Predigt vom Altjahresabend, 31. Dezember 2021

Predigt zu Matthäus 13, 24-30; Altjahresabend, 31. Dezember 2021, 17.00 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

wie halten sie es mit dem Unkraut?

Wenn ich ehrlich bin, ist das für mich gar nicht so einfach. In meiner Oberstufenzeit habe ich ein Jahr lang in einem der schönsten Landschaftsgärten unseres Landes ein Praktikum absolviert. Das Beste dabei war die Umgebung. Nicht nur der Schreibtisch in einem wunderschönen frühklassizistischen Palais, auch der Weg dorthin: Das Rauschen der alten Lindenbäume, die sorgsam gestutzten Stauden, die liebevoll angelegten Rabatten … für mich einfach traumhaft. Und ich muss gestehen: Mich nervten Maulwurf, Löwenzahn und Co - zumindest sind sie in diesem Paradies wahrlich fehl am Platze.

Zugleich gehöre ich zur Generation Löwenzahn. Und diese Fernsehserie des ZDF mit dem Ziel unterhaltsamer Wissensvermittlung für Kinder und Erwachsene hat mich völlig anders auf das essbare, wunderschön gelbe Wildkraut in unserem heimischen Garten blicken lassen, als es beispielsweise für meinen Großvater möglich war.

Ja, es ist gar nicht so einfach mit dem sogenannten Unkraut. Und leichter wird es auch nicht im Blick auf unseren heutigen Predigttext. Hier spricht Jesus nicht vom etwas nervigen Löwenzahn, sondern vom Taumellolch, wie es die Gelehrten nennen. Und das ist keine liebliche Frühjahrsblume, sondern eine Grasart, die dem Weizen zum Verwechseln ähnlich sieht. Und da konnte es ganz leicht zu Verwechslungen kommen, so dass man jungen Weizen statt Unkraut ausriss. Trotzdem jätete man, besonders auch deshalb, weil dieser Lolch giftig ist. Verhexten Weizen nannte man ihn, ein Teufelszeug, das sogar Menschen blind machen konnte, wenn es ins Brot geraten war.

Nichtausreißen war also nicht wirklich eine Option. Und doch wendet sich Jesus mit aller Schärfe gegen diese Praxis. Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte.

Jesus will provozieren. Und natürlich geht es unserem Evangelisten nicht um Ackerbau und Landwirtschaft. Es sind Bildworte. Bilder für unser Leben, unser Sein, unsere Gemeinschaft, Gesellschaft und ja, auch Kirche. Und ich vermute, dass ein jeder von uns – gerade nach diesem erneut belastenden Jahr - eine Vorstellung davon hat, was in diesem Jahr Unkraut und was Weizen war.

Ich spüre sehr deutlich, wie schnell und mit welcher Energie einfache Zuschreibungen vergeben werden. Politisch erleben wir seit geraumer Zeit vor allem auf Seiten der sogenannten Rechten – aber keinesfalls nur dort – immer wieder ein gezieltes Operieren mit Tabubrüchen. Unkraut wird hier sehr deutlich benannt. Und ja, es soll hier sofort ausgerissen werden.

Zugleich habe ich das Gefühl, dass eine genaue Differenzierung, eine genaue Betrachtung, ein Zuhören, Einfühlen, Nachdenken und Verstehen immer schwieriger werden.

[Jesus] spricht: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte.

Das Stigma „Unkraut“ wird gerne vergeben. Das spüre ich bei mir im Alltäglichen, aber auch in Funk und Fernsehen. Was aber, wenn ich zum Unkraut werde?

Als 20 Geflüchtete in einem Bus im Februar 2016 im Erzgebirge von einem Mob aus etwa 100 Leuten bepöbelt wurden und die Menge „Wir sind das Volk“ brüllte, sagte eine ZDF-Nachrichtensprecherin am nächsten Abend, diese Menschen vor Ort seinen „(…) Leute, die nicht mal minimale Reflexe menschlichen Anstands in sich verspüren.“ Später stellte sich heraus, dass ein Großteil des Mobs aus Neonazis bestand, die extra aus der sächsischen Hauptstadt angereist waren. Die meisten Dorfbewohner im Erzgebirge waren durchaus hilfsbereit, versorgten die Geflüchteten mit Kleidung und Essen, integrierten sie in Sportvereine und taten alles, damit sie es im Ort einigermaßen gut hatten. Einer der Jungen aus dem Bus ging sogar beim Bürgermeister ein und aus, weil er sich in dessen Tochter verliebt hatte. Aber die Worte der Nachrichtensprecherin hatten ein Millionenpublikum erreicht, der Ort seinen Stempel für alle Zeiten weg und diese Worte hatten die Saat für anderes gelegt.

