Schriftzeichen an den Emporen, Bilder an den Decken und Figuren an den Säulen.

Hier waltete kein Zeitgeist, sondern die Geschichte. Keine veränderten Raumvorstellungen. Keine neuen Nutzungskonzepte. Keine frischen Farben. Kein Ab- und Umbau. Einfach nur der Glaube, der in den Jahrzehnten und Jahrhunderten seine Gestalt gefunden hatte. Glauben durch Generationen weitergegeben, an der Kirche in Stein und Holz geformt.

Die Kirchen meiner Kindheit waren voll, bunt, dicht und gewachsen. Ganz ähnlich wie unser heutiger Predigttext. Voller Bilder: Die Baustelle, das Ackerfeld, ein herunterbrennendes Haus, die Menschen und Mitarbeiter, das Feuer, die Edelsteine und Diamanten, das Holz, Heu und Stroh sowie der Tempel Gottes. Unser Text wie eine große, alte Kirche. Gewachsen und voller Glaubensbilder. Glaubensbilder, die noch nicht wegrenoviert wurden. Hier ist noch kein Bild abgehängt, nur weil es dem gegenwärtigen Glauben nicht passt.

Ein Bild unseres Predigttextes hat im Laufe der Christentumsgeschichte Bilder von enormer Sogkraft hervorgebracht. Es ist das Bild vom Feuer und vom Verbrennen: 12 Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, 13 so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. 14 Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. 15 Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.

Das Feuer und das Verbrennen wurden zu einem Klassiker der Bildsprache, und in vielen Kirchen wurde unsere Bibelstelle in gewaltigen Farben ausgemalt. Ein wenig beängstigt haben mich diese Bilder schon. Die Gesichter. Die Flammen. Die Angst. Die Kirche hat aus diesen Bildern dann die Lehre vom Fegefeuer entwickelt, amtlich und offiziell gemacht. Das Fegefeuer soll die Menschen von den bei ihrem Tod noch ungesühnten, lässlichen Sünden reinigen. Daraus wurde letztlich ein richtiger Kassenschlager. Die Buße und Beichte wurde zum zentralen Element kirchlicher Praxis. Durch diese Leistungen konnte man die Strafe des Fegefeuers schon während des irdischen Lebens abbüßen oder zumindest mildern. Das funktionierte gut. Der sogenannte Ablass war geboren. Mit der Angst ließ sich dann auch gut Geld verdienen. Die Kirche fand sich mit Paulus im Recht.

Welchen enormen Schaden diese Bilder und diese Praxis angerichtet haben, lässt sich kaum ausmalen. „Ich selbst, Jahrgang 1938 – so schreibt diese Woche eine Leserin in ihrem Leserbrief-, habe vor über 70 Jahren auf Fehmarn geistlichen Missbrauch erlebt, als mir im […] Bibelunterricht genau solche Höllenbilder nahgebracht wurden, so dass mich Angst-, Schuld-, Scham- und Mindergefühle plagten.“ Wie furchtbar. Das alles führte letztlich dazu, dass die Reformatoren diese Lehre verwarfen. Dieses Bild wurde wirklich entfernt. Zu viele innere Widersprüche durchzieht das Bild vom Fegefeuer. Warum auch sollte ich die Leiden im Feuer erdulden, wenn ich dann doch gerettet würde? Sind solche Qualen eigentlich noch Qualen? Sind solche Qualen nicht letztlich harmlos? Führt nicht diese Vorstellung letztlich zu einer Freude an den Qualen? Da ich doch gerade in den Qualen Gottes Güte und Reinigung erfahre?

Die Reformatoren mit ihrer Liebe zur Heiligen Schrift fanden letztlich auch den Beleg bei Paulus als nicht nachvollziehbar. Die Lehre vom Fegfeuer lässt sich nicht aus dem neutestamentlichen Schriftzeugnis ableiten. Paulus behandelt in unserem Predigttext zunächst die Frage nach der Verantwortung des Apostels und seiner Mitarbeiter. Wie ein guter Baumeister habe er der ihm geschenkten Gnade entsprechend den Grund gelegt für die Gemeinde; ein anderer baut darauf auf. Doch möge jeder zusehen, wie und worauf er baut: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Es folgt eine Art von Bilderrede, welche besagt, dass am Tag des Gerichts das Werk eines jeden im Feuer offenbar und sichtbar werden wird, ob jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu oder Stroh. Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. Brennt es nieder, dann muss er den Verlust tragen. Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch.

