Ein spannender Schritt: Umzug in eine Wohngruppe für Menschen mit Behinderung

Annette, Johannes und Marc berichten über ihren Schritt in die Selbständigkeit



„Ausziehen gehört zum Erwachsenwerden dazu. Du kannst doch nicht bei deinen Eltern leben, bis du alt bist.“: Marc ist 23 Jahre alt und hat diesen Schritt bereits geschafft. Gemeinsam mit Annette und Johannes lebt er in einer Wohngruppe in Rothenburg. Bald wird er mit den anderen in ein neues Haus umziehen. 
Die drei erzählen in diesem Text:

Ruth Eisen-Klagges leitet den Bereich Wohnen für Menschen mit einer Behinderung in Rothenburg. Sie erklärt für Angehörige und Betreuer*innen:


Bewohner*innen erzählen: Warum sind sie von zu Hause in eine Wohngruppe umgezogen?

Drei Menschen mit Behinderung in ihrer Wohngruppe
Marc, Annette und Johannes (von rechts) leben in einer Wohngruppe.

Der folgende Text ist bewusst einfach formuliert.

Marc weiß, was er will und ist sich sehr sicher: „Ich habe gesagt: Mit 18 ziehst du aus. Raus aus dem Elternnest und rein ins Erwachsenenleben.“ 
Direkt nach der Schule ist er deshalb in eine Wohngruppe des Wohnbereiches für Menschen mit Behinderung in Rothenburg o.d.T. eingezogen. Tagsüber arbeitet Marc  in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung.

„Ich habe zweimal Probewohnen gemacht“, erzählt er. „Und nach dem zweiten Mal habe ich mich entschieden, hier einzuziehen.“

Annette ist 54 Jahre alt und wohnt seit 2018 in einer Wohngruppe in Rothenburg. Auch sie arbeitet tagsüber in der Werkstatt. Bevor sie in die Wohngruppe gezogen ist, hat sie bei ihren Eltern und später bei ihrer Schwester gewohnt.
Auch Annette hat sich nach einem Probewohnen entschieden, in die Wohngruppe umzuziehen.

Johannes ist 28 Jahre alt und wohnt seit 2012 im Bereich Wohnen in Rothenburg. Er sagt: „Am Anfang war schon alles sehr neu für mich. Aber einige Leute kannte ich schon aus der Mittwochsgruppe.“
Johannes erzählt, dass sein Vater ihm geraten hat, von zu Hause auszuziehen: „Er hat gesagt, es wäre gut für mich, wenn ich in eine Wohngruppe ziehe.“
Gemeinsam mit seinem Vater hat Johannes dann die Entscheidung zum Umzug getroffen.

Worauf freuen sie sich bei dem Umzug in das neue Haus am meisten?


Annette, Johannes und Marc werden im Frühjahr 2023 ein weiteres Mal Umzugskartons packen und in ein neues Wohnhaus umziehen, das derzeit in Rothenburg gebaut wird.
Johannes: “Jedes Zimmer ist wie ein Appartement mit einem Bad und einem Schlaf- Wohnbereich und einer kleinen Garderobe. Darauf freue ich mich schon.“
Marc ergänzt: „Jeder ist für sein Bad und Klo selbst zuständig, aber das finde ich gut.“
Im Frühjahr 2023 werden Annette, Johannes und Marc in dieses Haus umziehen:

Bauzeichnung für ein neues Wohnheim für Menschen mit Behinderung in Rothenburg o.d.T.

Wie hat der Umzug bei ihnen funktioniert?

Mensch mit einer Behinderung in seinem Zimmer in einer Wohngruppe
Marc in seinem Zimmer. Seine Eltern haben ihm geholfen, es einzurichten.

Marc erzählt: „Meine Eltern haben mir beim Packen der Umzugskartons geholfen und dann haben wir gemeinsam mein Zimmer eingerichtet.“

Alle Bewohner*innen dürfen ihre Zimmer mit persönlichen Gegenständen einrichten:

 

Frau mit einer Behinderung in ihrem Zimmer in einem Wohnheim
Annette in ihrem Zimmer. Sie hat es nach ihren Wünschen eingerichtet.
Bewohner einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung
Johannes in seinem Zimmer.

