Predigt vom 12. Sonntag nach Trinitatis, 22. August 2021

Predigt zu Markus 7, 31-37; 12. Sonntag nach Trinitatis, 22. August 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Norbert Heinritz

Die Heilung eines Tauben

31Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. 33Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge 34und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. 36Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden. (Mk 7,31-37)

Liebe Gemeinde,

sind Sie ganz Ohr? Jetzt im Moment vielleicht schon. Am Anfang einer Predigt ist man noch ganz dabei. Da ist man gespannt, wie der Prediger anfängt. Was wird da wohl heute kommen? Mir jedenfalls geht es so, dass ich am Anfang einer Predigt immer aufmerksam hinhöre, ganz Ohr bin.

Sind Sie ganz Ohr? Das gibt es ja, dass einen das Gehörte in den Bann zieht. Bei Musik kann einem das passieren. Dann wird man ganz in die Musik hineingezogen, geht ganz darin auf. Auch bei Erzähltem kann das passieren. Dann hängt man förmlich an den Lippen des Redners. Dann ist man ganz Ohr, mit Haut und Haaren und mit dem ganzen Herzen. Kinder können das vielleicht am besten, so intensiv zuhören, dass sie ganz in dem Erzählten aufgehen.

Sie Sie ganz Ohr? Es gibt auch das Gegenteil. „Auf dem Ohr ist er einfach taub“, sagt die Mutter über ihren 16-jährigen Sohn, den sie mal wieder zum Aufräumen des Zimmers bewegen wollte. Man kann auch auf dem einen oder anderen Ohr völlig taub sein, obwohl man eigentlich gut hören kann.

Fragen wir uns heute: Wo höre ich hin? Wo höre ich lieber weg? Was überhöre ich gerne? Und auf was und wen höre ich eigentlich?

Dass wir hören können, ist eine ganz besondere Gabe. Mit unserem Gehör sind wir immer im Kontakt mit der Umwelt. Die Augen können wir schließen, die Ohren sind immer offen.

Hören kann Leben retten. Schon in der Tierwelt ist das so. Wenn es im Gebüsch knackt, spitzt das Reh seine Ohren und flieht, noch bevor es etwas sieht. Und bei uns Menschen hat die Hupe des Autos schon manchen Unfall verhindert.

Ganz besonders ist das Hören für uns Menschen durch unsere Sprache. Durch gehörte und gesprochene Worte treten wir miteinander in Kontakt und verständigen uns. Wir können uns mit gesprochenen und gehörten Worten tief berühren oder verletzen oder beglücken. Sprechen und Zuhören ist für uns selbstverständlich - und doch ist es etwas ganz Besonderes. Erst wenn wir nichts verstehen, weil Lärm die Sprache übertönt oder unser Gehör im Alter stark nachgelassen hat, wird uns die besondere Bedeutung des Hörens klar.

Also: Wo höre ich hin? Wo höre ich lieber weg? Was überhöre ich gerne? Und auf was und wen höre ich eigentlich? Welche Worte haben mich im Leben besonders bewegt? Welche Botschaften haben mich geprägt?

Jetzt wäre es eigentlich schön, miteinander zu sprechen und voneinander zu hören. Corona macht es nicht möglich. Wir müssen in unserem Gottesdienst Abstand halten. Auch das ist eine Seite dieser Corona-Epidemie, dass sie uns ab und an zum Verstummen bringt.

Sind Sie ganz Ohr? Jesus war auf die Ohren seiner Zuhörerinnen und Zuhörer angewiesen. Als Wanderprediger zog er durch die Gegend. Mit seiner Botschaft wollte er die Ohren und die Herzen der Menschen erreichen. Da gab es die, die ganz Ohr waren und auch die, die ihn und seine Botschaft nicht hören wollten. Zu allen Zeiten war das so. Wer Ohren hat zu hören, der höre (Mt 4,23), waren seine Worte.

Wer Ohren hat! In unserem Bibelwort begegnet uns ein Mensch, der zwar Ohren hat, aber nicht hören kann. Er ist taub. Und weil Sprechen-Können Ohren braucht, ist er auch stumm. Wir Hörenden können uns nicht vorstellen, wie es jemandem geht, der von Geburt an gehörlos ist. Zu einer Zeit, in der es noch keine Gebärdensprache und erst recht keine Cochlea-Implantate gab, war der Kontakt zu anderen sehr eingeschränkt. Immerhin gab es da welche, Freunde, Bekannte, Verwandte oder wen auch immer, die den Gehörlosen zu Jesus brachten und um Hilfe und Heilung baten. Was für ein Glück, wenn da jemand ist, der für und um einen sorgt.

Mitten im Gebiet der zehn Städte spielte sich das ab, hören wir, also am östlichen Ufer des Sees Genezareth. Was da als lapidare Ortsangabe daherkommt, ist durchaus bemerkenswert. Denn dieses Gebiet ist nicht mehr jüdisches Kernland. Es ist Gebiet der Heiden. Nicht nur das jüdische Volk, sondern alle Menschen sollen die Botschaft Jesu hören. Ja, sie sollen hören!

