Predigt vom Sonntag Rogate,17. Mai 2020

Predigt zu Matthäus 6, 5-15; Sonntag Rogate, 17. Mai 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille um den Segen aus Gottes Wort bitten. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

„Not lehrt beten!“ – so lautet ein bekanntes Sprichwort. Es sind vorzugsweise die Krisen im Leben, die Angst und die Furcht vor existenzieller Not, in denen Menschen nicht mehr weiterwissen und wo sie sich plötzlich auf eine Instanz besinnen, die ihnen doch helfen könnte, wo sie sich an Gott wenden.

„Not lehrt beten!“ Wir sollten uns hüten, dieses Sprichwort zu schnell abzutun. Entweder aus christlicher Überlegenheit, weil ich als Christ ja auch sonst bete, die da draußen jedoch nur in der Not, oder aus moralischen Gründen, im Sinne von: … Wer den Bauch voll hat und immer satt ist, kann ja gar kein Christ sein, kann nicht beten.

„Not lehrt beten!“ – davon bin ich überzeugt. Denn gerade die Not bringt die menschliche Grundexistenz zum Ausdruck: „Was sind wir doch? Was haben wir auf dieser ganzen Erd, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben werd?“ (EG 324, 3)

„Not lehrt beten!“ aber: „Lehrt die Not auch das Gebet?“ – da bin ich schon skeptischer. Und ich werde auch immer skeptischer, ob es überhaupt noch Orte gibt, wo ich das Beten lernen kann. Wenn ich auf mein Leben schaue: Die 30 Jahre meines Christseins am Ort der Kirche – noch dazu in der bewegten Jugendzeit – habe ich vieles erlebt, und das Gebet war vielen Wandlungen unterzogen. Da war das Tischgebet im Hause meiner Kindheit: Manchmal freudig gestimmt die Hände gefaltet, dann wieder völlig genervt die Verslein runtergerattert. Mutter und Großmutter wollten das ja so. Oder das freie Gebet. Morgens manchmal voller Freude und dann im Jugendkreis als heftiger Kampf um die besten Worte. Es sollte ja jeder hören, dass ich viel verstanden hatte.

Unser heutiger Predigttext, das uns allen bekannte Vaterunser, ist eingebettet in die klarsten Worte, die man zum Thema Gebet so lesen kann. Das finde ich immer wieder erfrischend. Keine Heuchelei. Die Probleme werden klar benannt, und es gibt auch gleich noch eine konkrete Hilfe.

So steht geschrieben im Evangelium nach Matthäus, im 6. Kapitel:

Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

So ist die Bibel frisch und frei heraus. Das Beten war bereits vor 2000 Jahren kein besonders leichtes Unterfangen. Zu schnell wird das Gebet als Leistung verstanden. Ich muss was machen, noch beten und am besten mich vor Gott beweisen. Gerade dadurch werden viele Gebet zu dem, was sie sind: geltungsbedürftig, voller Angeberei, Verachtung, Hochmut und Eitelkeit. Solange ich um meinen Status bei Gott besorgt bin, solange ich das Gebet benutze, für welche Dinge auch immer, gelange ich am Ende immer zu mir. Das ist im privaten Bereich nicht anders als im kirchlichen. Da wird die Fürbitte zur zweiten Predigt, die mehr über die letzte Tagesschau informiert, als ihren zweifelnden Blick nach oben zu richten. Hier ist der Erweckte, der versucht, in jeder Formulierung auch noch sein Glaubensbekenntnis auszudrücken. Wie viel Vorzug hat das Kämmerlein. Das stille Gebet. Aber auch hier sind die Irrungen nicht weit. Warum auch, wenn es in der Öffentlichkeit nicht anders zugeht?

Mit dem Vaterunser schenkt uns Jesus selbst eine Gebetsanleitung, eine kleine Gebetsdidaktik. Seltsam altmodisch. Ein einfaches Gebetsformular. Eine kleine Liturgie. Die Gefahr der Selbstüberschätzung und Wortlosigkeit wird so gebannt.

Jesus schenkt uns einen Wortlaut, der alles beinhaltet und völlig ausreicht, um beim Gebet auch zu beten. Ich weiß nicht, was ich beten soll? So ein Unsinn, möchte ich sagen, es steht doch da, was du beten sollst. Und es liegt auch gar nichts Schlimmes darin, es einfach zu tun. Ich muss mich nicht immer danach fühlen. Betet und hört auf das Gebet selbst. Was im Vaterunser gehört werden kann, davon weiß Martin Luther viel zu sagen. Wer einmal Zeit hat, sollte sich unser Evangelisches Gesangbuch zur Hand nehmen. Auf Seite 1557 ist seine Auslegung zu finden. Sie ist aus dem Hören entstanden und eine gute Gebetsanleitung. Lasst uns dementsprechend heute noch einmal ganz neu hören:

Jesus Christus spricht: Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.

