Menschen mit und ohne Behinderungen singen und musizieren gemeinsam
„Über sieben Brücken musst du gehn
Sieben dunkle Jahre überstehn (…)“
Angela, Heike und Nicole sind ganz in der Musik abgetaucht. Gemeinsam mit den anderen Chormitgliedern singen sie konzentriert die Zeilen aus dem Klassiker der Rockband Karat. Chorleiter Hannsjörg Scharr dirigiert die ca. 60 Sängerinnen und Sänger jeden Alters mit Schwung und Herzblut. Der Chor wird von Monika Förnzler am Piano und dem Gitarristen Karl Burkard begleitet und gelegentlich vom Dirigenten mit der Trompete bereichert.
Was unterscheidet Angela, Heike und Nicole von anderen Mitgliedern der Chores „Chor & more“?
Hier bei der Probe in der Kirchberger Festhalle: Nichts. Alle vereint die Liebe zur Musik und zum gemeinsamen Singen.
Im Alltag sind die drei Frauen mit Unterstützungsbedarf Klientinnen der Offenen Hilfen Schwäbisch Hall.
Wir haben „Chor & more“ eine Probe lang begleitet und mit einigen Chormitgliedern gesprochen.
Von Maria Mohr (Text und Fotos) und Manuela Renner (Fotos und Videos)
Lesezeit ca. 5 Minuten ohne Videos
Darum geht es in dem Artikel:
- Was ist "Chor & more"?
- Video: "Über sieben Brücken musst du gehn"
- Wie ist der inklusive Chor entstanden?
- Videointerview mit Beate und Hannsjörg Scharr
- Wie profitieren Menschen mit und ohne Behinderung vom Singen in einem inklusiven Chor?
- Wie beurteilen die Verantwortlichen heute das Singen bei „Chor & more“?
- Videointerview mit Beate Prinz-Fakner und Volker Balle
- Videointerviews mit den Chormitgliedern
- Wie trete ich mit „Chor& more“ in Kontakt?
Wie ist der inklusive Chor „Chor & more“ entstanden?
Hannsjörg Scharr dirigiert „Chor & more“. Seine Frau Beate singt im Chor mit und kümmert sich um die Organisation.
Beide haben bis zum Ruhestand an der August-Ludwig-Schlözer Schule in Kirchberg gearbeitet. Neben dem Unterricht engagierten sie sich im Team mit weiteren Lehrkräften in zahlreichen Musikprojekten an der Schule und gründeten den Eltern-Lehrer-Schüler-Chor, in dem jetzt auch einige der Sängerinnen und Sänger von „Chor & more“ mitsingen.
Ich war der Musikmensch an der Schule
fasst Hannsjörg Scharr seine Arbeit mit einem Lächeln zusammen.
2016 geht er in den Ruhestand. Dort erreicht ihn die Anfrage von Beate Prinz-Fakner, Mitarbeiterin der Offenen Hilfen Schwäbisch Hall. Ob man nicht zusammen an einem inklusiven Chorprojekt arbeiten möchte?
Nach einer kurzen Bedenkzeit sagte Hannsjörg Scharr: „Schauen wir mal, ob 20 Leute mitmachen.“ Auf seine Anfrage meldeten sich 60 Interessierte und „Chor & more“ konnte beginnen.
„Das war der Anfang einer Welle, die auch Corona nicht gebrochen hat.“, erinnert sich der Musiker.
Beate Prinz-Fakner ergänzt: „„Ich habe immer wieder beobachtet, dass einige Menschen, mit denen wir arbeiten, sehr gerne singen. Aber sie hatten Schwierigkeiten, Anschluss zu finden.“ Deshalb ergriff sie die Initiative und regte die Gründung eines inklusiven Chores an.
Alle sind sich einig:
Das Ganze startete als Experiment.
Wie profitieren Menschen mit und ohne Behinderung vom Singen in einem inklusiven Chor?
Musik ist in fast jedem Lebensbereich unseres Alltags vorzufinden und es gibt wahrscheinlich kaum einen Menschen, der nicht in irgendeiner Form mit Musik verbunden ist. Es geht in der Musik nicht nur darum, die Noten oder ein Instrument zu beherrschen, sondern Musik gehört zu uns allen , die Freude damit in ihrem Inneren verbinden.
