Predigt vom 2. Sonntag nach dem Christfest, 02. Februar 2020

Predigt zu Lukas 2, 41-52; 2. Sonntag nach Weihnachten, 3. Januar 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

P Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

G Amen.

Lasst uns in der Stille um den Segen aus Gottes Wort bitten. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

ein Christbaum im Zimmer, im Garten oder im Foyer – das ist schon etwas Besonderes. Bei manchen steht er schon nach zwei Tagen im Weg herum. Andere möchten ihn gar nicht wieder hergeben. Freilich: Irgendwann muss er abgeschmückt werden. Die Frage ist nur, wann? Wann der Weihnachtsbaum aus dem Haus muss, wird ganz unterschiedlich gehandhabt. Die Weihnachtszeit dauert bis Lichtmess am 2. Februar, aber bis dahin steht der Baum in den wenigsten Häusern. Bei manchen bleibt er bis Neujahr, bei vielen bis zum 6. Januar, bei wieder anderen bis zum ersten Schultag nach den Ferien.

Wie auch immer - ich möchte heute mit Ihnen noch einmal zum Christbaum gehen und schauen. Noch einmal neu hinschauen, denn Weihnachten ist größer, als dass man es nach zwei Tagen „ausgefeiert“ hätte.

Dieses Jahr schenkt uns einen seltenen 2. Sonntag nach Weihnachten und damit eine Weihnachtsgeschichte, die relativ bekannt, aber mitunter ähnlich „verhunzt“ wird, wie die Geschichte vom Stall in Bethlehem. Das ist gar nicht unüblich, aber für einen Theologen zuweilen unerträglich.

Ein Grund hierfür liegt in des Menschen Hang zum Märchen oder Legendenhaften. Und das ist zunächst auch überhaupt nicht problematisch. Märchen pflegen die Seele, damit auf ihr etwas wachsen kann von dem, was der Mensch zum Leben braucht: Mut zum Beispiel, Zuversicht und natürlich Fantasie. Ohne Märchen würde uns etwas Großes fehlen.

Zugleich übt das Neue Testament eine gewisse Reserve gegenüber dieser Gattung menschlicher Kultur. Sehr deutlich wird dies in den Kindheitsgeschichten des jungen Jesus von Nazareth. Während die sogenannte apokryphe Literatur eine Menge an wundersamen Stoffen zusammengetragen hat, üben sich die vier Evangelien in starker Zurückhaltung. Markus und Johannes kennen nicht einmal eine richtige Geburtsgeschichte, und über die Kindertage Jesu weiß allein Lukas mit unserem Predigttext zu berichten.

Wie stark der Sog solcher Geschichten war, zeigen auch die vielfältigen außerbiblischen Parallelgeschichten zu unserer Perikope. Es gibt eine große Anzahl von Legenden, die der Charakterisierung großer Männer dienen wollen und die bereits im jugendlichen Alter – sehr gern im Alter zwischen 12 und 14 – eine überragende Weisheit erreicht hatten. Die Liste reicht von Herodot bis Epikur.

Das alles ist nicht die Sache der Heiligen Schrift und des Christentums. Hier sind Kindergeschichten nachrangig: Allein Jesu messianisches Wirken und Leiden soll als frohe Botschaft verkündet werden.

Wie schnell freilich das menschliche Gemüt sich davon entfernen möchte, zeigt auch die Auslegungsgeschichte unseres Predigttextes. Welche Irrungen und Wirrungen. Was wurde hier nicht alles versucht: Unsere Perikope ist kein Programm der religiösen Erziehung. Kein Panorama der Heiligen Familie. Wir lernen nichts über den braven oder ungezogenen jungen Jesus. Die einzige neutestamentliche Geschichte aus der Jugend Jesu ist eben keine Jugendgeschichte. Sie schildert nicht seine Entwicklung. Im Gegenteil: Jesus weiß von Anfang an, wer sein Vater ist.

Vielmehr ist unser Bibeltext eine Offenbarungsgeschichte. Epiphanie, wie die Alten sagen, Offenbarung – In-Erscheinung-Treten in moderneren Worten: Darum geht es – ganz wie an Weihnachten.

Von daher lasst uns noch einmal zum Christbaum gehen und schauen. Noch einmal neu hinschauen, denn Weihnachten ist größer, als dass man es nach zwei Tagen „ausgefeiert“ hätte.

Zwei „Weihnachtskugeln im Offenbarungsschein“ möchte ich genauer anschauen.

Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte.

