Predigt vom Sonntag Septuagesimae, 09. Februar 2020

Predigt zu Matthäus 20, 1-16; Septuagesimae, 09. Februar 2020, 9.30 Uhr; St.Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Dr. Peter Munzert

Liebe Gemeinde,

ich begebe mich auf eine Zeitreise. Ich reise mit Ihnen in die Zeit Jesu zurück und schlüpfe in die Rolle eines der Jünger Jesu. Wir sind gerade zwischen zwei Dörfern unterwegs, nicht weit weg von Jerusalem. Als einer der älteren Jünger Jesu möchte ich meine Gedanken mit Ihnen teilen:

Meistens ging er vor uns. Wir, seine Jünger, der engste Kreis seiner Schüler und Schülerinnen, gingen hinterher. - So war es von Anfang an gewesen.

Eigentlich schon ganz am Anfang, als wir vom Ufer des Sees und von den Booten weggegangen waren.

Immer ging er voraus. Manchmal allein, manchmal auch mit einem von uns an der Seite, in ein Gespräch vertieft. Meistens hielten wir dann ein bisschen Abstand zu den beiden da vorne. Ach, wie gerne wären wir der- oder diejenige, die an seiner Seite gehen darf! Neidische Blicke folgten den beiden vor uns. Ein Platz, um den wir uns stritten, ganz ohne Worte.

Nein, natürlich stritten wir nicht laut darum. Das hätte sich ja wie bei den kleinen Kindern angehört: „Ich will neben Jesus laufen!“ - Himmel, wir sind doch alle erwachsen!

Außerdem: Wen er zu sich nach vorne holte, darauf hatten wir keinen Einfluss. Das entschied sich - nein, das entschied er, wenn wir aufbrachen.

Aber in der Gruppe, die hinter ihm lief, da gab es eine Ordnung. Angeordnet ohne Worte, eingehalten nur durch Blicke und Gesten.

Sehr selten, aber wenn es einer gar nicht einsehen wollte, dann gab es auch mal eine Hand, die den anderen beim Ärmel nahm und ihn auf seinen Platz verwies. Wer später kam, musste sich weiter hinten einordnen. Ein Platz nahe bei ihm musste verdient werden! So funktionierte das, auch bei uns.

So gingen wir, Tage und Monate, durch Dörfer und Städte, immer in der gleichen stummen Ordnung. Von niemandem angeordnet, aber von uns eingehalten. So würden wir eines Tages ankommen am Ziel unserer Wege - dachten wir. Wir meinten, es wäre gut, dann unter den Ersten zu sein, nahe bei ihm.

Dann kamen wir Jerusalem immer näher. Immer öfter wandte er sich uns allen zu. Er sprach davon, was geschehen würde in der Stadt, in Jerusalem. Dass er dort leiden müsste und sterben, sagte er. Wir hörten das. Wir erschraken darüber so sehr, dass wir gar nicht mehr hörten, was er noch sagte: Dass dies nicht das Ende sein werde. Doch für uns klang es wie ein Ende. Einer von uns wagte es, ihn darauf anzusprechen: „Gott bewahre dich davor, Herr! Das darf dir nicht zustoßen!“ (Mt 16,22)

Der meinte es gut. Er hatte Angst. Aber er bekam eine sehr schroffe Antwort:„Du bist ein Ärgernis! Dir geht es gar nicht um mich. Dir geht es um dich und um das, was aus dir wird, wenn ich nicht mehr da bin. Meinst du wirklich, ich merke es nicht, was es für eine Ordnung unter euch gibt, hinter meinem Rücken?“ Wir wurden stumm nach diesen Worten.

Aber die Fragen waren da. Bei uns und bei den anderen, die er traf. „Wer ist der Größte im Himmelreich?“ (Mt 18,1), fragten wir. Er nahm ein Kind bei der Hand und zog es in unsere Mitte, stellte es mitten unter uns Erwachsene. Das Kind reichte uns nicht einmal bis zur Hüfte. Über seinen Kopf hinweg sahen wir uns an.

Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester an mir schuldig wird, wie oft muss ich ihnen vergeben? Genügt es sieben Mal?“ (Mt 18,21), fragten wir. Und er nahm die Zahl, die uns schon so hoch vorgekommen war, und vervielfältigte sie: „Siebzigmal siebenmal“.

Was muss ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben bekomme?“ (Mt 19,16), fragte einer. Die Antwort verschlug ihm die Sprache: „Geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen und komm und folge mir nach.“ Das war zu viel für den jungen Mann. Das konnte er nicht. Er ging wieder weg.

Und dann sahen wir die Stadt von Weitem. Wenn es stimmte, was er gesagt hatte, waren wir damit bald am Ende unseres gemeinsamen Weges.

