Unterstützte Kommunikation: Beispiele für Einsatzmöglichkeiten

Lebensnotwendige Kommunikation im Alltag: Die Unterstützte Kommunikation hilft Menschen mit Behinderung dabei

Kommunikation als Grundrecht

Die UN-Behindertenkonvention fordert eine uneingeschränkte und gleichberechtigte Teilnahme aller Menschen am gesellschaftlichen LebenInklusion ist ein Menschenrecht. Eines der Ziele der Konvention ist es, Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu gehört auch das Recht auf Kommunikation.
Manche Menschen sind aufgrund von angeborenen oder erworbenen Schädigungen nicht oder kaum in der Lage, sich sprachlich mit ihrer Umwelt zu verständigen. Mit Hilfe von Unterstützter Kommunikation können diese Menschen eine erhebliche Verbesserung ihrer Verständigungsmöglichkeiten und damit ihrer Lebensqualität erreichen. Auf diese Weise werden Selbstbestimmung und Partizipation ermöglicht.

Inge Hauf ist Heilpädagogin und seit vielen Jahren Beauftragte für Unterstützte Kommunikation (UK) im Bereich Wohnen Neuendettelsau.

Ulrike Englmann hat sie unter anderem gefragt:
  • Wie können Menschen mit Behinderung diese Art der Kommunikation lernen?
  • Was bedeutet es für Menschen mit Behinderung wenn sie sich ausdrücken können?
  • Mit welchen Mitteln der Unterstützten Kommunikation arbeiten Sie?

Kommunikation ist lebensnotwendig.

Inge Hauf: Zunächst einmal muss man wissen: Jeder Mensch hat das Bedürfnis zu kommunizieren. Kommunikation ist lebensnotwendig.

Kommunizieren kann man mit den Augen, dem Gesicht, mit den Händen oder durch Körperbewegungen oder indem man Laute gibt. Menschen mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen bleiben oft nur Atmung und Muskelspannung um sich auszudrücken.
Inzwischen gibt es zahlreiche technische Unterstützungsmöglichkeiten. Sprachausgabegeräte können Kommunikation bei Menschen ermöglichen, die auf den ersten Blick sprachlos erscheinen. Besonders interessant sind die Tablets und spezielle Apps.
Aber unterstützte Kommunikation braucht in jedem Fall Menschen, die gemeinsam versuchen eine Umgebung zu schaffen, die es Personen mit Kommunikationsbeeinträchtigungen erleichtert und sie ermutigt sich mitzuteilen.


unterstützte Kommunikation mit dem Rehatalkpad
Inge Hauf (links) und ihre Kollegin kommunizieren mit Hilfe des Rehatalkpads mit einer Bewohnerin aus dem Bereich Wohnen Neuendettelsau. © Maria Mohr

Frage: Seit wann beschäftigen Sie sich mit Unterstützter Kommunikation?

Inge Hauf: Ein Schlüsselerlebnis für mich selbst zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit in den 1970er Jahren war der Einzug einer jungen Frau mit einer Autismus-Spektrum-Störung, die nicht sprechen konnte. Dies machte es erforderlich, neue Wege zu gehen. Wie kann man sich also ausdrücken? Über die Körpersprache! Über die Körpersprache, die Mimik, die Atmung, über Gesten und Gebärden und natürlich auch die Laute der Stimme. Diese Verhaltensweisen mussten anfangs interpretiert und dann erkannt und verstanden werden. Zunächst war es für uns wie das Erlernen einer Fremdsprache. Wir beschäftigen uns in Neuendettelsau also schon sehr lange mit dem Thema. Früher gab es noch gar keine Computer und wir verstanden es schon immer als unsere Aufgabe zu überlegen, wie wir es Menschen, die nicht sprechen können, ermöglichen können, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern. Dabei dürfen wir nicht vergessen, wir alle haben Kommunizieren gelernt. Dafür brauchte es Zeit und Gelegenheiten. Unterstütze Kommunikation wird gemeinsam gelernt und im Alltag genutzt.

Wie können Menschen mit Behinderung diese Art der Kommunikation lernen?

