Predigt vom Kirchweihsonntag, 8. August 2021

Predigt zur Offenbarung des Johannes 21, 1-5; 10. Sonntag nach Trinitatis, 8. August 2021, Kirchweihe, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille um den Segen aus Gottes Wort bitten. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Gottesdienst im Kindergarten. Junges Leben, und Emil hat sogar Geburtstag. Wir singen: „Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst.“ Es ist notorisch schief geträllert, aber die Kinder lieben dieses Lied. Ich sage: „Bald hat unsere Kirche Geburtstag.“ Die Kinder kichern, große Augen. Emil ist skeptisch: „Wie kann denn eine Kirche Geburtstag haben? Die lebt doch gar nicht! Ist doch nur aus Stein!“

Geburtstag feiern wir heute. Können wir auch singen: „Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst?“

Das Lied gefällt mir, weil es auf wunderbare Weise auf die Widersprüchlichkeit seines Anlasses eingeht: Die Freude der alljährlichen Wiederkehr des Tages, an dem ein Mensch das Licht der Welt erblickt: Geburtstag eben. Widersprüchlich ein wenig, weil ein Mensch – wenn er nicht geboren wurde – eigentlich auch nicht vermisst werden kann, bestenfalls erwartet. Oder ist es doch ganz anders? Kann ich etwas vermissen, was es gar nicht gibt?

Wir feiern Geburtstag – in ihrem heutigen Zustand feiert unsere Kirche ganze 91 Lenze. Hätten wir sie vermisst, wenn sich das Mutterhaus dazu entschieden hätte, eben nicht zu bauen, sondern im Familienzimmer als Ort der geistlichen Zusammenkunft zu bleiben?

Widersprüchlich, unerwartet, unglaublich, denkwürdig. Das sind Wörter, dir mir einfallen, wenn ich an unseren Predigttext denke. Worte – sehr vertraut, bekannt und doch merkwürdig entrückt - in eine ferne Zukunft blickend, nicht direkt einsichtig und der greifbaren Erfahrung geradezu widersprechend.

Widerspruch - gerade in Glaubensdingen ein sehr konkretes Problem. Geradezu greifbar. Der scheinbar moderne Mensch hat es schwer. Religion ist – allen Beschwichtigungsversuchen zum Trotz – nicht gerade in. Gott, ein nichtweltliches Wesen, Leben jenseits der Todesgrenze – das alles verfängt nicht mehr. Dabei weiß sich der Glaube gerade an das Geheimnisvolle gebunden. Der Glaube entdeckt im Verborgenen das Göttliche: im Mann von Nazareth Gottes Sohn, in der Beichte den Freispruch Gottes, in der Hostie den gegenwärtigen Herrn, in den Kirchen einen heilvollen Ort der Gegenwart Gottes in dieser Welt.

Darum feiern wir Geburtstag. Gott ist größer als irdische Bauten und nicht von dieser Welt. Und doch hat sich Gott immer wieder an innerweltliche Größen gebunden: an das Volk Gottes, an Jesus Christus, die Heilige Schrift und an die Kirche. Darin unterscheidet er sich von anderen Gottesvorstellungen. Gott macht sich dem Glaubenden erfahrbar und greifbar – freilich für den Unglauben und Irrtum auch verwundbar und verwechselbar. Gott ist überall und kann doch erfahren werden: in den biblischen Geschichten, in den Liedern und in der Architektur unserer Gotteshäuser. Aus diesem Grund ist eben gar nicht nebensächlich, wie unsere Kirchen und Gemeindehäuser aussehen und dass wir Kirchweih feiern.

