Predigt vom 18. Sonntag nach Trinitatis, 11. Oktober 2020

Predigt zum 5. Buch Mose 30, 11-14; 18. Sonntag nach Trinitatis, 11. Oktober 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Norbert Heinritz

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext steht im 5. Buch Mose 30, 11-14:

11 Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. 12 Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? 13 Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? 14 Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Liebe Gemeinde,

wissen Sie, welcher Festtag bei unseren jüdischen Brüdern und Schwestern heute gefeiert wird? Wahrscheinlich nicht. Ich hätte es auch nicht gewusst, wäre ich nicht bei der Vorbereitung dieser Predigt darauf gestoßen. In diesem Jahr fällt genau auf den heutigen Sonntag der jüdische Festtag mit dem Namen „Simchat Thora“ – übersetzt heißt das: Die Freude an der Thora. Nach dem jüdischen Laubhüttenfest, das gestern am Sabbat zu Ende gegangen ist, kommt noch einmal als ein Höhepunkt dieser große Freudentag am Gesetz des Herrn. Es wird in der Synagoge der letzte Vers der Thora, also der letzte Vers des 5. Buches Mose, aus der Schriftrolle vorgelesen. Dann wird diese feierlich ganz an den Anfang zurückgerollt und wieder mit den ersten Worten der Bibel begonnen: Bereshit bara Elohim et hashamayim ve'et Haarez - Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Simchat Thora – die Freude am Wort Gottes. Genau diese Stimmung will uns auch unser Bibelwort aus dem 5. Buch Mose heute vermitteln. Die Freude an den Geboten und Weisungen Gottes.

Aber geht das: Freude an Geboten und Weisungen? In vielen modernen Ohren klingt das nach Vorschriften und Gängelei. Ist das nicht das Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung? Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht begehren, nicht neidisch sein. Und auch noch den Feiertag heiligen… Ist das nicht saure Moral anstatt großer Freude?

Meine Konfirmandinnen und Konfirmanden mussten natürlich die 10 Gebote auswendig lernen. Ich glaube nicht, dass es Ihnen so große Freude gemacht hat. Ein Lachen war aber dann auf ihrem Gesicht, wenn sie die Gebote fließend aufsagen konnten.

Ich habe immer versucht, den jungen Leuten deutlich zu machen, dass diese Gebote keine Gängelei, sondern ein großartiger Schutzraum sind. Du wirst geschützt, dass du nicht einfach getötet wirst, bestohlen, betrogen, missgünstig beäugt und so weiter. Die Gebote schenken Freiheit und Leben. Das haben die Jugendlichen dann schon verstanden.

In einem Zeitungsbeitrag vor ein paar Jahren habe ich von einer Asylbewerberin aus Somalia gelesen. Sie wurde wie einige andere danach gefragt, was ihr in Deutschland am besten gefällt. Ihre überraschende Antwort war: Dass man an der roten Ampel stehen bleiben darf. In Somalia hatte sie bei der Straßenüberquerung Angst, erschossen zu werden.

Ohne Gebote, ohne Regeln, ohne einen geordneten Rahmen ist ein gutes gemeinsames Leben und gemeinsames Arbeiten unmöglich.

Die Freude an den Geboten, die Freude am Wort Gottes will uns unser Bibelwort heute vermitteln. Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun?

Mit anderen Worten: Du musst dich nicht wahnsinnig strecken und nicht unendlich weit laufen. Gottes Wort, seine Gebote sind dir nah. Doch wo ist der Ort, wo du ihnen begegnest?

Vier dieser Orte meine ich in unserem Bibelwort zu entdecken: Die Ohren, den Mund, das Herz und die Hände.