Auch zu denjenigen, die sich bisher nicht getraut haben und somit auch zu denjenigen, die sich für gänzlich unmusikalisch halten.
Auch zur Gestaltung des Lebens von Menschen mit Unterstützungsbedarf leistet Musik einen wichtigen Beitrag.
Die Begegnung mit Musik und das aktive Musizieren unterstützt Menschen einer geistigen Behinderung:
- In der Fähigkeit, sich zu bewegen und sich motorisch weiterzuentwickeln
- Bei der Wahrnehmung von Sinneseindrücken, bei Dingen, die um sie herum passieren
- In der Fähigkeit, diese Gefühle und Wahrnehmungen auszudrücken
- In der Kommunikationsfähigkeit: Also dabei, über diese Gefühle und Eindrücken mit Hilfe von Sprache oder andere Mitteln zu kommunizieren
Beate Scharr hat das so beobachtet: „Die Menschen mit Betreuungsbedarf bringen eine andere Stimmung in den Chor. Sie applaudieren im Stück oder werfen Dinge ein, die die anderen zum Lachen bringen.“
Hannsjörg Scharr empfindet die Arbeit mit den Sängerinnen und Sängern mit Behinderung teilweise als einfacher als die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern: „Unabhängig von ihren musikalischen Fähigkeiten sind sie motiviert und wollen mitmachen.“
„Jeder von uns hat Einschränkungen“, fährt der Dirigent fort. „Die Unterschiede nivellieren sich, wenn es um die gemeinsame Arbeit an den Stücken geht. Von einem Mehr an Wiederholungen profitieren zum Beispiel alle im Chor. Es ist eine Win-Win-Situation.“
Volker Balle von den Offenen Hilfen ergänzt: „Das Lernen der Texte ist natürlich harte Arbeit. Aber es geht viel über das Hören, das Tun, das Dabeisein.“
Die Sängerinnen und Sänger mit Unterstützungsbedarf stoßen bisweilen an Grenzen im Chor. Wichtig ist dann das Dabeisein in der Gemeinschaft. „Wenn einige in manchen Stücken nur den Refrain mitsingen, dann ist das eben so“, sagt Volke Balle:
Der Chor insgesamt trägt das.
Das Faszinierende für Volker Balle ist, dass auch Menschen mit einem höheren Unterstützungsbedarf, die nicht sehr kommunikativ sind, im Chor Gemeinschaft erleben können.
Die Menschen müssen sehr viel Motivation mitbringen, zum Beispiel um zu Hause die Texte wieder und wieder zu lernen.
Er sagt: „Das hat für mich etwas Magisches.“
Es ist gelebte Inklusion.
Das hat auch Anne Schuhmacher beobachtet. Sie ist Mitglied der Band Calaloo und begleitet mit ihrer Band „Music is it“, das aktuelle Projekt von „Chor & more“.
Sie sagt“: Das Besondere an einem inklusiven Chor, ist, dass das Singen die Einschränkungen unwichtig macht. Wenn es ein Chor schafft, dass Menschen mit Spaß gemeinsam Musik machen, dann kommt es nicht mehr so sehr darauf an, ob jeder Ton passt.“
Wie beurteilen die Verantwortlichen heute das Singen bei „Chor & more“?
Beate Prinz-Fakner sieht das anfängliche Experiment „Chor & more“ als gelungen an. Sie benennt ehrlich ihre anfänglichen Bedenken wie:
- Wie sollen wir englische Stücke singen, wenn keiner Englisch kann?
- Wie funktioniert das mit dem Merken von mehrstrophigen Liedern, wenn keiner lesen kann?
Sie und alle Beteiligten der Offenen Hilfen waren „unglaublich berührt“, als sie gemerkt haben:
Hier lassen sich Menschen auf uns ein und nehmen uns mit in eine neue Welt.
Wie trete ich mit „Chor&more“ in Kontakt?
Kontakt:
Diakoneo
Offenen Hilfen Schwäbisch Hall
Volker Balle
Tel.: +49 791 94016-25
E-Mail: volker.balle@sonnenhof-sha.de