Predigt vom 16. Sonntag nach Trinitatis, 19. September 2021

Predigt zu Klagelieder 3, 21-26.31-32; 16. Sonntag nach Trinitatis, 19. September 2021, 10.00 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Norbert Heinritz

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

was gibt Ihnen eigentlich Hoffnung? Was baut Sie in schwierigen Zeiten auf? Was macht Ihnen Mut, wenn Schreckliches passiert?

Vielleicht ist es das Leuchten der Sonne am Morgen – wie heute, ein schöner Tag. Vielleicht ist es Musik, die Ihnen Auftrieb gibt. Vielleicht ist es der Freund oder die Freundin, die Mut macht. Vielleicht ist es ein tröstlicher Brief aus der Ferne. Vielleicht eine Umarmung. Vielleicht ist es auch ein Lied aus dem Gesangbuch oder ein Wort aus der Bibel.

Was gibt Ihnen Hoffnung? Was baut Sie auf in schwierigen Zeiten? Was macht Ihnen Mut, wenn Schreckliches passiert?

Es kann schreckliche Zeiten im Leben geben. Wo es einen brutal trifft. Unser heutiges Bibelwort stammt aus einer Zeit, die nun wirklich schrecklich und fürchterlich war. So schrecklich und fürchterlich, dass es sich die allermeisten von uns gar nicht vorstellen können.

Zur Zeit unseres Bibelworts herrschte Krieg, ein schlimmer Krieg. Gott sei Dank haben die meisten von uns keinen Krieg erleben müssen. Doch damals, zur Zeit unseres Bibelwortes, waren die Feinde gekommen und hatten die Heimat zerstört. Die Heilige Stadt Jerusalem war dem Erdboden gleichgemacht worden. Die Stadtmauern waren umgerissen, die Häuser verbrannt. Kinder und Alte, Männer und Frauen waren vergewaltigt, gequält und getötet worden. Andere verschleppt. Und es herrschte eine große Hungersnot. Nichts zu essen. Die Menschen waren verzweifelt. Und dann auch noch das: Der Heilige Tempel, das Haus Gottes, war zerstört worden. Der Ort ihres Glaubens. Der Ort ihrer Hoffnung. Von den Feinden niedergerissen. Schrecklich war es.

Wie konnte es so kommen, fragten sich die Menschen. Hat Gott uns gestraft? Hat er uns verlassen?

Ja, sie hatten vorher nicht auf die Propheten gehört.

Sie hatten die Warnungen der Warner nicht ernst genommen. Sie waren sich ihrer Sache und ihrer Lage zu sicher. Und als sie schon das Unglück kommen sahen, waren sie zu zögernd und zu zaghaft, um umzukehren. „Es wird schon nicht so schlimm werden“, dachten sie.

Wie leicht übersieht man den Ernst der Lage, schiebt ihn weg, will ihn nicht wahrhaben. Doch es wurde schlimm. Jetzt war sie da, die Katastrophe.

Unser Bibelwort für heute stammt aus dem Buch der Klagelieder. Über zweieinhalbtausend Jahre sind die Worte alt. Mit erschütternden Worten werden in fünf Kapiteln die Folgen des Krieges beschrieben, als die Babylonier brutal Jerusalem eroberten.

Und dann, mittendrin in der Klage, mitten im Buch der Klagelieder, ist da etwas Erstaunliches. Mittendrin in all dem Klagen stutzt man beim Lesen. Es kommen dann diese Worte:

21 Aber eine Hoffnung bleibt mir noch, an ihr halte ich trotz allem fest: 22Die Güte des HERRN hat kein Ende, sein Erbarmen hört niemals auf, 23es ist jeden Morgen neu! Groß ist deine Treue, o Herr! 24Darum setze ich meine Hoffnung auf ihn, der HERR ist alles, was ich brauche. 25Denn der HERR ist gut zu dem, der ihm vertraut und ihn von ganzem Herzen sucht. 26Darum ist es das Beste, geduldig zu sein und auf die Hilfe des HERRN zu warten. 31Denn wenn der Herr einen Menschen verstößt, dann tut er es nicht für immer und ewig. 32Er lässt ihn zwar leiden, aber erbarmt sich auch wieder, denn seine Gnade und Liebe ist groß. (Klagelieder 3)

Großartige, schöne Worte der Hoffnung sind das. Obwohl es für das Volk Israel so schrecklich schlimm war.

Ich habe mich gefragt: Über welche Kleinigkeiten klagen wir nicht alles? Übersehen dabei manchmal, wie gut es uns geht? Wir können von Glück sagen und Gott dankbar sein, dass wir in Frieden leben, nun seit über 75 Jahren schon. Was für eine Güte, was für eine Gnade und Liebe des Herren!