Unsere Ohren. Wir können hören. Wir können Gottes Wort hören, ganz konkret am Sonntagmorgen im Gottesdienst oder bei täglichen Andachten. Höhepunkt im Gottesdienst ist die Lesung aus der Heiligen Schrift. Deshalb stehen wir dazu auf. Der Glaube lebt aus dem Hören, sagt Paulus. Hören bedeutet, in Kontakt zu treten. Hinhören, zuhören, das ist Kontakt mit anderen Menschen und darüber dann auch Kontakt mit Gott. Wie gut kann einem der Austausch über ein Bibelwort tun! Wie tief kann einem ab und an ein Gedanke aus einer Predigt treffen! Wie bedeutsam können einem Bibelworte werden!

Unser Mund. Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen. Mit dem Mund ist in unserem Bibelabschnitt das Rezitieren von Bibelworten gemeint, also das wiederholte Vor-Sich-Hersagen. Im jüdischen Glauben hat das ein große Tradition. Durch dieses wiederholte Vor-Sich-Hersagen fallen die Worte tief in die Seele.

Vielleicht kennen Sie das von Liedern. Am Anfang ist ein Lied neu. Dann singt man es immer wieder. Dann setzt es sich wie ein Ohrwurm fest. Und irgendwann singt und klingt es in einem ganz von selbst.

So kann das mit dem Vaterunser sein oder mit liebgewordenen Psalmen oder mit anderen Bibelworten. Es sind dann Worte, die man noch im Schlaf kann. Nicht durchs Nachdenken und Grübeln, sondern einfach durch das praktische Wiederholen fallen die Worte tief in die Seele. Und dann sind sie einem ganz nah, ein Schatz, den man dann immer bei sich hat, auch wenn einem ansonsten die Worte fehlen.

Und unser Herz. Im Hebräischen ist das Herz nicht der Sitz des Gefühls, sondern vor allem der Sitz des Verstandes. Wenn hier vom Herzen die Rede ist, heißt das: Es ist gut, den Sinn der Gebote und des Wortes Gottes auch zu verstehen. Zum Rezitieren der Worte mit dem Mund kommt dazu, immer wieder auch zu verstehen versuchen, was Gottes Wort, was seine Gebote in jeder neuen und anderen Situation zu bedeuten haben. Hier und jetzt.

Das oberste Kriterium dafür ist die Liebe. Paulus sagt: Wenn ich alle Erkenntnis hätte und allen Glauben – wir können sicher auch ergänzen: wenn ich alle Gebote halten würde – und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Und die Hände. …dass wir es hören und tun. Darauf läuft es ja hinaus, dass Gottes Wort und seine Gebote Folgen in unserem Leben, in unserem Tun und Lassen haben. Lasst uns nicht Lieben mit Worten, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit, heißt es im ersten Johannesbrief. Diakonie ist ja gerade das: zur Tat gewordenes Wort.

Ohren, Mund, Herz und Hände – Vier Orte für Gottes Wort, die zusammengehören.

Ich habe mir gedacht: Ohren, Mund, Herz und Hände – das ist auch gut für einen Seelsorger. Denn was ist Seelsorge? Seelsorge heißt:

Ein offenes Ohr haben, hinhören, Zeit haben zum Zuhören und Nahesein.

Und auch den Mund aufmachen, die rechten Worte finden, Mut machen, auch mal Kritisches sagen.

Und immer mit dem Herzen dabei sein, versuchen zu verstehen, was den anderen bewegt, sich einfühlen und den anderen wertschätzen.

Und ab und an auch die Hände des anderen halten und die Hände falten und die Hände zum Segen auflegen, Gottes Nähe leiblich spüren lassen. In Coronazeiten ist das freilich schwierig. Es ist die Herausforderung für die Seelsorge unserer Tage, Abstand zu wahren und trotzdem nahe zu sein. Wie gut mir das gelingen wird? Wir werden sehen.

„Simchat Thora“ feiern heute die Juden – die Freude an der Thora. Ausgelassen wird da gefeiert. Es wird getanzt und gesungen. In Israel tanzen sie mit der Thorarolle durch die Straßen. Und die Kinder haben großen Spaß. Sie toben herum und bekommen Süßigkeiten. So ausgelassen kann es sein, sich am Wort Gottes zu freuen. Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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