[Jesus] spricht: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte.

Das gesellschaftspolitische Beispiel lässt sich nahtlos an den Raum der Kirche anschließen. Profil und Konzentration heißt dann das Zauberwort. Leidet unsere Kirche heute nicht gerade darunter, dass sie weithin gar kein Profil mehr hat? Von urtümlicher Orthodoxie bis zum Ökochristentum, von traditionalistischer Unbeweglichkeit bis zur political correctness, die sicher jeder Mode vom Sozialismus über den Feminismus bis zum Ökumenismus bedingungslos unterwirft, gibt es schlechterdings alles in der Kirche. Kann denn das gut sein? Nein, es sind nicht nur religiöse Fanatiker, die so fragen. Wir errichten freilich keine Scheiterhaufen mehr, aber ist eine „liebe“, also beklemmende, Atmosphäre so viel besser?

[Jesus] spricht: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte.

Ja, Jesus will provozieren. Und manchmal leide ich darunter, dass er nicht endlich eingreift. Endlich klärt und benennt, was Unkraut und was Weizen ist. Ich leide unter dem Wahnsinn dieses Jahres: Die Einschränkungen, die Diskussionen, die Vielen, die einfach irgendwie runterfallen, die Angst, die Befürchtungen, das nicht wirklich Arbeiten-Können … Das ist ganz klar Unkraut.

Das Unkraut in unserem Predigttext wird nicht ohne Grund auch „verhexter Weizen“ genannt. Das finde ich tröstlich. Hier geht es nicht um Licht und Schatten, nein! Nein, hier ist ein Widersacher am Werk. Und was er tut, ist hinterlistig, planmäßig, perfide und gemein.

Freilich, wir erfahren nicht, wer der „Feind“ ist, und auch nicht, was ihn bewegt. Aber es werden die Strukturen des Bösen benannt. Und doch werde ich gebremst. Vielleicht ist das auch gut so, denn weiß ich denn immer, was Unkraut und was Weizen ist? Nein, das weiß nur Gott. Es muss in Gottes Hand bleiben, weil ich nun einmal nur ein Mensch bin: begrenzt, voller Fehler, Ängste und Befürchtungen. Ein für allemal ausreißen lässt sich das Böse nicht. Jedenfalls nicht von Menschen und erst recht nicht mit Gewalt. Jeder Versuch, das Reich Gottes auf Erden zu errichten, führte ins Verderben – muss ins Verderben führen. Ja, bis zum Jüngsten Tag, dem Tag der Ernte, wird unser Feld nicht perfekt sein. Im Großen nicht, auch nicht in den eigenen Lebensbezügen. Unser Leben bleibt ein seltsames, kaum zu durchschauendes und nicht säuberlich auseinander zu dividierendes Geflecht aus Gutem und Bösen.

Nicht, dass wir uns keine Gedanken machen müssten über notwendige Veränderungen und die Suche nach guten Wegen. Nein, das müssen wir und das werden wir nächstes Jahr erst recht benötigen. Vielleicht kann aber unser Predigttext entlasten. Entlasten von Überforderung und Aktivismus. Denn der Glaube weiß die Welt in Gottes Hand. Seine Treue lässt den Weizen wachsen, auch wenn das Unkraut ihn schon überwuchert zu haben scheint. Auf diese Treue können wir uns verlassen, denn wie erzählte mir neulich eine Kollegin von einer Schülerantwort im Religionsunterricht: Gott ist wie Unkraut: Die Leute nehmen ihn nicht ernst, aber ER ist überall und nicht auszurotten.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Bukowski, Peter: Mut zum Unperfekten! Mt 13,24-20. Altjahresabend, in: Göttinger Predigtmeditationen 76 (2021), 74-80.

Dalmann, Gustaf: Arbeit und Sitte in Palästina. Band II. Der Ackerbau, Gütersloh 1932.

Dinkel, Christoph (Hg.): Kanzelreden. Im Namen Gottes. 1. Predigtreihe, Stuttgart 2008.

Jeremias, Joachim: Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 61962,

Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (Hg.): Sommerpalais und Fürstlich Greizer Park. Amtlicher Führer, München 2014.

Tietz, Janko: Fahrt ins Blaue, in: Der Spiegel, Nr. 41 (09.10.2021), 60-64.

Zimmermann, Ruben (Hg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007.

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