Predigt vom 1. Sonntag nach Trinitatis, 8. Juni 2021

Predigt zu Jona 1, 1-2, 2 (3-10) 11; 1. Sonntag nach Trinitatis, 6. Juni 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

P Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

G Amen.

Lasst uns in der Stille um den Segen aus Gottes Wort bitten. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Ein jüdischer Schüler soll seinen Lehrer gefragt haben, warum eigentlich am Versöhnungstag noch immer diese uralte Geschichte des Jona gelesen werde. Der Lehrer flüstert seinem Schüler die Antwort leise ins Ohr: „Weil wir Jona sind.“ Vielleicht wird uns die Geschichte des Jona in der Bibel so erzählt, weil auch wir Jona sind. Manchmal widerspenstig, flatterhaft und nicht einverstanden oder überfordert mit den Dingen, die uns das Leben schwermachen.

Freilich, alte Geschichten haben es in unserer Zeit schwer. Die Geschichte von Jona – allenfalls im Kindergottesdienst. Und doch leben wir in einer Zeit, die mit Erzählungen und Geschichten mächtig agiert. Abends bei Netflix – einem kostenpflichtigen Serien- und Filmanbieter – sind die Leute bereit, im Modus des „Als Ob“ Konstrukte zumindest für zwei oder drei Stunden als Realität zu akzeptieren, die nicht weniger ungewöhnlich sind als ein Glaube an die Menschwerdung Gottes und der wundersamen Geschichte von Jona.

Also, lasst uns neu hören – auf die Geschichte von Jona - weil wir Jona sind.

So steht geschrieben beim Propheten Jona im 1. und 2. Kapitel:

1Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: 2Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. 3Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom Herrn. 4Da ließ der Herr einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. 5Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. 6Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben. 7Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht. Und als sie losten, traf’s Jona. 8Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du? 9Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. 10Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem Herrn floh; denn er hatte es ihnen gesagt. 11Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer. 12Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist. 13Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an. 14Da riefen sie zu dem Herrn und sprachen: Ach, Herr, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, Herr, tust, wie dir’s gefällt. 15Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. 16Und die Leute fürchteten den Herrn sehr und brachten dem Herrn Opfer dar und taten Gelübde.

21Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. 2Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches. 11Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

Der Herr segne sein Wort an uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Manchmal mache ich etwas falsch, obwohl ich es besser wusste. Das fühlt sich bitter an, und dann kommt der Schaden, der entstand, auch noch dazu. Von diesem Schaden erzählt unser heutiges Evangelium und in seiner Weise auch unser Predigttext. Im Evangelium haben wir gerade das Wort des Herrn an seine Jünger, seine Kirche und an uns vernommen: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

In beiden Texten geht es um den Auftrag und die Sendung des Gottesvolkes und seiner Glieder an die Welt. Sendung und Auftrag liegen in beiden Texten gleich zu Grunde, und mir wird das Herz schwer, wenn ich an unseren Auftrag heute und in dieser Welt denke.

1Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: 2Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. 3Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom Herrn.

Die Fahrt von der Praxis zum Wohnhaus der Patientin dauert nur wenige Minuten, einmal quer durch den Ort. Der Arzt Sebastian List kennt den Weg auswendig, er ist hier aufgewachsen. In Groß-Umstadt leben gut 21.000 Menschen, viele Einfamilienhäuser säumen die Straßen, im Zentrum gibt es ein paar Geschäfte und Restaurants, draußen an der Bundesstraße grenzt das Schnellrestaurant an einen Discounter. Der Ort liegt im nördlichen Odenwald. Darmstadt und Aschaffenburg sind jeweils etwa eine halbe Autostunde entfernt, bis Frankfurt ist es eine Stunde. Nicht wirklich Land, aber doch ländlich.

Mit seiner Entscheidung, einen Arztsitz in Groß-Umstadt zu übernehmen, ist Sebastian List eine Ausnahme. Denn viele Ärzte wollen in den Metropolen bleiben und nicht aufs Land gehen, um dort zu praktizieren. Während die Städte meist überversorgt sind, können auf dem Land in der Regel längst nicht alle Praxen besetzt werden.

Sebastian List hat alles richtiggemacht. Er ist kein Jona. Er ist dorthin gegangen, wo ihn die Menschen brauchen. Zur 95 Jahre alten Patientin, die zu Hause betreut wird, in einer kleinen Wohnung im Souterrain. Aber Sebastian ist die rühmliche Ausnahme. Menschen – egal welchen Berufes – für ein Leben außerhalb der attraktiven Wohnorte zu begeistern, ist fast zur Unmöglichkeit geworden. Zu vieles steht im Weg, die Gründe sind mannigfaltig.

