Predigt vom Sonntag, 12.05.2019
Predigt zu Sprüche 8, 22-36; Sonntag Jubilate, 12. Mai 2019, Jubelkonfirmation, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrerin Karin Lefèvre
Wir haben einen Gott, der uns hilft. Wir haben einen Herrn, den Herrn, der vom Tode errettet. Amen
22 Am Anfang hat der Herr mich geschaffen. Ich war sein erstes Werk vor allen anderen. 23 In grauer Vorzeit hat er mich gemacht, am Anfang, vor Beginn der Welt.
24 Als ich geboren wurde, gab es noch kein Meer, und keine Quelle brach aus der Tiefe hervor. 25 Der Grund der Berge war noch nicht gelegt, die Hügel waren noch nicht entstanden. 26 Gott hatte noch nicht die Erde gemacht, vom festen Land und von seinen Feldern war noch nicht das Geringste zu sehen. 27 Ich war dabei, als er den Himmel wölbte und den Kreis des Horizonts festlegte über den Tiefen des Ozeans, als er die Wolken hoch zusammenzog und die Quellen aus der Tiefe sprudeln ließ. 29 Als er dem Meer die Grenze bestimmte, die seine Fluten nicht überschreiten dürfen, als er die Fundamente der Erde abmaß. –
30 Da war ich beständig bei ihm und war seine Lust täglich und spielte unter seinen Augen. 31 Ich spielte auf dem weiten Rund der Erde und hatte meine Freude an den Menschen. 32 Deshalb, ihr jungen Leute, hört auf mich! Wie glücklich sind alle, die mir folgen. 33 Schlagt meine Unterweisung nicht in den Wind, hört darauf und werdet klug! 34 Wie glücklich sind alle, die mir zuhören, die jeden Tag vor meinem Haus stehen und an meinem Tor auf mich warten. 35 Alle, die mich finden, finden das Leben, und der HERR hat Freude an ihnen. 36 Doch wer mich verfehlt, schadet sich selbst. Alle, die mich hassen, lieben den Tod.
(Sprüche 8, 22-36)
Liebe Gemeinde, und besonders liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden,
wer ist da der Sprecher? Oder ist es gar eine Sprecherin? „Ich war sein erstes Werk“, heißt es da. Müsste es dann nicht das Licht sein? Heißt es doch im 1. Kapitel der Bibel:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. (1. Mose 1, 1-5)
Aber nein, es ist nicht das Licht, das da spricht – auch nicht das Licht der Welt – denn die Stimme fährt fort:
In grauer Vorzeit hat er mich gemacht, am Anfang, vor Beginn der Welt.
Das dürfte für viele hier neu sein, dass die Erschaffung unserer Welt mit Licht und Finsternis, mit Wasser und Kontinenten, mit Pflanzen und Tieren und den Menschen NICHT Gottes erstes Werk war, sondern dass Gott, noch ehe er das alles erschuf, ein anderes Werk geschaffen hat – nämlich …
die WEISHEIT.
Und die sagt von sich:
Ich begleite Gott bei all seinem Tun. Von Anfang an, also schon ehe es die Zeit gab. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her. – Das erste Geschöpf Gottes bin ich – noch ehe irgendetwas anderes geschaffen wurde, hat Gott mich gemacht!
Ganz ehrlich, diejenige, die da redet, hat es von den Bibelgelehrten bis zu den einfachen Bibelleserinnern und -lesern uns allen durch alle Jahrhunderte hindurch schwer gemacht, sehr schwer. Und das muss sie gewusst haben, denn sonst würde sie nicht so sehr um uns werben und uns bitten, sie anzuhören. Und das, obwohl alle, die ihrer Stimme Gehör schenken, Glück finden, echtes und tiefes Glück, wie es nichts Käufliches und Materielles bieten kann. Ja, wer ihr zuhört und ihre Worte zu Herzen nimmt, findet nicht nur Glück, sondern das Leben selbst – und Gott hat Freude an solchen Menschen!
Leben und Lebensfreude – die sind aber gefährlich – und zwar für alle, die Macht und Einfluss ausüben wollen. Glückliche Menschen kann man nämlich nur sehr schwer manipulieren und für Gewalt, Ausbeutung oder Zerstörung gewinnen. Glückliche Menschen lassen sich kaum bestechen oder kaufen, denn sie wissen: Mehr als Glück gibt es nicht! Glückliche Menschen gehen Hetzern nicht auf den Leim. Dafür braucht es Unzufriedenheit, Ungerechtigkeit und das Gefühl, abgehängt worden zu sein.
Machen wir es kurz:
Diejenige, die da redet, ist die Weisheit. Nein, nicht irgendeine allgemeine Lebensklugheit, sondern die Weisheit Gottes.
Und es ist kaum zu glauben, obwohl ich nun schon 38 Jahren predige, ist sie jetzt zum ersten Mal offiziell in diesem Predigtabschnitt zu hören. Dazu war erst eine Reform nötig.
Wie glücklich sind alle, die mir zuhören …
Alle, die mich finden, finden das Leben
Und Gott hat Freude an ihnen.
