Predigt vom 14. Sonntag nach Trinitatis, 13. September 2020

Predigt zu Lukas 19, 1-10; 14. Sonntag nach Trinitatis, 13. September 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrerin Karin Lefèvre

Liebe Gemeinde!

„Boah, so kenne ich dich ja gar nicht!“, das sagen wir zum Beispiel zu einer Person, die eher sehr ruhig und freundlich ist, wenn sie dann mal aus sich herausgeht und äußerst energisch und mit blitzenden Augen Partei für jemanden ergreift, dem gerade Unrecht widerfährt.

So kenne ich dich gar nicht! So geht es uns immer wieder mit Menschen, die wir gut zu kennen meinen. Zwischen Gott und uns ist das ein bisschen anders. HERR, du erforschest mich und kennest mich (…) du verstehst meine Gedanken von ferne. So beginnt der Psalm 139, und voller Vertrauen in diesen wissenden und liebenden Gott endet er mit der Bitte: Sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Heute hören wir eine der bekanntesten Geschichten aus dem Neuen Testament. Sie ist eine unglaublich schöne, ermutigende und durch und durch praktische Auslegung von Psalm 139. Ich lese aus dem Lukas-Evangelium im 19. Kapitel:

1Nachdem Jesus hineingegangen war, durchquerte er Jericho. 2 Und siehe, da war ein Mann, der hieß mit Namen Zachäus. Er war Oberzöllner. Und er war reich. 3 Und er wollte unbedingt Jesus sehen, um sich selbst ein Bild von ihm zu machen. Aber das gelang ihm nicht, weil die Menschenmenge zu groß und er selbst zu klein war. 4 Da lief er voraus nach vorne und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, weil er an jener Stelle vorbeikommen sollte. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, blickte er auf und sprach zu ihm: „Zachäus, steig schnell herab, denn heute muss ich unbedingt in deinem Haus bleiben.“ 6 Und er stieg schnell herab und nahm ihn freudig auf. 7 Und alle, die das sahen, murrten und sagten: „Bei einem Sünder hat er sich einquartiert!“

8 Zachäus aber stellte sich hin und sprach zum Herrn: „Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen. Und wenn ich von jemanden etwas erpresst habe, erstatte ich es vierfach.“

9 Jesus aber sprach zu ihm: „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren. Denn auch dieser ist ein Sohn Abrahams. 10 Der Menschensohn ist nämlich gekommen, um das Verlorene zu suchen und zu retten.“

Liebe Gemeinde,

so schnell hat bestimmt nie wieder ein Krimineller sein Versteck verlassen wie Zachäus. So freudig hat noch nie ein Angeklagter seinen Richter aufgenommen!

Doch alle, die das sahen, murrten. Klar murren sie. Das täten und das tun wir auch. Sie glauben das nicht?

Dann stellen wir uns jetzt mal etwas viel Harmloseres vor, nämlich: Der Vorstand von Diakoneo hätte am Donnerstag beschlossen, die staatliche Grund- und Mittelschule in der Friedrich-Bauer-Straße mit der neuesten Technik auszustatten. Mit welcher Empörung wir da murren würden! Schließlich haben wir jede Menge eigener Schulen, um die Diakoneo sich doch zuerst kümmern soll. Aber klar doch!

O ja, wären wir damals dabei gewesen, wir hätten auch gemurrt. Der Zachäus hat ja selbst zugegeben, dass er ein Erpresser ist. Allen, die er erpresst hat, will er das Vierfache zurückgeben. Das glauben wir ihm sofort. Der hat ja bestimmt eine Liste daheim in seinem Safe, wen er alles mit seiner Entschädigung beglücken muss!

Und die Hälfte seines Vermögens will er an die Armen spenden. Das ist frech.

Erstens bleibt da bestimmt noch eine Menge für ihn selbst übrig. Zweitens geht es gar nicht, dass Jesus damit zufrieden ist. Gerade hat er doch noch (Kapitel 18) von dem reichen Vorsteher verlangt, dass er alles verkaufen und den Armen schenken und ihm nachfolgen solle. Wenn jetzt einige denken: Moment mal, das ist doch der reiche Jüngling und kein Verwalter. Nun, bei Lukas wird er Verwalter und bei Matthäus ein Jüngling genannt. Doch das ist hier egal, uns bewegt, dass jener alles verschenken muss, während dieser Lump von einem Ausbeuter und Erpresser namens Zachäus die Hälfte von seinem Vermögen behalten darf! Und von Nachfolge ist auch keine Rede. Und da sollen wir nicht murren?!

Merken wir alle was? - Wir sind von Natur aus Murrerinnen und Murrer. Wir sind das Volk. Wir begehren auf.