Johannes hat sein Zimmer mit seinen eigenen Zeichnungen geschmückt:

Marc sagt: „Es gibt eine Eingewöhnungszeit von drei Monaten. Man darf Besuch bekommen, aber man soll erstmal nicht nach Hause fahren. In dieser Zeit kann man sich auch an die Regeln in der Wohngruppe gewöhnen.“

Was sind die Pflichten, wenn man in einer Wohngruppe lebt?

Frau mit einer Behinderung kümmert sich um die Wäsche
Annette kümmert sich um die Wäsche in der Wohngruppe.


Marc sagt ganz klar: „Das muss einem natürlich bewusst sein: Wenn ich von zu Hause ausziehe, muss ich eventuell etwas mehr mithelfen als zu Hause.“
Johannes erzählt: „Ich habe in der Wohngruppe vieles gelernt, wie zum Beispiel Wäsche waschen oder den Umgang mit verschiedenen Putzmitteln. Ich kenne mich jetzt auch sehr gut mit der Waschmaschine aus.“
Er ist selbständiger geworden: „Am Anfang habe ich zum Beispiel beim Putzen viel länger gebraucht. Aber jetzt geht das zügig.“
Wenn jemand bei diesen Arbeiten etwas mehr Hilfe braucht, dann helfen die Mitarbeitenden gerne. Und wer neu in der Wohngruppe ist, bekommt Hilfe, bis er sich zurechtgefunden hat.
 

Mann mit einer Behinderung kocht für seine Wohngruppe
Am Wochenende wird in der Wohngruppe gemeinsam gekocht. Zusammen entscheiden die Bewohner*innen, was sie essen wollen. Dann gehen sie einkaufen und bereiten das Essen zu. Unter der Woche essen mittags alle in der Werkstatt.

An welche Regeln muss ich mich halten, wenn ich in einer Wohngruppe lebe?


Wenn man als Teil einer Wohngemeinschaft lebt, muss man sich natürlich an gewisse Regeln halten.
Marc sagt: „Was ganz wichtig ist: Wenn du unter der Woche abends ausgehen willst, dann musst du dich mit den Mitarbeitenden besprechen, wann du zurück bist. Und an die Zeit musst du dich auch halten. An den Wochenenden darf man länger wegbleiben.“
Johannes ergänzt: „Wir können auch in die Stadt gehen, einkaufen oder in den Gottesdienst gehen oder uns mit Angehörigen und Freunden treffen. Er betont: „Man muss eben auch vernünftig sein und sich an die Regeln halten. Man kann nicht einfach sagen, ich gehe jetzt zu meinen Eltern und keiner weiß Bescheid.“: Das ist Marc sehr wichtig.
Aber natürlich darf man Besuche machen, wenn man in einer Wohngruppe lebt. Man darf jederzeit nach Hause, zum Beispiel, um einen Kaffee trinken zu gehen.
Anette erzählt: „Ich war zum Beispiel am Samstag zu Hause bei meiner Schwester.“
 

Frau mit einer Behinderung macht einen Ausflug in den Wald.
Rausgehen und viele spannende Dinge erleben, so wie Annette bei einer Wanderung: Das ist kein Problem, wenn man in einer Wohngruppe lebt.

Was ist der Unterschied zwischen dem Wohnen zu Hause und dem Leben in einer Wohngruppe?


Marc weiß: „Der Unterschied ist, dass man in der Wohngruppe mit gleichaltrigen Leuten zusammen ist und zu Hause nicht. Manchmal gibt es natürlich auch Streit. Zu Hause kannst Du dann in dein Zimmer gehen. In der Wohngruppe geht man zum Mitarbeiter und sagt, dass es Streit gibt.“

Aber auch in der Wohngruppe ist das eigene Zimmer ein geschützter Rückzugsort. Johannes sagt: „Man kann bei Streit auch in der Wohngruppe ins Zimmer gehen und sich zurückziehen. Wenn es einem zu viel ist.“

Johannes sagt: „Der große Unterschied ist:  Zu Hause hat man keinen Risikoplan. In der Wohngruppe hat man einen. Das heißt, dass die Mitarbeitenden auf uns achten.“

Was ist ein Risikoplan?


Im Risikoplan steht zum Beispiel, was man alleine machen darf, wenn man unterwegs ist. Die Pläne sind für alle Bewohner*innen individuell angepasst und regeln, ob sie zum Beispiel allein in die Stadt gehen dürfen oder nicht.

