Predigt vom Sonntag, 29. Juli 2018

Predigt über Jeremia 1, 4 - 10
9. Sonntag nach Trinitatis, 29.07.2018, St. Laurentius
Herr Georg Jakobsche

Liebe Gemeinde,

jeder jüngere Mensch steht vor der Entscheidung, wie er sein Leben gestalten soll. Manchmal fallen diese Entscheidungen sehr bewusst, manchmal auch irgendwie und wenig reflektiert.

Es sind Fragen wie diese, die dann das Leben bestimmen: Was mache ich mit meinem Leben, was will ich werden, welche Karriere möchte ich anstreben, soll es eine bürgerliche Existenz werden, auf die ich abziele? Möchte ich ein Handwerker werden, ein Akademiker, ein erfolgreicher Unternehmer, ein Politiker, der die Welt verändern wird?

Das Evangelium von den übertragenen Zentnern spricht eine ziemlich klare Sprache. Es gibt nicht vor: Du werde ein Handwerker, wie dein Vater oder du werde ein Lehrer oder Pfarrer wie dein Vater. Es sagt auch nicht: Mach mehr aus dir als deine Eltern, studiere, denn dann hast du es leichter im Leben, dann verdienst du mehr Geld und kannst dir mehr leisten.

Den Weg, den ich wähle, gibt mir das Christentum nicht vor, den darf ich selbst wählen, das ist meine Freiheit als Mensch, das ist auch meine Freiheit als Christ.

Nur das eine fordert Jesus von mir, und da scheint er keinen Spaß zu verstehen: Mach etwas aus deinem Leben, gestalte es und werde reich. Mit Reichtum ist hier nicht zwangsläufig pekuniärer Überfluss gemeint. Die Zentner oder die Talente, wie es in anderen Übersetzungen heißt, meinen die Begabungen, und zwar einerseits die, die mir von Geburt an eigen sind und andererseits die, die durch meine Sozialisation zu meinen Begabungen geworden sind. Diese Zentner dürfen nicht ungenutzt bleiben. Diese Zentner müssen erkannt und zum Blühen gebracht werden. Ob das nun als Bäcker, als Theologe oder als Bundespräsident ist.

In diesem Evangelium zeigt sich für mich die Berufung zu einem gelingenden Leben. Das Christentum will keine Unterwerfung, sondern ein Gelingen des Lebens, ein Aufblühen des Menschlichen für mich selbst und auch für die Menschen, für die ich Verantwortung trage.

Vielleicht denken Sie jetzt: Das ist doch sowieso klar, das wissen wir doch alles selbst, darüber sind wir längst hinaus.

Es ist ziemlich genau 10 Jahre her, dass ich erfahren und verstanden habe, dass der Teil der Gesellschaft stark zunimmt, der für sich überhaupt keinen Gestaltungsraum mehr sieht.

So haben mir Schüler einer 6. Klasse einer Nürnberger Mittelschule, die damals noch Hauptschule hieß, zu verstehen gegeben, dass die Themen „Lebensgestaltung“ und „Hoffnung auf gutes und sinnerfülltes Leben“ sie nicht betreffen.

Dies machten sie mir deutlich, als im Unterrichtsgespräch das Thema „Hoffnung auf ein gelingendes Leben“ aufkam. Dieses Thema war an dieser Stelle nicht geplant, und als es aufkam, fingen die Schüler lautstark an, zu stören und den Unterricht ins Lächerliche zu ziehen.

Aufgrund des im Laufe der Zeit gewachsenen Respekts und der Akzeptanz, die sie mir inzwischen entgegenbrachten, war es mir möglich, die Kinder nach dem Grund der plötzlichen und heftigen Störung zu fragen.

Auf meine Frage, was den jetzt los sei, antworteten die Schüler: „Was wollen Sie von uns Herr Jakobsche, Sie haben Abitur und einen Beruf, Sie können sich etwas leisten, auf uns wartet allein Harz 4. Wir haben keine Chance!“

Das waren wohlgemerkt Schüler im Alter von 12 Jahren, und die Zahl der Menschen, die keine Perspektive für sich sehen und ihre Talente lieber vergraben, hat sich seitdem vervielfältigt. Das ist zumindest mein persönlicher Eindruck.

