Predigt vom 3. Sonntag nach Epiphanias, 26. Januar 2020

Predigt zur Jahreslosung; 3. Sonntag nach Epiphanias, 26.01.2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

[Einführung]

Liebe Gemeinde,

„Das Kreuz ist noch da. Schmal und hoch hängt es an der Wand hinter dem Altar der protestantischen West Hill United Church. Ein Sonntagvormittag Ende März, in den nächsten anderthalb Stunden wird hier viel gesungen und gelacht, es wird vom Klimawandel und der "Verwobenheit des Lebens auf der Erde" gesprochen, von Not und Freude und Liebe, viel von Liebe. Der Name Jesus fällt kein einziges Mal an diesem Vormittag.“ – „Der Himmel ist leer“, so titelte Der Spiegel im vergangenen Jahr.

Der moderne Mensch hat es offensichtlich schwer mit den Traditionen des Christentums. „Muss ich das glauben“ – davon haben wir letzte Woche gehört. Jungfrauengeburt und Blut Christi, Heiliger Geist und Himmelfahrt: Diese Bilder haben es schwer, und in manchen Kirchen werden sie bereits in die Kisten verpackt.

Und doch: Ohne Bilder scheint es auch heute nicht zu gehen. Bildlos sind wir nicht. Nie wurden so viele religiöse Bilder produziert wie heute. Nie wurde mehr geglaubt als in der Gegenwart: Als Sinnbastler baut sich der moderne Mensch seine private Glaubenswelt, verknüpft etwa alte christliche Vorstellungen mit Symbolen und kultischen Praktiken anderer Religionen. Veranstaltet im Gemeindehaus Yoga-Abende oder entwickelt in interreligiösen Dialoggruppen die Bereitschaft, Verschiedenes zu einer neuen, humanistischen Glaubenshaltung zusammenzufügen. Alles Mögliche – Politisches wie Kunst – all das kann religiös aufgeladen werden. Manche predigen Gesundheit als höchsten Wert und sehen im Bio-Müsli eine heilige Speise, gleichsam ein Abendmahl.

Und der Glaube? Der christliche Glaube hat nichts gegen Bio-Müsli oder Männer-Yoga im Gemeindehaus. Christlicher Glaube hat auch nichts gegen Politik oder Sinndeutungen. Aber – und das ist der feine Unterschied - christlicher Glaube ist eben nicht Politik oder soziale Gerechtigkeit, Klimakrise, Ethik oder Lebensführung. Was der Glaube ist, davon spricht in einzigartiger Weise unsere Jahreslosung: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

II

Ich betrete ein Krankenzimmer, klopfe an und treffe auf ein Dreibettzimmer. In der Mitte des Raumes liegt eine Frau, gezeichnet an Leib und Seele. Ich stelle mich als Seelsorger vor und sage, dass ich – sofern sie möchte – Zeit für sie habe. Sie überlegt, winkt ab, und ich möchte den Raum schon wieder verlassen, und plötzlich passiert es. Sie öffnet sich und erzählt von ihrem Leben.

Die nächste halbe Stunde bekomme ich große Teile ihres Lebens geschildert: Heimat, Schule, Berufsausbildung, Familiengründung und beruflicher Werdegang. Sie ist richtig erfolgreich; konnte Familie und Karriere gut unter einen Hut bekommen. Und doch, doch ist die Krankheit da. Oder besser gesagt: Die Krankheit, die ist wieder da. So oft lag sie schon im Krankenhaus, viele Operationen, Besserung und dann erneut ins Krankenhaus.

„Ich verstehe das nicht“, sagt sie. „Ich habe den Glauben verloren.“ Sie hat gebetet und gehofft. Doch es war alles Beten und Hoffen vergeblich. An diesen gefühllosen und ohnmächtigen Gott kann sie nicht mehr glauben.