Inge Hauf: Damit Maßnahmen der Unterstützten Kommunikation gelingen, müssen der Einsatz der Kommunikationshilfe und das Vorgehen systematisch geplant und auf die Wirksamkeit hin überprüft werden. Zunächst nehmen wir uns die Zeit genau zu beobachten um zu erkennen, welche Fähigkeiten und Ausdrucksformen das Gegenüber verwendet. Auf welche Weise wird kommuniziert, wie wird Kontakt aufgenommen, was will die Person damit erreichen und in welcher Situation? Welches Kommunikationsbedürfnis besteht beim Nichtsprechenden sowie beim Gegenüber. Anhand der Reaktionen können wir feststellen, ob sich ein Dialog entwickeln kann.
Schon lange Jahre leisten bei der Kommunikationsanbahnung einfache Kommunikationshilfen (z. B. sprechende Tasten, Piktogramme) wichtige Dienste beim Spielen oder bei alltäglichen Routinen. Gleichzeitig ist die direkte persönliche Interaktion ein wichtiges Element. Das Gegenüber macht die Erfahrung, in einer bestimmten Situation erfolgt immer eine Reaktion auf mein Handeln. Zum Beispiel: Es bedarf nur geringe körperliche Aktivität um einen, wie auch immer gearteten Taster zu betätigen.


Unterstützte Kommunikation im Haushalt
Leckeres Popcorn selbst gemacht: Mit Hilfe der Taste kann die Bewohnerin die Popcornmaschine in Gang setzen. © Mohr

Was bedeutet es für Menschen mit Behinderung wenn sie sich ausdrücken können?
Inge Hauf: Jeder Mensch kann sich ausdrücken. Das Wesentliche der Kommunikation ist das Verstehen und das ist bei nicht vorhandener Lautsprache oft schwierig. Auf die bestehenden Fähigkeiten und Kommunikationshilfen kann die Verständigung dann aufbauen, wenn sie für die Kommunizierenden eine gemeinsame Bedeutung erhält, die im gemeinsamen Alltag gelebt wird.

Auf diese Weise können es Menschen mit Behinderung lernen, ihre Befindlichkeiten und Gefühle auszudrücken. Sie bekommen Zugang zu ihrer Innenwelt, fühlen sich von der Umwelt besser verstanden und werden letztlich ruhiger und ausgeglichener. So erfahren sie eine Aufwertung ihres Selbst. Sie werden gefragt, gehört, verstanden. Es wird nicht über ihren Kopf hinweg entschieden und muss nicht das tun was die Tagesplanung und Organisation vorgibt. Sie können selbst entscheiden, was sie tun wollen. Diese Möglichkeiten zur Äußerung der eigenen Wünsche und die damit verbundene Selbstbestimmung tragen enorm zur Zufriedenheit bei. Fremde Erwartungen werden mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Einklang gebracht und abgestimmt. Über die Mitwirkung wird eine aktive Teilhabe ermöglicht und ausgehandelt, nach dem Motto:

„Auch wenn ich nicht reden kann, habe ich dennoch viel zu sagen“.

Anwendungsbeispiele Unterstützte Kommunikation



Mit welchen Mitteln der Unterstützten Kommunikation arbeiten Sie?

Inge Hauf: Wir verwenden eine ganze Reihe von Methoden und Hilfsmitteln aus dem umfangreichen Angebot der Unterstützten Kommunikation.

Wir orientieren uns dabei am Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten. Wir schauen und fragen, was braucht diese Person? Welche Kompetenzen bringt sie mit? Wie kann Unterstützte Kommunikation eingesetzt und weiterentwickelt werden, um das Mitwirken im Alltag zu verbessern. Für manche Personen sind die Anforderungen eines tabletbasierten Sprachcomputers viel zu hoch. Dafür kann er mit Kommunikationstafeln, Gebärden, Fotos oder Symbolen aktiv kommunizieren. Also werden wir eher diesen Weg einschlagen. Die Erfahrung zeigt, dass für sehr viele Personen ohne eigene Lautsprache, die Stimme und das selbständige Betätigen des akustischen Reizes eine hohe Motivation darstellt. Die Sprachausgabe wird am Anfang oft sehr lustvoll spielerisch erkundet.