So ist das Gleichnis von den Zentnern also doch wieder aktuell, weil es mich davor bewahren will, den Kopf in den Sand zu stecken, auch wenn ich mich dem Leben und seinen manchmal übermächtigen Anforderungen nicht gewachsen fühle. Wie so häufig führt es mich als Christen in eine Position, in der ich zumindest für Teile der Gesellschaft anders bin. Vielleicht bin ich auch ein Gegenüber, an dem man sich reiben kann, so wie eben für die damaligen Schüler.

Von einem, der sich den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen fühlt, erzählt der Abschnitt aus dem Buch Jeremia, der heute zur Predigt ansteht und den wir jetzt hören:

Jeremia 1:

4 Und des Herrn Wort geschah zu mir:

5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.

6 Ich aber sprach: Ach, Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.

7 Der Herr sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.

8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr.

9 Und der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.

10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Liebe Gemeinde,

auch hier geht es darum, etwas aus dem Leben zu machen, und es geht darum, dass der Mensch am Beispiel des Propheten Jeremia sich zu klein und der Anforderung nicht gewachsen fühlt. Eine Erfahrung , die wahrscheinlich Millionen von Menschen täglich machen.

Und doch geht es um mehr. Jeremia wird von Gott berufen, ein bestimmtes Amt wird ihm angetragen, das Amt des Propheten. Jeremia sieht sich einer klaren Forderung gegenüber, ein Amt wird ihm angetragen, ein unangenehmes noch dazu, eines, mit dem Ärger und Verdruss verbunden sind, eines, das womöglich sogar lebensgefährlich werden kann. Und ich kann angesichts der übermenschlich anmutenden Anforderung die Einwände des Propheten gut nachvollziehen, wenn er sagt: Ich tauge nicht zu predigen, denn ich bin zu jung.

Aber mit dieser Forderung Gottes ist die Zusage verbunden: Siehe, ich lege dir meine Worte in den Mund. Das heißt: Mensch, ich lasse dich nicht allein, ich kümmere mich um dich und ich gebe dir die Worte ein, dann, wenn du sie brauchst.

Großes, ja fast übermenschliches Vertrauen fordert Gott von Jeremia ein. Verlass dich nicht auf dein eigenes Wort, nein, nimm das Wort an, das ich in deinen Mund lege. Ja, mir wird leicht schwindlig bei solchem Vertrauen, ich möchte kontrollieren, was passiert, es erfordert ungeheuren Mut, sich auf so etwas einzulassen. Es ist gewissermaßen der Ernstfall des Glaubens, der hier eintritt, der eingefordert wird von Gott.

Doch, liebe Gemeinde, Gott fordert nicht nur von Jeremia: Er streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund, berichtet Jeremia. Jeremia erfährt Gott ganz handgreiflich, in Wirklichkeit, zärtlich. Eine Erfahrung, die das Leben verändert, wenn sie einem denn geschenkt wird.

Vielleicht kennen Sie solche Begegnungen? Begegnungen, die anrühren, ein Mensch, der mir nahesteht, oder auch ein völlig fremder Mensch unterstützt mich, vertraut mir, traut mir etwas zu bestärkt mich. Ja, vielleicht begegnet auch mir in solchen Situationen Gott, bewusst oder unbewusst.

Bin ich offen für eine solche Begegnung? Lasse ich mich darauf ein wie Jeremia, trotz all meiner Bedenken, trotz all meiner Unzulänglichkeiten? Lasse ich mich anrühren von Gott in meinem konkreten Alltag? Nehme ich die Annäherungsversuche Gottes wahr, oder bin ich zu beschäftigt mit mir selbst, mit meiner Karriere, mit dem wichtigen und richtigen Versuch, mit meinen Zentnern zu wuchern?

Gott will mich anrühren, er will Sie anrühren, nicht nur in großen Gesten und vielleicht auch filmreifen Situationen, auch im Alltag der familiären Arbeit, im Stress des Berufsalltags der Pflege, im Stress des Büroalltags oder wo immer Sie Ihren täglichen Dienst tun.

Lassen Sie die Annäherungsversuche Gottes zu? Hier und heute? Lasse ich selbst sie zu?

Amen 

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