Ulrike Englmann hat Marion Selz-Fleischer, die Leiterin im Haus für Kinder Sonnenschein in Bruckberg gefragt, wie der Standard „Partizipation“ in der Praxis umgesetzt wird und wie es den Kindern und den Mitarbeitenden dabei geht.
Warum gibt es den Standard "Partizipation"?
Marion Selz-Fleischer: Mit dem „Standard Partizipation“ können wir den Kindern Freiraum geben. Sie können sich an wichtigen Entscheidungen beteiligen und lernen, für sich selbst zu entscheiden. Auf diese Weise lernen sie auch, dass es richtig ist, den eigenen Willen zu äußern. Da geht es letztlich nicht nur um ihre Zeit im Kindergarten, sondern auch um das Erlernen demokratischer Grundprinzipien der Gesellschaft.
Wie gestalten Sie das in der Praxis?
Marion Selz-Fleischer: Beispiel Essen bei Festen und Feiern: Früher haben wir vorgegeben, was es zu essen geben soll. Wir haben die Gerichte bestellt und den Kindern hingestellt und am Ende blieb oft etwas übrig, weil Dinge dabei waren, die sie gar nicht essen mochten. Heute gestalten wir das anders und beziehen die Kinder in den Auswahl- und Entscheidungsprozess ein, bzw. wir lassen sie selbst vorschlagen und entscheiden. Das sieht dann so aus, dass wir Kinderkonferenzen einberufen und die Kinder fragen, was sie essen wollen. Dann kommen viele Vorschläge und am Ende sind es manchmal zehn verschiedene Gerichte, die wir bestellen und als Buffet in unserer Küche aufbauen. Der Buffettisch selbst ist so niedrig, dass sich die Kinder ihr Gericht selbst holen können – wir unterstützen sie natürlich dabei wo es nötig ist, aber im Großen und Ganzen machen das die Kinder selbst. Am Ende bleibt kaum etwas übrig und alle sind zufrieden.
Auch beim Frühstücksbuffet funktioniert die Partizipation: Wir bieten das Frühstück an, das Kind kann aber selbst spüren, ob es Hunger hat und dann entscheiden, ob, wann und was es essen möchte. Die Kinder streichen sich die Butter selbst aufs Brot und belegen es mit Wurst oder Marmelade – und manchmal mit beidem gleichzeitig. Hier geht natürlich auch schon mal was daneben. Aber Übung macht den Meister. Denn am Ende ist es doch so: man kann alles waschen und saubermachen!
Und wie gestalten Sie die Partizipation in den Gruppen?
Marion Selz-Fleischer: Wir haben keine Gruppen mehr in der alten Form. Wir arbeiten inzwischen nach dem offenen Konzept. Das heißt, wir machen in den verschiedenen Spielecken und in verschiedenen Räumen Angebote, denen sich die Kinder anschließen können, wenn es sie interessiert und ihnen gefällt. Also zum Beispiel basteln wir im Kreativbereich und schneiden dabei Figuren aus. Mit einer Schere zu arbeiten, ist ja immer etwas Besonderes. Dann kommt vielleicht ein Kind, das mit der Schere schon gut umgehen kann und schneidet recht selbständig und ein anderes kommt und schaut sich das erst einmal an und braucht Anleitung und lernt wie es mit einer Schere umgehen kann. Die Kinder müssen nicht alle dasselbe machen und zu ein- und demselben Ergebnis kommen wie das früher in den Gruppen war. Sie dürfen individuell lernen und sich interessieren und entscheiden, was sie tun wollen. Die Vielfalt der fertigen Bastelarbeiten bereichert ja auch.
Offene Angebote zur Teilnahme an Aktivitäten
Wir haben natürlich eine ganze Reihe an Angeboten: Wir backen Kuchen, basteln Weihnachtssterne, schauen Bilderbücher an, bieten etwas aus dem Bereich „Musik“ an oder treffen uns auf der „Bewegungsbaustelle“ in der Turnhalle. Die Angebote unterscheiden sich nicht von dem Angebot früher. Aber wir bieten es offener an. Wir fragen: „Wir backen Kuchen, wer kommt mit?“ Und dann finden sich die Kinder ein, die das wirklich interessiert. So ein Bastelangebot kann manchmal auch eine ganze Woche lang dauern, je nachdem, ob die Kinder es noch länger wahrnehmen wollen.
Können die Kinder denn dann immer noch etwas Gebasteltes mit nach Hause nehmen?