Das Bild vom Feuer ist also kein Reinigungsvorgang, sondern ein Bild für die Scheidung des Tauglichen vom Untauglichen. Es geht hier nicht um eine Vorstufe auf dem Weg ins ewige Leben, sondern um das Gericht.

Dieses Bild scheint allerdings ebenso verschwunden zu sein, wie das vom Fegefeuer. Allenfalls von evangelikalen und fundamentalistischen Kreisen wird es nach wie vor bemüht. Oft gerät es dabei in die Nähe des Bildes vom Fegefeuer. Das ist falsch. Eine Folge ist, dass das Bild vom Gericht dann auch aus der Kirche entfernt wird. Das finde ich schade. Diese Renovierung geht mir zu schnell.

Paulus, der im Allgemeinen weit häufiger vom Heil und der Gnade Gottes spricht, als vom Gericht, zeigt in diesem Bild vom Feuer auf, wie es im Leben zugeht. Ich tue im Leben bisweilen Dinge, die tragfähig und haltbar sind. Und dann tue ich wieder Dinge, die auf der Strecke der Zeit aufflackern und wieder in sich zusammensinken wie ein Strohfeuer. Ich selbst weiß oft nicht, was trägt und was vergeht von meinen Taten.

Oft spüre ich diese Dimension besonders stark am Lebensende. Im Blick auf die Unvermeidlichkeit des Schicksals brechen Dinge auf, die sonst so gut verstaut waren. Im Schalle der Totenglocke kommen Gedanken des Wehmutes: Warum war ich nicht freundlicher? Warum konnten wir Dinge nicht klären? Ich habe gar nicht gespürt, wie lieb mir diese Person war. Das Bild vom reinigenden Feuer kann dann etwas Tröstliches entfachen, weil es um diese tiefe Wahrheit unseres Lebens weiß: Dass die Häuser, die wir bauen in unserem Leben, immer aus ganz gemischten Materialien bestehen und dass vor Gott das Wertvolle übrigbleibt.

Für Paulus ist es zentral, dass der Richter, der Feuermeister, Christus selbst ist. Christus möchte uns heilen. Heilen mit einem Feuer, das hinwegnimmt, was uns belastet und eben den Menschen nicht kaputt macht, sondern leuchten und glänzen lässt. Das Bild vom Feuer kann uns davor bewahren, ein Leben in maßloser Selbstüberschätzung und Hybris zu leben. Das Bild vom richtenden Christus macht uns wachsam, nicht heute, nicht hier und jetzt selbst zu richten, sondern auf den zu vertrauen, dem es zusteht.

Im Bild vom letzten Gericht kann ich Gottes bedingungslose Liebe erfahren. Eine Liebe, die ehrlich ist, weil sie mich nun einmal so sieht, wie ich bin: voller Fehler, voller Zweifel und voller Angst. Im Bild vom Gott als Richter darf ich entdecken, dass er mich annimmt. Annimmt wie ich bin. Verbrennt sein Werk, so wird er Schaden erleiden - er selbst aber wird gerettet werden.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Feldmeier, Reinhard; Spieckermann, Hermann: Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, Tübingen 2011.

Haberer, Johanna: Predigt: Gemeinde und Mensch als Haus und Ackerfeld (1. Kor 3, 9-17), Evangelische Morgenfeier vom 29.09.2019.

Hase, Karl von: Gnosis oder Evangelische Glaubenslehre, für die Gebildeten in der Gemeinde wissenschaftlich dargestellt. Zweiter Band, Leipzig 1828.

Klann, Anastasia: Ekklesiogene Neurosen. Brief an die Herausgeber der FAZ, FAZ Nr. 199 (Donnerstag, 27. August 2020), Seite 18.

Lange, Dietz: Glaubenslehre. Band II, Tübingen 2001.

Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther (1Kor 1,1-6,11) (EKK VII/1), Zürich, Braunschweig und Neukirchen-Vluyn, 2001.

Schwarz, Reinhard: Martin Luther. Lehrer der christlichen Religion, Tübingen 2015.

Wenz, Gunther: Evangelische Gedanken zum Fegfeuer, in: MThZ 67 (2016), 2–34.

Zeller, Dieter: Der erste Brief an die Korinther (KEK V), Göttingen 2010.

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