Wir spürten: Bald würde es keine Gelegenheit mehr geben, ihn irgendetwas zu fragen. Und einer von uns, Petrus, nahm allen Mut zusammen und fragte ihn noch einmal und zeigte diesmal auf uns alle: „Siehe, wir haben alles zurückgelassen und sind dir gefolgt. Was werden wir dafür bekommen?“ (Mt 19,27)

Da war sie, laut ausgesprochen, die Frage, die uns umtrieb: „Wir sind mit dir gegangen, damals am See – ohne auf unsere Boote und unsere Familien, unsere Frauen und Kinder zurückzublicken. Wir gehen mit dir, jeden Tag, ohne zu wissen, wo wir am Abend schlafen werden. Wir leben, wie du es gesagt hast, bloß von dem, was uns zufällt auf dem Weg. Wir haben doch so viel hinter uns gelassen. Was erwartet uns? Wir haben doch so viel aufgegeben. Was werden wir bekommen? Was wird uns dafür gegeben?“

Jesus sah uns alle an. Und er sagte: „Ihr werdet bei mir sein im Himmel. Ihr bekommt die besten Plätze. Niemand muss mehr hinterhergehen. Und was ihr aufgegeben habt für mich, das bekommt ihr zurück. Das verspreche ich euch.“

Dabei lächelte er uns an. Wir sahen einander an. Die Erleichterung stand uns ins Gesicht geschrieben. Wir konnten es kaum glauben. Es wird sich also doch für uns lohnen! Wir bekommen etwas dafür!

Doch Jesus war noch nicht fertig. „Kommt alle her, hört mir noch einmal zu“, sagte er.

Lutherbibel 2017

Von den Arbeitern im Weinberg

1 Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter anzuwerben für seinen Weinberg. 2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. 3 Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere auf dem Markt müßig stehen 4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. 5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. 6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? 7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand angeworben. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg. 8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. 9 Da kamen, die um die elfte Stunde angeworben waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. 10 Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeder seinen Silbergroschen. 11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn 12 und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. 13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? 14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. 15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin? 16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.

Als wir das gehört hatten, war es ganz still. Diesmal war es keine Antwort, die uns stumm werden ließ, sondern eine Frage.

Bist du neidisch, weil ich so großzügig bin?“ (Mt 20,15b) Wir sahen uns an, wie wir da standen in unserer Ordnung: 

- Die Jesus am Ufer des Sees zuerst angesprochen hatte, ganz nahe bei ihm.

- Dann die anderen, die in den folgenden Wochen dazugekommen waren.

- Dann die, die erst seit ein paar Tagen bei uns waren.

Es war die Ordnung, die für uns Sinn gemacht hatte: Wer am längsten bei Jesus ist, ist ihm am nächsten. Ist ganz nah dran an ihm. Wer am meisten für ihn aufgegeben hatte. Wer am härtesten arbeitete für ihn. Wer sich am meisten bemühte, Jesu Botschaft zu verbreiten.

Und wir merkten: Diese stumme Ordnung unter uns, unsere ewigen Reihenfolgen, all das Messen und Zählen und Berechnen, das alles hat mit Jesus nichts zu tun. Es interessiert ihn einfach nicht. Er holt die zu sich, die er bei sich haben will. Das wussten wir doch eigentlich. Wir hatten es ja oft genug erlebt auf dem Weg mit ihm.

Aber es hatte uns noch nicht dazu gebracht, die Ordnung unter uns aufzugeben. „Hört endlich auf, zu rechnen und zu vergleichen“, sagte er.

„Wenn ihr mit mir gehen wollt, dann geht. Lasst die Ordnungen hinter euch, die ihr kennt. Freut euch an dem Weg, den wir gemeinsam gehen, und an der Zeit, die ihr mit mir verbringt.Was zählt, ist doch: Vom Morgen bis zum Abend bei mir zu sein. Auch durch die Stunden der Mittagshitze kommen wir hindurch. Und wer nur ein kurzes Stück Weg bei mir war, der hatte doch auch so wenig von mir. Wie schade! Also kommt, lasst uns gehen!“

Liebe Schwestern und Brüder,

wir beenden jetzt diese Zeitreise und kehren zurück in die Gegenwart.

Jesus nachzufolgen ist nicht einfach. Schnell spielen Leistungsgedanken bei uns eine große Rolle. Nah bei Jesus dran zu sein. Jedes einzelne Wort gut aufzunehmen, nichts zu verpassen und dann in der Hierarchie der Jünger aufzusteigen, bis man ganz vorne dran steht bei Jesus. Ganz nah dran und doch ganz fern.

Wir tun uns als Christen schwer, damit umzugehen. Unser Verständnis von Gerechtigkeit ist ein anderes. Wer lange und viel arbeitet, hat auch Anspruch auf viel Lohn. Das hat sich in unserem Arbeitsrecht auch durchgesetzt. Wer weniger arbeitet, bekommt auch entsprechend weniger.

Ganz anders und provozierend ist es hier formuliert. Jesu schenkt das Himmelreich auch denen, die sich im letzten Moment dafür entscheiden. Auch diese werden die Gemeinschaft mit Gott erleben, wie die anderen, die sich Zeit ihres Lebens darum bemühen.

Das ist auch zutiefst reformatorisches Denken. Nicht die Leistung ist entscheidend, sondern allein die Gnade, aus der heraus uns Gott beschenkt. Auch der, der zunächst fernab von Jesus steht, kann sich für ihn entscheiden, wenn er oder sie soweit ist.

Dennoch gilt auf der anderen Seite, auch wenn Jesus das nicht so deutlich sagt:

· Je eher wir bei Gott sind, umso mehr haben wir auch von ihm.

· Je länger und je intensiver wir uns mit unserem Glauben auseinandersetzen, umso tiefer kann dieser auch werden.

· Und je mehr Zeit wir miteinander im Glauben verbringen, umso stärker wachsen wir in die Gemeinschaft der Gläubigen hinein.

Amen.

Quellen:

https://predigten.evangelisch.de/predigt/der-erste-und-der-letzte-predigt-zu-matthaeus-201-16-von-kathrin-oxen, Zugriff vom 08.02.2020.

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