Predigt zum Pfingstsonntag, 28. Mai 2023

Liebe Gemeinde!

Ohne Atem ist kein Leben möglich. Wir brauchen Sauerstoff, die Kraft des Lebens. Erwachsene atmen etwa 13 Mal in der Minute, also 20.000 Mal am Tag, Kinder etwas mehr, 30.000 - 35.000 Mal am Tag.

Der erste Schrei eines Neugeborenen zeigt, dass es lebt und gesund ist. Ein Grund zur Freude und vor allem große Erleichterung bei den Eltern.

Der letzte Atemzug im Leben ist meist ganz ruhig, ein Stillwerden, ein Aushauchen, der Atem erlischt, und der Körper findet seine ewige Ruhe.

Ein schönes Bildmotiv aus dem Park im Wildbad Rothenburg zeigt uns einen wunderbaren Waldhang. In diesen Tagen, bei diesem herrlich sonnigen Wetter, lädt uns die Natur ein, spazieren zu gehen. Im Wald ist das an warmen und sonnigen Tagen besonders schön. Wir können förmlich den Sauerstoff in der Waldluft spüren, wie wir ihn einatmen, wie er in unsere Lungen strömt und uns Kraft gibt.

Vor ein paar Wochen noch plagten mich die Birkenpollen und haben mir eher die Luft zum Atmen genommen. Ich war über jeden Regentropfen froh. Für Allergiker ist dies oftmals eine belastende Zeit. Aber jetzt ist die Frühblüher-Zeit vorbei, und ich freue mich über jeden Sonnenstrahl.

In diesen Tagen stehen die Bäume schon voller Laub, und wir können das Rauschen der Blätter hören. Wir werden es noch oft besingen, wie in dem Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“.

Vielleicht geht es Ihnen ähnlich wie mir: Ein entspannter Spaziergang im Wald, das Verweilen auf einer schönen Bank, der Geruch des Waldbodens und der Natur sowie das Rauschen des Windes, das Rascheln der Blätter, mal sanfter, mal kräftiger – für viele ist die Begegnung mit der lebendigen Natur eine Begegnung mit Gott! Der Wind hat eine beinahe spirituelle Kraft, und wenn er so weht, bläst er uns an, streicht sanft über Haut und Gesicht. Wir spüren ihn, ober er warm, kalt, staubig oder frisch ist. Er fasst uns an und nimmt uns ein Stück mit sich mit, bis er wieder fort ist.

Im Neuen Testament gibt es eine kleine Geschichte, die davon erzählt. Der Pharisäer Nikodemus fragt Jesus nach dem Wirken des Heiligen Geistes und Jesus antwortet ihm:

8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Rauschen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt, du kannst es dir nicht erklären.

So ist es mit allen, die aus dem Geist geboren sind. Sie werden überrascht vom Geist Gottes.

9 Nikodemus ist verwundert und antwortet Jesus: Wie mag das zugehen?

(Aus dem Johannesevangelium 3, 8-9, Luther-Übersetzung 2017, übertragen und erweitert.)

Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Rauschen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt, du kannst es dir nicht erklären. -

Diese Worte spiegeln ein wenig das Rätsel um den Heiligen Geist wieder. Denn er wird in der Bibel als ein Rauschen, als ein Sturm beschrieben, in der Apostelgeschichte sind es kleine Feuerzungen, die sich auf die Jüngerinnen und Jünger niedersetzen und sie ermächtigen, in allen Sprachen zu reden. Es ist ein berauschendes Ereignis, das zum Gründungstag der jungen Kirche durch den Heiligen Geist wird.

Die Jüngerinnen und Jünger waren überrascht und verwundert, bis sie merkten, es ist der Geist Gottes, der auf sie ausgegossen wurde, damit sie das Reich Gottes verkündigen sollen.

In der Heiligen Schrift ist der Wind die schöpferische Kraft Gottes. Er schwebt zum Anbeginn der Schöpfung der Erde über dem Wasser. Beinahe 400 Mal zählen wir den Atem Gottes in der hebräischen Bibel – Ruach – Atem Gottes, Kraft Gottes, Wind oder Geist Gottes. Es gibt viele Übersetzungen. Sie ist die belebende Kraft Gottes, aber sie kann auch zum Sturm ausarten und steht dann für die dunklen Seiten des Lebens.

In einer älteren Form der Trauer-Liturgie haben wir den Psalm 103 gebetet:

„Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind (Ruach) darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.“

Und doch glauben wir, wenn dieser Wind Gottes, die Ruach, Menschen mit sich nimmt, so sind sie nicht mehr Teil dieser Welt, doch bei ihm friedvoll aufgehoben und gut in seiner Liebe geborgen.

Wer ist dieser Wind, der bläst, wann und wo er will? Wer ist dieser Heilige Geist? - Für uns Christinnen und Christen ist es Kraft Gottes. Weniger sichtbar und greifbar, weniger als Person zu erkennen. Jesus Christus und Gott Vater sind in ihrer äußeren Gestalt konkreter, menschlicher - besonders Jesus.

Der Heilige Geist wird oft dargestellt durch die Taube, durch Feuerzungen, über das Wasser der Taufe oder eben mit Wind, Kraft und Sturm beziehungsweise als der Atem Gottes, der uns allen das Leben schenkt.

  • Kann es nun sein, dass dieser Wind Gottes, dieser Atem Gottes, der uns bei jedem unserer Atemzüge trifft, auch der Atem Gottes ist?
  • Kann es sein, dass Gottes Atem in allem ist, was er auf dieser Welt geschaffen hat?
  • Kann es ein, dass Gott mir hin und wieder Gedanken schickt? Dass er mich anregt, belebt und in Bewegung bringt?

Jeder Atemzug verbindet uns mit Gott. Es klingt vielleicht ein wenig spirituell, ein wenig mystisch, aber es darf so sein.

  • Das tiefe Einatmen im Wald, um die Lungen voll Sauerstoff zu füllen und die Lebenskraft des Atmens in uns zu spüren.
  • Ein tiefer Seufzer, um so manches Klagewort auszusprechen, auszuatmen, loszulassen. Vielleicht sogar ein kehliger Schrei, um schmerzende Worte der Trauer auszusprechen.
  • Ein fröhliches Singen, inspiriert vom Pilgern oder Wandern, als Ausdruck der Freude über die schöne Natur,
  • vielleicht sogar in Gemeinschaft, mit Freundinnen und Freunden, der Familien oder Menschen, die wir unterwegs treffen.

Gottes Geist weht. Wir können ihn spüren im Leben dieser Welt:

  • im Rascheln der Blätter im Wald,
  • in der Musik,
  • im gemeinsamen Gespräch,
  • wenn Menschen Leben und Liebe miteinander teilen,
  • sich beseelen lassen vom Geist des Lebens,
  • wenn wir Gott einladen, in unsere Mitte zu kommen.

Gottes Geist weht mal kräftiger, mal sanfter – er fördert das Leben, er dient dem Leben, er schafft es neu, mit jedem Atemzug Gottes. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir nun Christinnen und Christen sind, dem Islam angehörigen, dem Zen-Buddhismus folgen oder dem Hinduismus.

Diese Gedanken, die Beachtung des Atmens, das findet sich so oder ähnlich in allen Religionen und Kulturen dieser Welt wieder. Ich bin mir sicher, dass wir hier etwas Gemeinsames und Verbindendes finden und teilen können, denn der Geist Gottes ist der Atem der Welt, der Atem aller Menschen, hier in St. Laurentius, in unseren Häusern, in Neuendettelsau und darüber hinaus.

Amen.