Und so bekommt diese bekannte Geschichte vom Zachäus im Baum eine ganz neue Wirkung. Wenn wir uns darauf einlassen, spüren wir, welche Brisanz sie in unserem Leben entfalten kann. Doch gehen wir noch einmal zurück zu der Frage: Warum kommt Zachäus so unglaublich gut davon im Vergleich zu dem reichen Vorsteher, von dem Jesus nur wenige Tage zuvor verlangt hat, er solle alles veräußern und verschenken? Welche Konsequenzen hat das für uns?

Das hängt davon ab, wie wir uns selbst sehen. Der reiche Vorsteher war ja von seiner Anständigkeit sehr überzeugt. So sehr, dass er sich den „Himmel“ verdienen wollte. „Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“

Auf so eine Idee kommt keiner wie Zachäus, der mit einer brutalen Besatzungsmacht zusammenarbeitet und ganz selbstverständlich zugibt, einen Teil seines Vermögens durch Erpressung und einen anderen durch Ausbeutung der Armen erworben zu haben. Eine solche Vergangenheit verbietet die Frage, die der reiche Vorsteher stellt.

Und da wird es nun für uns sehr schwierig. Denn jede und jeder muss sich nun fragen: Wie ist das bei mir? Das ist gar nicht so einfach. Weil ich niemandem zu nahe treten möchte, spreche ich von mir selbst: Ich bin eine ziemlich chaotische Mischung aus beiden. Was mich mit dem reichen Vorsteher verbindet, ist, dass ich mich in all den vergangenen Jahrzehnten sehr angestrengt habe, immer das „Richtige“ zu tun. Und mich verbindet auch, dass ich gerne für alles selbst die Verantwortung übernehme. Aber auch mit Zachäus verbindet mich einiges: Wir sind beide eher unterdurchschnittlich groß. Und nein, ich bin keine Erpresserin. Aber ich habe oft ein schlechtes Gewissen, weil mein ganz normaler bürgerlicher Lebensstil auf jeder Menge unsichtbarer Ausbeutung von Menschen in fernen Ländern beruht. Darum weiß ich – wie Zachäus – dass sich mir die Frage verbietet. Was kann ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ Denen aber, die sich für fromm und gerecht genug halten, denen, die meinen, sie könnten etwas tun, um sich das ewige Leben zu verdienen, denen stellt Jesus eine Aufgabe, die sie verzweifeln lässt. Entweder geben sie auf und lassen es sich schenken oder sie gehen traurig weg.

So, und nun gehen wir wieder direkt zurück zum Bibeltext, der so vieles voll auf den Kopf stellt. - Zachäus, dessen Vorname auf Deutsch der Reine, der Unschuldige bedeutet, ist ein Erpresser und Kollaborateur. Er steigt auf einen Baum, um von oben herab, aus dem Verborgenen, Jesus zu sehen. Doch der bleibt unter dem Baum stehen und schaut auf zu Zachäus. Und er, der Göttliche, der das Verborgene sieht und kennt, lädt sich bei ihm ein: Zachäus, steig schnell herab, denn heute muss ich unbedingt in deinem Haus bleiben.

Dieses unbedingte Müssen aus dem Munde Jesu hat es in sich! In der griechischen Ursprache besteht es aus nur drei Buchstaben: d-e-i. Und die drücken ein göttliches Unbedingt aus. So wie für Jesus kein Weg am Leiden und Sterben vorbeiführt, so führt auch kein Weg an seinem Aufenthalt im Haus des Zachäus vorbei. Er ist Teil seiner Sendung. Das steckt auch in dem kleinen Wörtchen „heute“.

Heute muss ich unbedingt in deinem Haus bleiben. Und: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren. - Damit werden wir direkt an den Anfang des Evangeliums zurückgeführt, wo Jesus sein öffentliches Wirken damit beginnt, dass er in seiner Heimatstadt in die Synagoge geht und dort die Lesung hält:

Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt,

zu verkünden das Evangelium den Armen,

zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen,

den Blinden, dass sie sehen sollen

und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit

und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn. (Jesaja 61)

Jesu Kommentar zu dieser Lesung: HEUTE ist dieses Wort vor euren Ohren erfüllt! Und erst bei Zachäus sagt er das wieder. HEUTE muss ich bei dir bleiben. HEUTE ist diesem Haus Heil widerfahren.

Gut 2000 Jahre später, heute, am 13. September 2020, gilt das immer noch für jede und jeden von uns. Es gilt, egal wieviel Zachäus und wieviel reicher Vorsteher in uns stecken. Gott sieht uns und Gott kennt uns. Er versteht unsere Gedanken von ferne. Das alles ist bei Gott jedoch von Liebe getragen.

So wie er den Zachäus von seinem bösen Weg auf den ewigen Weg ins Reich Gottes geleitet hat, will er das auch bei mir und bei jeder und jedem hier tun.

Darum können wir alle aus vollem Herzen einstimmen in den Vers: Lobe den Herrn, meine Seele, und seinen heiligen Namen. Was er dir Gutes getan hat, Seele vergiss es nicht, Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was unser Verstand uns sagen kann, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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