Von unzählig vielen Menschen ließe sich erzählen, die das Gefühl hatten, vergeblich geglaubt haben, es schließlich aufgegeben haben, zu glauben. Sie meinen, Gott schläft, er schweigt, er tut nichts. Kann er nicht oder will er nicht?

Der christliche Glaube hat sich stets davor gehütet, an einen Gott zu glauben, der willkürlich in die Welt eingreift, rettend oder auch vernichtend, je nachdem, ob die Menschen an ihn glauben oder eben nicht. Wer den christlichen Glauben so deutet, kommt schnell in große Not. Solcher Glaube ist Flucht aus dem Glauben. Man hofft darauf, dass Gott einspringt, wenn man am Ende seiner Möglichkeiten ist.

Wirklicher Glaube hat keine Absicherung an Heilstatsachen und Wunderereignissen. Auch in der Kirche sein hilft nicht. Christlicher Glaube ist auch kein Für-Wahr-Halten kirchlicher Dogmen oder das stete Bejahen kirchlicher Sprache.

Christlicher Glaube ist grundloses Grundvertrauen. Das trotzige Dennoch in unserem Leben. Und so bringt der Vater seinen besessenen Sohn zu Jesus. Völlig verzweifelt solidarisiert sich der Vater mit seinem Sohn und sucht nach Auswegen. Und der Vater weiß, dass es nicht sein Glauben ist, der das Wunder vollbringt. Nicht ein: Ich glaube! – sondern ein: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Glaube ist keine religiöse Leistung des Menschen, sondern Preisgabe aller Leistungen vor Gott. Im Glauben wird sichtbar: Ich bin nicht Gott, ich habe es nicht in der Hand, ich brauche Hilfe.

Das ist Glaube: An Gott festhalten. Und zu diesem Glauben gehört der Zweifel – oder theologisch gesprochen - die Anfechtung immer dazu. Zweifel gehört mit dem Glauben, der wirklich glaubt, zusammen. Von daher ist der Zweifel eher ein Ausweis für den rechten Glauben. Denn ohne Glauben gäbe es gar keinen Zweifel. Der Zweifel an Gott setzt den Glauben bereits voraus.

Gott und Glaube sind nicht Menschenwerk. Nicht ich glaube an Gott, sondern Gott glaubt an mich. Ohne einen Glauben könnten wir gar nicht verzweifeln. Können wir diesen Glauben verlieren? Nein, diesen Glauben kann im Grunde kein Mensch verlieren. Das ist das Fröhliche am Glauben.

III

Der Mensch lebt davon, dass er sich ausdrückt und sein Leben gestaltet. Das ist in Lebensdingen nicht anders als in Glaubensdingen. Wie drücken wir unsere Liebe aus? Mancher Blumenstrauß hat schon Wunder bewirkt. Das ist im Glauben ebenso. Die Sehnsucht nach Gott verlangt danach, in Literatur, Kunst und Lebensführung konkret zu werden.

Gott braucht so etwas nicht, aber wir brauchen das. Die Gestaltwerdung des Glaubens will uns eine Hilfe geben. Denn sie will eine Vergewisserung sein, dass der Glauben im Leben eine Rolle spielt. Und das nicht nur im Privaten: Kirchen, Gottesdienste und Tageszeitgebete, Rituale, die biblischen Geschichten, das Glaubensbekenntnis, die Musik, unsere Tracht und unser Ornat. Sie alle weisen darauf hin, es gibt eine Wahrheit, die größer ist als das, was wir Menschen hier auf Erden mit eigenen Gedanken und Händen gestalten können. Ich brauche die Bilder … vielleicht gerade die mir fremden, um immer wieder den Glauben zu entdecken.

