Predigt vom 1. Sonntag nach Epiphanias, 10. Januar 2021

Predigt zu Römer 12, 1-8; 1. Sonntag nach Epiphanias, 10. Januar 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrerin Susanne Munzert

Römer 12,1-8 (Basisbibel):

121Brüder und Schwestern, bei der Barmherzigkeit Gottes bitte ich euch: Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung. Es soll wie ein lebendiges und heiliges Opfer sein, das ihm gefällt. Das wäre für euch die vernünftige Art, Gott zu dienen. 2Und passt euch nicht dieser Zeit an. Gebraucht vielmehr euren Verstand in einer neuen Weise und lasst euch dadurch verwandeln. Dann könnt ihr beurteilen, was der Wille Gottes ist: Ob etwas gut ist, ob es Gott gefällt und ob es vollkommen ist.

Gaben und Aufgaben in der Gemeinde

3Bei der Gnade, die Gott mir geschenkt hat, sage ich jedem Einzelnen von euch: Überschätzt euch nicht und traut euch nicht mehr zu, als angemessen ist. Strebt lieber nach nüchterner Selbsteinschätzung. Und zwar jeder so, wie Gott es für ihn bestimmt hat –und wie es dem Maßstab des Glaubens entspricht. 4Es ist wie bei unserem Körper: Der eine Leib besteht aus vielen Körperteilen, aber nicht alle Teile haben dieselbe Aufgabe. 5Genauso bilden wir vielen Menschen, die zu Christus gehören, miteinander einen Leib. Aber einzeln betrachtet sind wir wie unterschiedliche und doch zusammengehörende Körperteile. 6Wir haben verschiedene Gaben, je nachdem, was Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat: Wenn jemand die Gabe hat, als Prophet zu reden, soll er das in Übereinstimmung mit dem Glauben tun. Wenn jemand die Gabe hat, der Gemeinde zu dienen, soll er ihr diesen Dienst leisten. Wenn jemand die Gabe hat zu lehren, soll er als Lehrer wirken. 8Wenn jemand die Gabe hat zu ermutigen, soll er Mut machen. Wer etwas gibt, soll das ohne Hintergedanken tun. Wer für die Gemeinde sorgt, soll sich voll für sie einsetzen.Wer sich um die Notleidenden kümmert, soll Freude daran haben.

Liebe Gemeinde!

Im Fernsehen läuft gerade wieder die Serie „Charité“ über das gleichnamige berühmte Berliner Krankenhaus. Die Serie spielt am Ende des 19. Jahrhunderts und beginnt mit einer eindrücklichen Szene:

Die gestrenge Oberschwester, gleichzeitig „Mutter Oberin“ der Diakonissen im Krankenhaus, lässt zu Dienstbeginn die Diakonissen und die Laienpflegerinnen, die sog. „Wärterinnen“, antreten. Sie hält eine flammende Rede gegen den „modernen“ Geist für die aufopferungsvolle Pflege an den Kranken als christlichen Dienst. Ihre Ansprache beendet die Oberin mit dem Ausruf: „Vergessen Sie nie, was >Charité< bedeutet!“. Die Diakonissen und Pflegerinnen antworten ohne zu zögern im Chor: „Barmherzigkeit“. Damit schickt die Oberin die Frauen in ihren Dienst.

„Charité“ - „Barmherzigkeit“. Ein Wort, das in unserem alltäglichen Sprachgebrauch selten geworden ist. Die Bibel handhabt das anders, beispielsweise in der Jahreslosung für 2021: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“ (Lukas 6,36).

Und nun lese und höre ich bei Paulus wieder: „Brüder und Schwestern, bei der Barmherzigkeit Gottes bitte ich euch:“ - Was meint eigentlich „Barmherzigkeit“?

Ich habe folgende Beschreibung gefunden: „Die Barmherzigkeit … ist eine Eigenschaft des menschlichen Charakters. Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an.“[1] An einer anderen Stelle habe ich gelesen: Barmherzigkeit ist, „es nicht über´s Herz zu bringen, hartherzig zu sein“.[2]

„Barmherzig sein“ ist also eine Herzenseinstellung. Jemand lässt sich sein Herz anrühren von jemandem, der oder die in Not ist. Und lässt dem Berührtsein auch Taten folgen. Barmherzig sein: Mit dem Herzen sehen und aus dem Herzen heraus handeln.

Soweit - so einfach? Ich glaube, Paulus hätte seine Anfragen: „Ich, Paulus, kenne nur einen, der wirklich barmherzig ist: Nur Gott ist barmherzig. Und wir Menschen? Euch kann ich nur im Namen der Barmherzigkeit Gottes bitten: Seid barmherzig!“

„Brüder und Schwestern, bei der Barmherzigkeit Gottes bitte ich euch: Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung.“

Paulus ist es ernst: Gott ist barmherzig. Sein Herz gehört uns. Er liebt uns mit „Haut und Haaren“. Das wünscht Gott sich auch von uns. Es ist wie bei allen Liebespaaren. Eine Liebesbeziehung funktioniert nur, wenn sich beide ganz darauf einlassen.

Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung. Und passt euch nicht dieser Zeit an. Gebraucht vielmehr euren Verstand in einer neuen Weise und lasst euch dadurch verwandeln. Dann könnt ihr beurteilen, was der Wille Gottes ist: Ob etwas gut ist, ob es Gott gefällt und ob es vollkommen ist.“

Paulus stellt die Weltordnung in Frage. „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“[3]

Wenn euch der Geist der Barmherzigkeit Gottes treibt, dann gehört ihr zu Gott. Dann kann euch nichts mehr von ihm trennen: „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur ….“[4]

Das befreit! Befreit von der Sorge, bestimmte Anforderungen erfüllen zu müssen. Befreit von der Unsicherheit, ob ich richtig gehandelt habe. Befreit von der Angst, bestraft zu werden. Befreit, sich an menschlichen Maßstäben zu messen. Solange wir damit beschäftigt sind, es der Welt recht zu machen, leben wir nach deren Maßstäben und Anforderungen. Und wehe, wir erreichen ein Ziel nicht!

Paulus warnt uns davor: Die Maßstäbe und Ziele der Welt sind unbarmherzig – und unvernünftig. Wie im Hamsterrad mühen und rennen wir uns dort ab.

3Bei der Gnade, die Gott mir geschenkt hat, sage ich jedem Einzelnen von euch: Überschätzt euch nicht und traut euch nicht mehr zu, als angemessen ist. Strebt lieber nach nüchterner Selbsteinschätzung. Und zwar jeder so, wie Gott es für ihn bestimmt hat –und wie es dem Maßstab des Glaubens entspricht.

Es passiert immer wieder: Die Nöte der Welt sehen und dazu zu hören oder selber zu denken: „Als Christen müssen wir doch! - Als Christin sollte ich doch!“ Und dann verknoten sich die Flüchtlingskrise und die fehlenden Ehrenamtlichen beim Besuchsdienst und das Leid der Hungernden in Somalia und das vernachlässigte Nachbarskind und der Bettler am Bahnhof… so unselig, dass man nicht mehr schlafen kann. Aber auch nicht weiß, wo man anfangen soll. Dann sind wir in die Falle des Aktionismus im Namen der Nächstenliebe getappt.

Dazu gibt es eine wunderbare Geschichte von Papst Johannes XXIII:

Eines Tages kommt ein junger Bischof nervös zum alten Papst Johannes XXIII. und berichtet ihm von der Bürde seiner Würde. „Ich kann nicht mehr schlafen“, so klagt der junge Bischof dem Papst, „die Verantwortung meines neuen Amtes drückt mich so sehr. Sie raubt mir den Schlaf.“ Da lächelt der Alte und antwortet: „Das ging mir nach meiner Wahl zum Papst auch so. Ich habe kein Auge mehr zu getan. Einmal bin ich dann aber vor lauter Müdigkeit doch kurz eingenickt. Im Traum ist mir sogleich ein Engel erschienen. Ihm habe ich meine Not geklagt. Da hat sich der Engel zu mir gebeugt und mir ins Ohr geflüstert: "Giovanni, nimm dich nicht so wichtig." "Seitdem", so Papst Johannes XXIII., "kann ich wunderbar schlafen."

Wir dürfen also auch uns gegenüber barmherzig sein. Die Welt zu retten, liegt weit über unseren Möglichkeiten. Das ist Gottes Sache, „Chef-Sache“.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, liebe Gemeinde: Erst fordert Paulus, wir sollen unser ganzes Leben Gott zur Verfügung stellen? Aber dann sollen wir doch Gott machen lassen? Wie geht das zusammen?

Paulus beantwortet das mit einem Bild:

4Es ist wie bei unserem Körper: Der eine Leib besteht aus vielen Körperteilen, aber nicht alle Teile haben dieselbe Aufgabe. 5Genauso bilden wir vielen Menschen, die zu Christus gehören, miteinander einen Leib. Aber einzeln betrachtet sind wir wie unterschiedliche und doch zusammengehörende Körperteile. 6Wir haben verschiedene Gaben, je nachdem, was Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat.

Niemand muss mehr Verantwortung tragen als er oder sie an Gaben bekommen hat. Was ich nicht schaffe, schafft eine andere. Nur gemeinsam geht es. Das befreit von Überforderung und Größenwahn.

Aber das, was Gott dir gegeben hat, setze „mit deinem ganzen Leben“ ein:

Gott hat dir Wissen und Kraft gegeben, Nachhilfeunterricht für Flüchtlingskinder zu geben – dann tu’s!

Vielleicht hat er dir den Verstand und die Ausbildung gegeben, in der Pflege auf der Intensivstation etwas zu bewirken – dann tu’s!

Du kümmerst dich gerne um andere – dann tu´s!

Deine Stärke ist, dich für andere politisch einzusetzen – dann tu´s!

Du kannst gut zuhören und hast ein Gespür für Menschen, dann besuche sie und tu´s!

Du organisierst gerne Feste in der Gemeinde - dann tu´s!

Dir liegt die Fürbitte für diese Welt am Herzen - dann tu´s!

Gott hat uns viele verschiedene Gaben geschenkt. Geben wir sie weiter, mit unserem ganzen Leben, so gut wie wir können. Und doch gilt auch hier: Gemeinsam sind wir der Leib Christi. Was uns auch gelingen mag an Gutem… auch gemeinsam müssen wir nicht die Welt retten.

Denn das ist längst geschehen. Gott hat diese Welt und uns schon lange gerettet. Weil er wirklich barmherzig ist.

Amen.



[1] Wikipedia

[2] Tina Wilms, Höchste Zeit für Barmherzigkeit, Neukirchen 2020

[3] Röm 8,14

[4]
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