Johannes ist sehr vernünftig: „Die Eltern und Betreuer haben ja einen guten Grund, zu bestimmten Dingen nein zu sagen.“
Johannes ist auch sehr aktiv: „Ich bin gläubiger Christ und gehe einmal im Monat zum Gottesdienst. Das wurde mit den Mitarbeitern so abgesprochen. Ich bin auch in der Theatergruppe und in der Mittwochsgruppe. Ich habe da Freunde und bin in einigen WhatsApp-Gruppen dabei.“

Frau mit einer Behinderung im Schnee
Mit den Freunden aus der Wohngruppe kann man viele Dinge unternehmen.

Ist es leichter Freunde zu finden, wenn man in der Wohngruppe lebt oder wenn man bei den Eltern lebt?


„Freundschaften kann man zu Hause auch finden.“, erzählt Marc. „Bei Beziehungen und Partnerschaften ist es, glaube ich, in einer Wohngruppe leichter, wenn man mit Gleichaltrigen zusammenlebt.“

Annette ergänzt: „Ich habe meinen Freund in der Wohngruppe gefunden. Wir kennen uns schon länger, aber gefunkt hat es vor einem Jahr.“

Mann mit einer Behinderung bei einem Ausflug mit seiner Wohngruppe.
Johannes bei einem Ausflug mit seiner Wohngruppe.

Was ist besser: Zu Hause bei den Eltern wohnen oder in einer Wohngruppe wohnen?


Annette ist sich sicher: „Mir gefällt es hier besser, weil ich Mitbewohner*innen habe. Ich habe bei meiner Mama gewohnt, bis ich 50 war. Dort hatte ich keine Freunde.“

Marc ergänzt: „Ich gehe gerne zu Besuch zu meiner Familie, aber da leben möchte ich nicht mehr. Ich finde es besser als bei meinen Eltern, hier hast du mehr Freiheit. Im Neubau gibt es dann auch einen Besucherraum.“

Marc hat schon genaue Pläne für den Umzug in das neue Haus: „Mein Bett nehme ich mit, aber sonst nichts. Das kommt alles in den Container und ich will es nie wiedersehen.“

Aber grundsätzlich gilt für das neue Haus sicher nicht das, was auf diesem Schild steht, das in Marcs Zimmer hängt:

Dieses Schild hängt an der Tür von Marcs Zimmer.

Für Angehörige und Betreuer*innen: Wann und warum sollte man über den Umzug in eine Wohngruppe nachdenken?

Ruth Eisen-Klagges: Das ist sehr unterschiedlich. Wir merken jetzt zum Beispiel bei den jüngeren Eltern von Menschen mit Behinderung, dass der Loslösungsprozess schneller vorangeht.
Die jüngeren Eltern sagen: „Mein Kind ist jetzt erwachsen und soll wie jedes andere Kind das Elternhaus verlassen.“
Hier hat sich in der Haltung der Eltern von Kindern mit Behinderung etwas geändert. Es ist nicht mehr der Anspruch da: „Ich muss für mein Kind ein Leben lang sorgen.“ Sondern die Haltung ist „Ein Kind mit Behinderung hat das Recht auf ein eigenständiges Leben und darf selbständig sein.“
Das ist eine sehr schöne Entwicklung und natürlich auch entlastend für die Familien.

Ruth Eisen-Klagges: In der Regel ist es so, dass sich die Eltern sich mit uns in Verbindung setzen. Sie sehen sich verschiedene Einrichtungen an und sind auch wählerisch.
Die Eltern schauen wirklich genau hin: Was erwarten wir? Was bietet die Einrichtung? Welche Einrichtung kann unsere Erwartungen erfüllen?
Von daher stehen wir deshalb auch unter einem gewissen Druck, attraktiv zu sein. Mit dem Neubau haben wir natürlich den Vorteil, dass wir Einzelzimmer anbieten können, die auch alle über ein eigenes Bad verfügen und einen eigenen Balkon oder eine eigene Terrasse.

Das ist ein Niveau, das die Angehörigen selbstverständlich erwarten. Doppelzimmer entsprechen nicht mehr dem jetzigen Standard.

  • Erster Schritt Sehen Sie sich das Objekt zusammen mit Ihrem Angehörigen an.
  • Zweiter Schritt: Die Expert*innen vor Ort erklären den Angehörigen, wie die Vorgehensweise bei der Antragstellung mit dem Bezirk Mittelfranken funktioniert. Der Bezirk ist ja in der Regel der Kostenträger. Zunächst muss ein formloser Antrag gestellt werden. Der Bezirk prüft dann, ob der Mensch mit Behinderung einen Anspruch auf einen stationären Wohnplatz hat.