Freilich: Einzelne Lebensschicksale können schlimm und fürchterlich sein. Das habe ich auch schon oft genug erlebt. Was gibt dann Hoffnung? Was macht dann Mut?

Aber eine Hoffnung bleibt mir noch, an ihr halte ich trotz allem fest: Die Güte des HERRN hat kein Ende, sein Erbarmen hört niemals auf, es ist jeden Morgen neu! Groß ist deine Treue, o Herr!

Da hält einer trotz allem an der Güte und am Erbarmen Gottes fest. Trotz allem - das ist das Wesen des Glaubens. Trotz allem an die Güte Gottes und an sein Erbarmen zu glauben.

Es ist schon viele Jahre her. Ich war noch jung, gerade mal 27 Jahre alt. Ich war Lehrvikar. Man könnte es so sagen: Ich war Pfarrerslehrling. Zweieinhalb Jahre war ich in einer Gemeinde bei einem erfahrenen Pfarrer, der mir zeigte, wie das geht: Pfarrer sein.

Er sagte: Besuchen Sie doch mal die Frau Schindler im Altenheim. Sie ist schwer krank. Sie sitzt im Rollstuhl und kann sich nicht mehr gut bewegen. Sie hat Multiple Sklerose.

Daheim sah ich erst einmal im Lexikon nach, was das für eine Krankheit ist. Das Internet gab es damals noch nicht. Ich erfuhr, dass Multiple Sklerose die Nervenbahnen zerstört. Es gibt keine Heilung. Man kann die Krankheit verlangsamen. Wenn es aber ganz schlimm werden sollte, kann man sich irgendwann nicht mehr bewegen.

Oh weh! Diese Frau sollte ich im Altenheim besuchen! Was wird mich erwarten? Ich hatte ziemlich Herzklopfen, als ich das Altenheim betrat und schließlich an ihrer Zimmertür klopfte. Mit einem freundlichen „Herein“ wurde ich begrüßt. Eine Seniorin Mitte Siebzig lachte mich aus einem Rollstuhl an. Sie freute sich über meinen Besuch. Sie erzählte mir von ihrer Situation und ihrer Krankheit. Dass es langsam immer schlimmer wird. Dass man nichts machen kann. Dass sie viel Hilfe braucht. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie niedergeschlagen ist und klagt. Stattdessen redete sie fröhlich und zuversichtlich. Sie holte ihr Gesangbuch aus dem Regal und las mir, dem angehenden Pfarrer, die Liedverse vor, die ihr Mut machten. Ich weiß nicht mehr, welche Lieder es waren. Vielleicht war auch unser Lied vom Anfang dabei. Es hätte zu ihr gepasst.

All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad und große Treu;
sie hat kein End den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.

Ich besuchte sie noch öfter. Jeder Besuch lief so ab. Sie freute sich, sie strahlte mich an, sie nannte mir Bibelverse, die ihr gefielen, und Lieder, die ihr Mut machten. Am Ende ging immer ich ermutigt und hoffnungsvoll von dannen. Irgendwann begriff ich: Der Seelsorger war nicht ich, die Seelsorgerin war sie.

Bei ihr habe ich als junger Kerl erfahren, wie der Glaube das große Trotz-Allem in schlimmen Zeiten sein kann. Und es blieb nicht das einzige Mal, dass ich das erlebte. Viele Geschichten könnte ich erzählen, wo Menschen, die ganz unten waren, sagten: Aber eine Hoffnung bleibt mir noch, an ihr halte ich trotz allem fest: Die Güte des HERRN hat kein Ende, sein Erbarmen hört niemals auf

Für mich ist dieses Trotz-Allem das Wesen des Glaubens. Es gibt so viel Geschehnisse auf dieser Welt, um nicht an Gott und seine Güte zu glauben. Und trotzdem, trotz allem hält mich und viele andere Menschen dieser Glaube.

Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich an meiner rechten Hand. (Psalm 73)

Dennoch! Wie kommt das? Ich kann es nicht sagen, so wenig, wie es offenbar der Verfasser der Klagelieder kann. Es ist einfach da. Vielleicht auch bei Ihnen?

Was gibt Hoffnung? Was baut auf in schwierigen Zeiten? Was macht Mut, wenn Schreckliches passiert? Die Antwort aus der Bibel lautet heute:

Eine Hoffnung bleibt mir noch, an ihr halte ich trotz allem fest: Die Güte des HERRN hat kein Ende, sein Erbarmen hört niemals auf, es ist jeden Morgen neu! Groß ist deine Treue, o Herr! Darum setze ich meine Hoffnung auf ihn, der HERR ist alles, was ich brauche. Amen.

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