Wir verwenden häufig einfache Geräte mit natürlicher Sprachausgabe, die auf Betätigung eine vorher aufgenommene Aussage wiedergeben, beispielsweise den Little Step-by-Step. Das ist ein kleines Gerät mit einer großen farbigen Taste. Per Tastendruck wird die Aussage wiedergegebene. Floskeln, wie "Hallo wie geht’s"  signalisieren dem Gegenüber Interesse zum Kontakt. Mit der sprechenden Taste können UK-Nutzer Aufträge, Fragen, Antworten und soziale Situationen eigenständig bewältigen

Unterstützte Kommunikation: Anybook Reader
Der Anybook-Reader ist ein batteriebetriebener Vorlesestift. © Mohr



Eine sehr interessante Kommunikationshilfe ist der Anybook-Reader. Es ist ein batteriebetriebener Vorlesestift. Texte und Bücher werden mit Aufklebern versehen. Die Aufkleber werden aktiviert. Die Texte werden auf den Stift gesprochen und gespeichert. Der Nutzer berührt den Aufkleber und hört die aufgenommen Texte. Kinder können selbständig ihre Lieblingsbilderbücher anschauen und die Geschichte hören, wann sie möchten. In Lern- und Ausbildungssituationen werden Aufgaben eigenständig abgerufen. Erklärungen am Piktogramm oder Foto werden gehört und fordern zum Handeln auf.

Wir bieten auch sogenannte Reha-Talk-Pads an. Das sind tabletbasierte Sprachcomputer in einer sehr stabilen Hülle. Sie werden durch Berühren über den Touchscreen angesteuert. Besteht eine eingeschränkte Motorik werden andere Ansteuerungslösungen probiert, beispielsweise über die Augen. Die Geräte verfügen über eine Sprachausgabe, die individuell angepasst wird. Verschiedene Kommunikationsprogramme und Apps mit speziellen Inhalten werden dem Nutzer zur Verfügung gestellt. Sie wird individuell ausgewählt und auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst.

Die Anpassung erstreckt sich in der Regel über einen längeren Zeitraum. Es geht um gemeinsames Entdecken und Lernen, damit Kommunikation möglich wird. Die Benutzeroberfläche wird übersichtlich gestaltet, damit der Nutzer die Symbole ansteuern und auslösen kann. Er muss wissen, wie und wozu er Kommunikationsmittel und Zeichen verwenden kann. Beispielsweise erkennt er: "Ich kann sagen, dass ich durstig bin!"
Dazu muss er wissen mit welchem Symbol er das ausdrücken kann. Es werden individuelle Lösungen gefunden, die letztlich auf Entwicklung und längere Lernprozesse angelegt sind. Der Nutzer soll über ein Gerät verfügen, mit dem er aktiv seinen Lebensalltag mitgestaltet.

Kind mit Behinderung mit Talker
Kommunikation ist in jedem Alter wichtig. © Marien

Richtet sich die Unterstützte Kommunikation an eine bestimmte Altersgruppe?

Inge Hauf: Nein, kommunizieren ist in jedem Alter möglich. Die Angebote müssen das Lebensalter und die Bedürfnisse berücksichtigen. Kleinkinder sind anders als und Jugendliche oder Erwachsene.

Welche Vorteile bietet die Unterstützte Kommunikation?
Inge Hauf:
Unterstützte Kommunikation leistet einen wichtigen Beitrag, die Sprachbarrieren bei Menschen mit eingeschränkter oder fehlender Lautsprache abzubauen. Die Kommunikationsmöglichkeiten erweitern den Zugang und die aktive Teilhabe in den unterschiedlichen Lebensbereichen. Das trägt zu einer erheblichen Verbesserung der Verständigungsmöglichkeiten und damit der Lebensqualität bei. Auf diese Weise werden sehr individuell Selbstbestimmung und Partizipation möglich.
Neben der Möglichkeit zur Kommunikation an sich, also zur Möglichkeit der Verständigung, hat das noch eine ganz andere Wirkung auf den Nutzer oder die Nutzerin: Es bedeutet „Aha, ich kann etwas beeinflussen! Ich kann äußern was ich möchte und dann wird es so gemacht!“ Das bedeutet ein Stück Unabhängigkeit. Auf diese Weise entsteht ein anderes Selbstvertrauen und das Gefühl, gleichwertig zu sein.
Die Möglichkeit, sich auszudrücken bringt außerdem einen anderen, reflektierteren Zugang zu den eigenen Gefühlen und Erleben. Ich merke, ich kann mitteilen und erzählen, was ich in der Wohngruppe oder in der Werkstatt erlebt habe. Ich lasse die Anderen an meiner Freude oder den Ärger teilhaben. Das bringt mich in Kontakt und Austausch.

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