Da gibt es so einen eindeutigen Hinweis auf Lebensglück und Lebensfreude. Vor allem jungen Menschen soll davon erzählt werden (V. 23), und wir haben diese Worte aus dem Mund der Weisheit bis heute unterschlagen! Michelangelo hatte da mehr Mut. Und das, obwohl er noch ein junger Mann war, als er in Rom die Decke der Sixtinischen Kapelle ausmalen sollte. Auf seinem Werk hat Gott, der Schöpfer, die junge Frau Weisheit im linken Arm, als er dem gerade geschaffenen Adam seinen Arm entgegenstreckt und sich ihre Finger fast berühren.
Ganz ehrlich, auch ich hatte nur die beiden sich fast berührenden Finger im Gedächtnis und hätte auch nicht beschreiben können, was oder besser wer da direkt am Herzen Gottes zu sehen ist, nämlich die Weisheit, die auch heute zu uns sprechen will.
Die Christen haben ihr zu Ehren eine große Kirche gebaut, die Hagia Sophia in Istanbul. 1000 Jahre lang war sie die größte Kirche der Christenheit. Erst war sie eine byzantinische Kirche, dann eine Moschee und heute ist sie ein Museum und soll wieder zur Moschee umgebaut werden. Trotz dieser wechselvollen Geschichte blieb der Name: Heilige Sophia, das ist die griechische Bezeichnung für Weisheit.
Trotz großer Kirche zu ihren Ehren wurde Sophia im Laufe der Geschichte oft übersehen. Dabei war sie doch von Anfang der Welt an dabei. Ein typisches Frauenproblem - übersehen werden. Bis heute haben wir das nicht gelöst, nicht in den Führungsetagen der Firmen und nicht mal in der evangelischen Kirche, wo ab der mittleren Ebene aufwärts immer noch die Männer vorherrschen.
Und doch gab es in Israel eine Zeit, da spielte die Weisheit eine große Rolle. Das war die Zeit nach den großen Königen und nach dem Exil, also eine Zeit, wo man sich, nachdem im Krieg alles zerstört worden war, neu orientieren musste. Das wurde die große Zeit der weisheitlichen Literatur, denn sie hat den großen Vorzug, dass alle Menschen zu ihr Zugang haben können. Die Weisheit ist näher dran am Leben als alle anderen, denn sie war von Anbeginn der Schöpfung an dabei. Sie versteht das Leben wie keine und kein Zweiter.
Heute ist auch eine Zeit des Umbruchs. Wir Menschen leben in einer Welt, die Zerstörung durch menschliche Gewalt und Bosheit kennt und die zutiefst gefährdet ist. Viele sind auf der Suche nach Weisheit, weil alte Konzepte scheitern. Unzählige Bücher tragen die Weisheit im Titel: Weisheit der Indianer, der Kelten, der Katzen, der Esel ... Menschen sind unterwegs in alten Klöstern und neuen Bildungshäusern und suchen nach Weisheit. Sie suchen sie bei religiösen Führern, bei Schamanen und Coaches. Sie suchen nach einer Weisheit, die alle Menschen betrifft, nach universaler Weisheit. Sie suchen Weisheit, um besser leben zu können. Sie suchen an so vielen Orten, doch kaum noch bei uns. Wohl auch, weil wir in der Kirche die Weisheit aus den Augen verloren haben und uns erst selbst wieder auf die Suche nach ihr begeben müssen.
Wie können wir sie finden, diese Weisheit Gottes?
Wir finden sie, wenn wir von Jesus lernen, nach unten auf das Kleine und Unscheinbare zu sehen; wenn wir lernen zu teilen: Kraft, Hoffnung, Zeit, aber auch Geld und Besitz. Wenn wir teilen, erleben wir, was Paulus, der großen Zugang zur Weisheit Gottes hatte, so beschreibt: Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
Denn wir sehen nicht auf das Materielle, nicht auf das, was Neid, Hass und Gewalt täglich und überall säen, sondern auf das Unsichtbare, auf das, was bleibt, nämlich ein Leben in Fülle und echtem Glück, ein Leben als Kinder Gottes.
Und die Weisheit hilft uns dabei. Wer nach ihr strebt und auf sie hört, der oder die gefällt Gott, kommt Gott nahe, so nahe wie auf dem Bild von Michelangelo. Mit Hilfe der Weisheit können wir Bösem widerstehen und neue Wege gehen. Deswegen finde ich es spannend, dass die Bibel dieses Zweiergespann schon längst kennt: Glaube an Gott und Liebe zur Weisheit. Gott und Sophia. Diese beiden zusammen schaffen die Welt und erhalten sie. Die beiden lassen sich nicht auseinanderreißen. Arm in Arm kümmern sie sich um die Welt.
Die Weisheit liebt das Leben, wie Gott es tut. Die Weisheit kennt bessere Wege als die der Gewalt, um das Böse zu bekämpfen. Sie hilft, dass Menschen weise und klug handeln. Wohl denen, die Wege der Weisheit finden und so auch zu Gott gelangen.
Und ich bin mir sicher, unsere Jubilarinnen und Jubilare können uns dazu viel aus ihrem langen Leben erzählen. Amen
Und die Weisheit Gottes, die beständig vor ihm spielt und seine Freude ist, erfülle auch uns mit dem Reichtum der Gnade Gottes.
Amen