Freilich: Geburtstage sind merkwürdige Tage. In der Regel feiert man sie gern. Und doch schleicht sich mit den Jahren ein seltsames Gefühl ein. Das ist in der privaten Feier nicht anders als in einer öffentlichen. Was ist hier nicht alles passiert! Wer hat hier nicht alles gebetet! Was hat sich nicht alles verändert! Manch einer vermisst die Kirche schon heute. Zu viele Abschiede, zu viele Veränderungen! Ist das eigentlich noch meine Kirche? Begehen wir unsere Kirchweih nicht voller Widersprüche? Brauchen wir unsere Kirche eigentlich noch? Können wir singen: „Wie schön, dass du geworden bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst?“

Kirchen können vermisst werden. Davon bin überzeugt. In meiner alten Heimat ist in den letzten Wochen eine Kirche entwidmet – außer Gebrauch gesetzt - worden. Ein sehr seltener Vorgang auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und doch merkwürdig bewegend. Die Kirche stand Jahre leer und wurde schlichtweg nicht mehr gebraucht. Dabei waren nicht einmal Kirchenaustritte oder ähnliche Gründe die Ursache. Eher hatte sich der Ort verschoben. Die Kirche stand in einem ehemaligen Industriegebiet, und dieses gab es nun nicht mehr. Fabriken und Häuser wurden abgerissen, und am Ende stand die Kirche wie auf einer Insel von Straßen: verlassen. Es gab und gibt keine Menschen mehr, die sich dort hätten versammeln können.

Und doch taten sich die Menschen schwer mit der Aufgabe. Eine verfallene Kirche endgültig aufgeben, das war schwer, und bittere Diskussionen folgten. Im letzten Gottesdienst war die Kirche noch einmal gefüllt. Gefüllt wie lange schon nicht mehr.

Scheinbar gibt es ein unabänderliches Gefühl dafür, was wir brauchen, selbst dann, wenn wir es nicht gebrauchen. Ein Phänomen, dass in Kirchenräumen immer wieder anzutreffen ist. Selbst wenn Menschen keinen Bezug zur Kirche haben, wissen sie, dass ein Kirchenraum ein besonderer Ort ist. Sobald sie die Kirche betreten, ändert sich ihr Habitus: Die Schritte werden kleiner, die Geschwindigkeit wird langsamer, die Lautstärke geringer.

Die Kirche in meiner Heimat – die nun keine mehr ist – stand zuletzt wie eine Insel im Meer der Straßen. Ein trauriges Bild und doch ein tröstliches. Zuletzt wurde sie entwidmet. Zuletzt – als keiner mehr da war, war sie doch noch da. Wie ein Ausrufezeichen.

Auch, wenn an vielen Orten über Kirchenverkäufe nachgedacht werden muss, wenn die Kirche auch in manchen Regionen Deutschlands ihre Zelte abbricht, ist das noch nicht das Ende. Der Glaube erblickt in dieser Welt nicht das Letzte. Diese Welt und ihre Irrtümer dürfen getrost vergehen. Freilich mag das schmerzhaft sein. Und doch ist unser Predigttext fern jeder düsteren Weltuntergangsstimmung. Das Vergehen der Welt wird zwar nicht geleugnet, aber sie ist von vorneherein durch die österliche Hoffnung überstrahlt.

Alles was uns jetzt nur schemenhaft und verborgen vor Augen steht und manchen Widersprüchen unterworfen ist, wird dann vorbei sein. Gott ganz nah. Gott bei uns und wir bei Gott.

Diese Vorfreude darf uns bereits heute froh machen. Heute in unserer schönen Kirche, heute an Kirchweih.

Lasst uns hören auf unseren heutigen Predigttext. So steht geschrieben in der Offenbarung des Johannes im 21. Kapitel:

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Dinkel, Christoph (Hg.): Im Namens Gottes. Kanzelreden. Zweite Predigtreihe. Stuttgart 2009.

Korsch, Dietrich/Charbonnier, Lars (Hg.): Der verborgene Sinn. Religiöse Dimensionen des Alltags. Göttingen 2008.

Nassehi, Armin: Die gebaute Präsenz der Kirchen und die soziale Präsenz des Religiösen. In: Kirche Kunst, 92. Jahrgang (1/2015), 4-15.

Vogt, Gottfried: Das heilige Volk. Homiletische Auslegung der Predigttexte der Reihe II. Berlin 1979. 

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