Es gibt keine Diskussion zwischen Jesus und denen, die diesen Gehörlosen bringen. Keine Diskussion, ob er die Heilung wirklich will, ob da genug Glaube ist, ob er nun Jude ist oder nicht. Nichts dergleichen. Er soll hören können. Jesus nimmt ihn beiseite. Er will keine Show abziehen. Scheinbar fast magische Handlungen vollzieht er. Er drückt ihm die Finger in die Ohren, berührt die Zunge mit Speichel und wendet sich an den Himmel: Hefata! Tu dich auf!

Wie wahr! Um Öffnung geht es! Dass Ohren und Mund sich auftun für die frohe Botschaft, für das, was Jesus den Menschen verkünden will. Man kann diese Erzählung als eine schier unglaubliche Wundererzählung von vor 2000 Jahren lesen. Man kann aber auch sich selbst in dieser Erzählung von dem Tauben und Stummen entdecken. Hefata! Tu dich auf! Öffne Ohren, Herzen, Mund und Hände.

Jesus berührt diesen Menschen in eigentümlicher Weise und spricht diese Worte. Auf seine Berührung und seine Worte kommt es an. Wo und wann hast du seine Worte gehört? Wo und wann hat Jesus dich und dein Herz berührt?

In unserem Bibelabschnitt werden die Ohren des Gehörlosen geöffnet und seine Zunge gelöst. Was mag er als Erstes gesagt haben? Ein Jubel, ein Dank, ein Erstaunen vielleicht – oder was auch immer. Wir erfahren es nicht. Wir erfahren nur, dass Jesus nicht will, dass diese Heilung weitererzählt wird. Warum sollen die Anwesenden schweigen? Jesus will nicht als Wundertäter missverstanden werden. Ihm geht es um den Menschen. Ihm geht es um seine Botschaft. Nicht auf‘s Sehen, sondern auf‘s Hören kommt es an.

Die Zuschauer verbreiten die Wundertat trotzdem. Es ist einfach zu großartig, was dieser Jesus tut! Selbst Taube können wieder hören und Stumme sprechen! Sie sind begeistert über das, was sie gesehen haben. Ob sie auch auf Jesu Botschaft gehört haben? Waren sie auch ganz Ohr?

Bei Ihnen, liebe Zuhörerin, lieber Zuhörer, wird es wohl schon so gewesen sein: Ganz Ohr sein. Die Botschaft Jesu nicht da rein und da raus, sondern vom Ohr ins Herz. Berührt und bewegt. Sonst wären Sie vermutlich heute nicht hier in der Kirche. Sonst würden Sie den Gottesdienst heute Morgen nicht an der Übertragungsanlage verfolgen. Ganz Ohr sein für Jesus und seine Botschaft. Erinnern Sie sich daran, wo Ihnen mal die Ohren und das Herz aufgetan wurden? Hefata! Tu dich auf!

Es ist wie unserem Bibelwort. So etwas lässt sich nicht machen. Es geschieht einfach. Vielleicht waren da Verwandte oder Freunde oder Bekannte, die einen gebracht haben. Ja, aber dann ist es einfach ein Wunder, dass Jesu Worte den Weg vom Ohr ins Herz finden.

Im Grund ist es sowieso ein großes Wunder, dass immer noch – nach zwei Jahrtausenden – die Botschaft dieses Wanderpredigers Jesus von Nazareth Ohren und Herzen von Menschen erreicht. Und dass sie Zungen löst zum Danken, zum Loben, zum Weitererzählen. Lobe den Herrn, meine Seele!

Sind Sie ganz Ohr? Jetzt hier immer noch oder vielleicht jetzt wieder? Ich gestehe, ich schweife beim Zuhören einer Predigt immer wieder mal ab und hänge meinen eigenen Gedanken nach. Vielleicht ist es Ihnen heute genauso gegangen? Ich für mich habe gelernt, das ist gut so. Besser einen Gedanken, den ich mitnehme, der mich berührt, der mich beschäftigt, als viele Worte, die an mir vorbeiziehen. Vielleicht haben Sie sich vorhin erinnert, wo Ihnen die Ohren aufgingen und Sie von Jesus berührt wurden. Es ist schön, solche Erfahrungen zu haben und zu bewahren. Hoffentlich können wir immer wieder mal ganz Ohr sein für Jesu Botschaft vom barmherzigen Gott. Hefata! Tu dich auf! Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Mehr lesen aus dem Magazin zum Thema Spiritualität

Diesen Artikel teilen

Haben Sie Fragen? Wir helfen Ihnen gerne.

Wenn Sie sich näher über unser Angebot informieren möchten, können Sie gerne Ihre
bevorzugte Kontaktmöglichkeit hinterlassen.

Oder rufen Sie uns an unter unserer Service-Nummer:

+49 180 2823456 (6 Cent pro Gespräch)