Freilich: In manchen christlichen Kreisen werden hingegen andere Aspekte betont: „Gott beschenkt zwar den Menschen, aber der Mensch muss dieses Geschenk auch annehmen“. Und: „Der Gehorsam ist das Wichtigste. Es kommt darauf an, dass wir Gott gehorchen.“ Beide Akzentsetzungen sind problematisch und führen schneller und häufiger als viele denken in gesetzliche Engstirnigkeit. Das Annehmen des Glaubens wird in den Vordergrund gestellt, nicht die Überraschung und Freude, dass ich glauben darf. Und die Vorrangstellung des Gehorsams führt bei vielen Christen zu einem dauerhaft schlechten Gewissen und dem deprimierenden Eindruck: „Ich bin Gott nicht gut genug. Ich könnte noch viel mehr tun, als ich tue. Häufig wird gefragt: Muss ich meinen Glauben nicht als Erwachsener in einer Taufe besiegeln?“

Das alles ist nicht christlicher Glaube. Und diese Bilder gehören wirklich in den Keller. Glaube geht dem Menschsein voraus, und das wird in der Taufe mit allen Sinnen gefeiert. In der Taufe wird sichtbar, dass es nichts gibt, was uns von Gott trennt.

Aus diesem Grund bringen wir unsere Kinder am Lebensbeginn zur Taufe. Die Taufe macht unseren Glauben sichtbar, aber sie begründet nicht den Glauben. Die Taufe bleibt ein Ausdruck und ein Bild des uns immer vorausgehenden Glaubens.

IV

„Das Kreuz ist noch da. Schmal und hoch hängt es an der Wand hinter dem Altar der protestantischen West Hill United Church. Es wird vom Klimawandel und der "Verwobenheit des Lebens auf der Erde" gesprochen, von Not und Freude und Liebe, viel von Liebe. Und was ist mit dem Gekreuzigten, Jesus Christus? Der Name fällt kein einziges Mal. Der Gott der Bibel hat in der Kirche von West Hill keine Heimat mehr.“

Schade, finde ich … Denn gerade der christliche Glaube, seine Geschichten und Bilder lehren mich: Ich weiß es nicht besser oder ich kann es auch nicht besser als die anderen Menschen, die nach bestem Wissen und Gewissen ihr Dasein führen. Was mich als den glaubenden und getauften Christen von anderen unterscheidet, ist das Bewusstsein einer Freiheit: Ich muss mich nicht selbst um das Gelingen meines Lebens mit letzter Anstrengung sorgen. Ich darf darauf vertrauen, dass Gott für mich da ist.

Dem glaubenden und getauften Christen ist bewusst: In der Welt gibt es keine Erlösung. Gott sei Dank! Von daher muss er die Welt auch nicht mit heilversprechenden Lebensprogrammen und ständig neuen Bildern erlösen. Ein Christ tritt nicht in fanatischer Weltverbesserungsleidenschaft auf. Er geht die Lebensprobleme nicht mit Verbissenheit und Unnachsichtigkeit an, als ginge es immer wieder um das Letzte, das Entscheidende und das Ganze.

Christlicher Glaube hat eine heilsame Distanz zur Welt - oder in den Worten unserer Jahreslosung: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

· Schmidthals, Walter: Das Evangelium nach Markus. Kapitel 9,2-16 (ÖTKNT 2/2), Gütersloh 1979.

· Hempel, Johannes: Das Bild in Bibel und Gottesdienst, Tübingen 1957.

· Drehsen, Volker: Rechtfertigungsgeschichten. Protestantisch predigen, Gütersloh 2002.

· Schwarz, Reinhard: Martin Luther. Lehrer der christlichen Religion, Tübingen 2015.

· Der Spiegel Nr. 17 / 20.4.2019.

· Hirsch, Emanuel: Weltbewusstsein und Glaubensgeheimnis, Berlin 1967.

· Hirsch, Emanuel: Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938.

· Gräb, Wilhelm: Predigtlehre. Über religiöse Rede, Göttingen 2013. ® Predigtarchiv der Theologischen Fakultät der Humboldt Universität Berlin

GEO KOMPAKT Nr. 16 -09/08 - Glaube und Religion.
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