Wenn Jesus den Namens Gottes in den Mittelpunkt stellt, dann nicht ohne triftigen Grund. Der Name ist alles und eben nicht Schall und Rauch. Der Name hat eine tiefe Bestimmung. Die beste Formulierung hierzu finden wir beim Propheten Jesaja: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Und was für uns gilt, gilt auch für Gott. Ich weiß, an wen ich mich wenden kann: Nicht namenlos, kein unbestimmtes Etwas. Keine Energie oder das wie auch immer geartete Universum. Nein, ich kenne Gott und seinen Namen. Und indem ich ihn nenne und zugleich heilige, weiß ich um Gottes Gegenwart. Indem ich diese Worte spreche, werden sie Wirklichkeit, im Himmel und auf Erden.

Eng verbunden mit diesem Geheimnis ist darum dann auch die zweite Bitte: Dein Reich komme. Immer wenn ich bete, passiert etwas. Auch wenn es nur klein und kaum zu sehen ist, verändert sich die Wirklichkeit. Wenn ich bete, komme ich zur Ruhe. Ich unterbreche meinen Alltag, und Gotteszeit bricht mitten in der Weltzeit an. Wie die Glockenschläge nicht nur die Zeit ankündigen, sondern in die Welt rufen: Bereits heute ist Gottes Reich da, wenngleich das große und ewige Reich noch aussteht.

Das tut freilich mitunter weh und ich leide, weil das himmlische Friedensreich noch aussteht. Zugleich darf ich zuversichtlich sein, gerade weil es in Jesus Christus bereits Wirklichkeit geworden ist. Aus diesem Grund gebe ich es in Gottes Hand: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

Und so wende ich meinen Blick auf das Jetzt: Unser tägliches Brot gib uns heute. Es ist die schlichte Bitte für die konkrete Zeit, in der ich aktuell lebe; die kurze Spanne, das Hier und Jetzt. Es ist ein starker Impuls gegen die Angst und das merkwürdige Morgen. Morgen, das kennen wir nicht. Was die Zeit bringen wird, das wissen wir nicht. Worin wir leben, das ist die Gegenwart. Und in dieser Gegenwart lebe ich, und Gott gewährt mir unendlich viel. Ich lebe heute und mit mir auch meine Schuld und mein Versagen. So ist das. Aber ich darf beten: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Wenn das geschieht, so ist Gottes Reich bereits vollgültig unter uns. Und dabei brauche ich keine Angst haben, dass das erste nur durch das zweite passiert. Nein, so ist das nicht. Aber in dem Moment, in der mir die Vergebung Gottes gegenwärtig wird - und seine Zusage gilt seit meiner Taufe - kann auch die Vergebung für meinen Nächsten nicht ausbleiben. Ich stehe im Gnadenhandeln Gottes und mein Nächster auch. Um dieses nicht zu vergessen, bete ich: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Gott führt uns nicht in Versuchung. Aber wir leben in der gefallenen Welt. Und diese Welt ist nicht gut und wird es auch nicht werden. Und gerade dieser Schmerz, das Leid und das persönliche Unbehagen im Großen wie im Kleinen: Gerade dies wird doch immer wieder zur Probe des Glaubens. Und vor dieser Probe möge Gott uns bewahren. Es geht hier also nicht um Bewährung und eine merkwürdige Probe, die ich bestehen müsste. Nein, es ist allein unser Menschsein in dieser Welt, und in dieser Welt kann ich eigentlich nicht glauben. Von daher ist es eigentlich falsch zu sagen: Ich glaube. Vielmehr werde ich geglaubt, und in diesem Geschenk des Glaubens kann ich dem Zweifel und der Anfechtung nur mit Gottes Hilfe begegnen. So nehme ich Zuflucht in Gottes Erbarmen: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Hierin stecken die Zuversicht und die Hoffnung. Gott steht über allem. Er hat das letzte Wort. Das schenke Gott uns allen.

„Lehrt die Not das Gebet?“ Sicher nicht. Aber habe ich vorher bereits einmal gebetet, so wird es mir leichter fallen.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Cullmann, Oscar: Das Gebet im Neuen Testament, Tübingen 1994.

Beckmann, Joachim: Rogate. Matthäus 6, 5-13, in: Hören und Fragen. Eine Predigthilfe. Band 5, hg. von Arnold Falkenroth und Heinz Joachim Held, Neukirchen-Vluyn ²1976, 263-271.

Luck, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus (ZBK.NT 1), Zürich 1993.

Mack, Ulrich: Beten – ein Aus- und Einatmen, in: Homiletische Monatshefte 95 (2020), 374–380.

Ulrichs, Karl Friedrich: Im Verborgenen, in: GPM 74 (2020), 286-291.

Voigt, Gottfried: Die bessere Gerechtigkeit. Homiletische Auslegung der Predigttexte der Reihe V, Berlin 1982.

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