Marion Selz-Fleischer: Ja, das ist immer mal ein Thema, weil die Eltern manchmal denken, wenn es kein vorzeigbares Ergebnis gibt, haben ihre Kinder hier gar nichts gelernt oder getan. Aber es geht eben häufig eher um Prozesse, als um konkrete Bastelergebnisse.
Wir bieten in unserer Einrichtung zum Beispiel einen „Morgenkreis“ an. Da treffen wir uns in der Turnhalle, singen und beten miteinander oder hören eine Geschichte. Auch Geburtstage werden dort gefeiert. Es ist aber für die einzelnen Kinder nicht verpflichtend, daran teilzunehmen. Manchmal gibt es ein Kind, das in seine Tätigkeit so versunken ist, dass es diese gar nicht aufgeben und sie lieber zu Ende führen möchte. Also kommen in den Morgenkreis nur die Kinder, die das wirklich möchten. Und die haben dann auch Spaß daran und sind voll mit dabei.
Auch den Mittagsschlaf gestalten wir heute anders als früher. Die Kinder können selbständig aufstehen, wenn sie ausgeschlafen haben. Das machen sie auch. Und dann kommen sie einfach wieder und nehmen wieder am gemeinsamen Geschehen teil. Es gibt kaum mehr Spannungen bei uns und deutlich weniger Tränen.
Wie geht es Ihren Mitarbeiterinnen mit der Umsetzung des Konzepts?
Marion Selz-Fleischer: Es war am Anfang gar nicht so leicht für uns, unsere bewährten Pfade zu verlassen und uns auf diese neue unbekannte Vorgehensweise einzulassen. Es kam uns so „ungeordnet“ vor. Vorher haben die Kinder alle immer das Gleiche gemacht und das haben wir begleitet. Mit der Partizipation und den Wahlmöglichkeiten, die das mit sich bringt, sind die Kinder wesentlich zufriedener, gehen viel leichter mit. Für uns bedeutet das, dass wir weit weniger ermahnen müssen und das gesamte Miteinander viel mehr Freude macht. Die Herausforderungen für uns liegen eher darin, dass sich das Angebot ja immer an ALLE Kinder richtet, also an alle Altersgruppen und wir flexibel genug sein müssen, dann auch altersgemäß auf die Kinder einzugehen. Aber das haben wir in der Zwischenzeit schon gut gelernt.
Funktioniert das Konzept auch manchmal nicht?
Marion Selz-Fleischer: An Grenzen stößt das Konzept bei Kindern, die nicht kommunizieren können oder sich nicht selbst fortbewegen können. Durch den engen Kontakt zu den Kindern können auch durch die nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten die Kinder ihren Neigungen entsprechend begleitet werden. Alle anderen Kinder holen wir dort ab, wo sie stehen. Wenn eines schüchtern ist, locken wir es mit einem Angebot und vor allem berücksichtigen wir bei allem die jeweiligen Fähigkeiten und Interessen des Kindes und gestalten das Angebot individuell.
Und wenn die Kinder einmal streiten?
Marion Selz-Fleischer: Auch das kommt natürlich einmal vor. Wir halten die Kinder dann dazu an, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln und miteinander zu sprechen. Natürlich helfen wir auch hier z.B. indem wir nach einem Streit darauf aufmerksam machen, dass ein Kind weint. Wir leiten also an, zu beobachten, was passiert ist und überlegen dann gemeinsam, wie man mit einer solchen Situation umgehen könnte. Wenn die Kinder nach der Kindergartenzeit in die Schule kommen, sind sie in ihrer Persönlichkeit ein ganzes Stück gefestigt, haben einen guten Zugang zu sich selbst und können ausdrücken, was sie möchten. Das ist unser Ziel.
Arbeiten mit Kindern bei Diakoneo
Die Mitarbeitenden in den 26 Kinderkrippen, Kindergärten und Horten bei Diakoneo sind ein starkes Team.
Gemeinsam entwickeln sie einrichtungsübergreifende Konzepte wie den Standard zur religionssensiblen Erziehung oder einen Standard zur Partizipation in der Kita.
In den einzelnen Einrichtungen haben die Teams Raum zur Umsetzung von spannenden Projekten wie zum Beispiel naturwissenschaftliche Montessori-Projekte oder Konzepten zur Medienpädagogik.
Alle Einrichtungen für Kinder arbeiten seit Jahren nach einem inklusiven Konzept.
Diakoneo legt großen Wert auf die Qualifikation der Mitarbeitenden. Diese entwickeln ihre Fähigkeiten und Kompetenzen in regelmäßigen Schulungen und Fortbildungen laufend weiter. Neugierig?
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