An Heilig Abend sind die Kirchen voll. Und nicht nur da. Auch viele Wohnzimmer und Wirtsstuben füllen sich an diesen Tagen. In einem Normaljahr finden viele Familien und Freunde gerade an Weihnachten zusammen. Alte Freunde treffen sich. Ganze ehemalige Klassenverbände feiern in den Wirtshäusern der Heimat. Der Mensch ist zutiefst ein soziales Wesen und auf Gemeinschaft hin angelegt.

So auch Jesus: Jesus zieht im Großverband, nicht allein in der Kernfamilie, nach Jerusalem, und bedenkt inmitten von Lehrern Gottes Wort. Gefunden wird Jesus im Tempel, genauer, in einer der Tempelhallen, wo sich die Gelehrten versammeln und miteinander über die Gesetze diskutieren. Dort sitzt er unter ihnen, hört ihnen zu und befragt sie. Jesus wird als Toraschüler gezeichnet.

Der Mensch ist - wie der Glaube - auf Austausch hin angelegt. Glaube vollzieht sich im Hören und Fragen. Menschsein im Spiegel des Anderen. Wo das aufhört, bekommen wir Probleme. Das ist zuweilen auch an Weihnachten zu spüren, da ein Tischgespräch schon lange nicht mehr gepflegt wird und alle lieber am Handy schreiben oder in den Fernseher schauen.

Und in der Kirche und im Glauben? Sonntagsgang ist abgesagt. Das Kirchenkaffee erlahmt. Hören und Bedenken weicht dem effektvollen Kurzevent. Wo finden sich bei uns noch die Tempelhallen, in denen Gottes Wort und unser Glaube gemeinsam bedacht und eingeübt werden kann?

Vielleicht sollte der Christbaum doch noch etwas stehen bleiben. Vielleicht kann er auch im Januar einladen, sich um ihn zu versammeln und zu begegnen.

Und als sie [Jesus] sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?

Das Bild der Heiligen Familie hat sich wie kein zweites in das kulturelle Gedächtnis unseres Landes eingebrannt. So sehr, dass damit oft eine Überforderung und Überhöhung der Kernfamilie einhergeht.

Unsere Weihnachtsgeschichte öffnet unseren Blick. Jesu Antwort relativiert die Bindung an die irdischen Eltern. Jesus schafft einen heilsamen Gegenpol zum medial so oft beschworenen traditionellem Familienbild. Gottesfamilie und Gotteskindschaft sprengen menschliche Kategorien.

Christliche Familienbilder leben nicht von Blutsverwandtschaft oder anderen Abhängigkeitsparametern. Das Luthertum hat mit seiner Hochschätzung der Kernfamilie die anderen ebenso gottgewollten sozialen wie christlich-kirchlichen Bindungen an den Rand gedrängt. So sehr, dass die klassische Familie als die einzige vollgültige Form christlicher Existenz geachtet und gepriesen wurde. Was ist aus unseren Konventen geworden? Was mit der schönen Anrede Schwester und Bruder?

Unsere Weihnachtsgeschichte steht diesen Entwicklungen entgegen. Vielleicht brauchen wir gerade in der heutigen Zeit, genau diese anderen Formen. Unterm Christbaum des Lukasevangeliums haben die vielfältigsten Sozialformen ihren Platz.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Pfarrer Oliver Georg Hartmann, Diakonisch-Theologischer Dienst

Verwandte und zitierte Literatur:

Eissfeldt, Otto: Die Bedeutung der Märchenforschung für die Religionswissenschaft, besonders für die Wissenschaft vom Alten Testament, in: Ders: Kleine Schriften. Erster Band, Tübingen 1962, 23-32.

Gunkel, Hermann: Das Märchen im Alten Testament, Tübingen 1917.

Klein, Hans: Das Lukasevangelium (KEK 1/3), Göttingen 2006.

Klostermann, Erich/Gressmann, Hugo: Das Lukasevangelium (HNT II,3), Tübingen 1919.

Knittel, Ann-Kathrin: Vom Wachsen (Lk 2,41-51 - 3.1.2021 – 2. So. n. d. Christfest), in: Göttinger Predigtmeditationen 75 (2020), 106-110.

Schröter, Jens: Die Apokryphen Evangelien. Jesusüberlieferungen außerhalb der Bibel, München 2020.

Schweizer, Eduard: Das Evangelium nach Lukas (NTD 3), Berlin 1982.

Stählin, Wilhelm: Predigthilfen. Band 1. Evangelien, Kassel 1958.

Voigt, Gottfried: Der schmale Weg. Homiletische Auslegung der Predigttexte der Reihe 1, Berlin 1978.

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