Wenn das geklärt ist, dann müssen die Angehörigen einen Sozialhilfeantrag stellen.

Die Expert*innen vor Ort verfassen dann vorvertragliche Informationen. Das heißt, die Eltern beziehungsweise die Betreuer*innen erhalten eine Übersicht über die Kosten, die entstehen wie zum Beispiel Miete, Wasser, Strom…

  • Dritter Schritt: Wenn es grünes Licht von Seiten des Bezirks gibt, dann wird der Heim- und Betreuungsvertrag unterschrieben.

Außerdem besprechen die Beteiligten dann zum Beispiel: Bringt der Interessent eigene Möbel mit oder benötigt er Möbel?  Denn jeder Interessent kann natürlich eigene Möbel mitbringen.

Ruth Eisen-Klagges: Ja, das ist auschlaggebend. Der/die künftige Bewohner*in muss signalisieren: „Ich möchte ausziehen und hier leben.“

Wenn der Wunsch noch nicht da ist, gibt es oft auch eine Angst vor dem Schritt in die Selbständigkeit. Dann muss man das Kennenlernen anbahnen. Dafür haben wir verschiedene Angebote:

  • Zum Beispiel, dass der/die Interessent*in zum Kaffeetrinken eingeladen wird.
  • Oder dass er eine Nacht oder ein Wochenende als Gast in der Wohngruppe verbringen kann.
  • Oder dass er zu bestimmten Aktionen eingeladen wird, z.B. zu den Sportgruppen, wenn er an Sport interessiert ist.

Durch diese Angebote kann dem/der künftigen Bewohner*in die Angst vor dem Neuen genommen werden.

 „Diese Ängste muss und kann man Schritt für Schritt abbauen“, weiß die Expertin. „So kann man eine Vertrauensbasis anbahnen.“

Ruth Eisen-Klagges: Man sollte eine gewisse Selbständigkeit mitbringen. Es ist die Aufgabe der Bewohner*innen, sich selbst um die Ordnung in ihren Zimmern zu kümmern. Außerdem helfen sie beim Einkaufen mit und auch dabei, in der Wohngruppe Ordnung zu halten.

Das neue Wohnheim  ist ein Angebot für Menschen, die tagsüber in die Werkstatt gehen oder in die Förderstätte. Das neue Wohnheim wird ein Selbstversorgerhaus sein. Das heißt unter der Woche essen die Bewohner*innen mittags in der Werkstatt oder in der Förderstätte. Am Wochenende versorgen sie sich selbst mit Essen, ebenso wie sie für das Frühstück und das Abendessen auch unter der Woche selbst sorgen.

Die Mitarbeitenden kochen mit den Bewohner*innen, die sich für das Kochen interessieren. Das Gleiche gilt für die Reinigung der Zimmer: Eine/r der Mitarbeitenden ist dabei, unterstützt und gibt eine gewisse Struktur vor.

Aber sehr viel wird gemeinsam mit den Bewohner*innen erledigt. Für die Grundreinigung sind natürlich auch noch Reinigungskräfte angestellt.

Umzug in ein neues Wohnhaus

Ebenso wie Annette und Johannes wird Marc im Frühjahr 2023 wieder umziehen. In Rothenburg entsteht zur Zeit eine neues und modernes Wohnhaus für Menschen mit Behinderung.
Für dieses Haus werden noch neue Mitbewohner*innen gesucht:
Zuhause in Rothenburg

Wo werden bei Diakoneo derzeit neue Wohnhäuser gebaut?

Kleine, überschaubaure Häuser, die mitten in den Städten und Gemeinden angesiedelt sind: So sieht modernes Wohnen für Menschen mit Behinderung aus.
So können sie leichter am Leben in ihrem Heimatort teilnehmen und gehören ganz selbstverständlich dazu.
Bei Diakoneo entstehen derzeit einige neue Wohnhäuser, die diesen Anforderungen entsprechen. Die Karte bietet einen Überblick über die einzelnen Projekte.

Ruth EisenKlagges leitet die Förderstätte für Menschen mit Behinderung in Obernzenn/ Rothenburg.
Ruth Eisen-Klagges leitet den Wohnbereich für Menschen mit Behinderung in Rothenburg-Obernzenn.