Im Raum der Kirche und Diakonie nannte man dies früher „Sendungsprinzip“. Das Sendungsprinzip stellte den markantesten Baustein des Dienstideals dar. Ausschlaggebend waren dabei nicht nur disziplinarische Gründe, sondern vor allem der Gedanke der ständigen Verfügbarkeit und der vorbehaltlosen und gezielten Einsatzbereitschaft. Und heute?

4Da ließ der Herr einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. 5Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief.

Jona floh nach Tarsis, einem Ort am sprichwörtlichen Ende der damals bekannten Welt. Dieser unerhörte Vorgang ist ohne jede Parallele im Alten Testament. Allerdings war auch noch keinem Propheten zuvor von Gott zugemutet worden, was Jona zugemutet wird: Eine Gottesbotschaft in die Stadt der Feinde zu bringen.

Ich kann Jonas Reaktion nur allzu gut nachvollziehen. Ich vermute, ein jeder weiß, wieviel Mut und Kraft es erfordert, einem Mainstream, der herrschenden Meinung oder einer dominierenden Sitte, zu widersprechen – selbst dann, wenn einem das Verkehrte, das Perverse und Verlogene dieses Mainstreams klar vor Augen steht. Und Jona? Er soll nicht nur irgendeiner einflussreichen Gruppe oder einem herrschenden Teil in Ninive widersprechen, sondern der ganzen Stadt. Vor diesem Auftrag flieht Jona. Das verstehe ich, das ist zu viel, das übersteigt die Kräfte eines Menschen. Jona ist matt, müde und leer. Und schläft. Was für ein passendes Sinnbild – gerade in Corona-Zeiten. Vom tiefen Schlaf der Kirchen und Diakonie spüre ich in diesen Zeiten viel. Die Kraft scheint aufgezehrt, und der Sturm wütet.

Gedanklich endet die Geschichte hier, weil auch ich Jona bin. Manchmal widerspenstig, flatterhaft und nicht einverstanden oder überfordert mit den Dingen, die uns das Leben schwermachen.

Jonas Geschichte endet hier in der Tat, aber nicht die Geschichte Gottes. Vor Gottes Auftrag kann keiner fliehen. Und so ist es Gott, der den Sturm herbeiruft, Gott, der fremde Menschen in seinen Dienst nimmt, und Gott selbst ist es, der den großen Fisch herbeiruft, um Jona zu verschlingen, und Gott selbst ist es, der dem Fisch sagt, er solle ihn wieder an Land speien. So bringt unsere Geschichte nichts anderes zum Ausdruck als das, dass Gott selbst auf den Plan treten und dafür sorgen muss und wird, dass die Sendung des Gottesvolkes erfüllt wird.

Ja, so ist Gott. Das finde ich tröstlich. Gott tut letztlich das an uns, was wir nicht tun können. Und es ist daher sicherlich kein Zufall, dass die frühen Christen Jesus als Fisch bezeichnen. Nimmt man die zahlreichen Darstellungen eines Fisches an Wandbildern, auf Sarkophagen, Gläsern, Lampen und Steinen hinzu, so erhält man einen Eindruck von der außerordentlichen Verbreitung dieses merkwürdigen Symbols. Neben vielen Deutungen verweist eine auf die Jonageschichte. Für die ersten Christen wurde der rettende Fisch des Jona zum Bilde Jesu Christi.

Unser heutiger Predigttext beginnt kurzerhand: Es geschah das Wort des Herrn zu Jona. Schlicht und einfach beginnt unsere Erzählung, ohne Schnörkel, ohne Hintergrund. Gottes Wort steht plötzlich im Raum. „Wortereignisformel“ nennen das die Theologen, und es hat stets den Anklang, als ob die Geschichte anknüpfen möchte. Unmittelbar jedenfalls beginnt es. Keine typischen Zeitangaben wie sonst in den Prophetenbüchern, keine Überschrift, kein Hinweis. Dennoch ergeht das Wort nicht zeitlos. Es ist das gleiche Wort des Herrn, wie es an Abraham und an die Könige und Propheten im Laufe der Zeiten erging. Gottes Wort ergeht – und das finde ich tröstlich – immer wieder. Von Zeit zu Zeit, und auch an uns.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Becker, Kim Björn/Locke, Stefan/Soldt, Rüdiger: Praxis zu verschenken, FAZ vom 09 01.2020.

Golka, Friedemann W.: Jona (Calwer Bibelkommentare), Stuttgart 1991.

Herms, Eilert: Gottes Gegenwart. Predigten, Leipzig 2015.

Jeremias, Jörg: Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha (ATD 24,3), Göttingen 2007.

Lange, Britta: 1. Sonntag nach Trinitatis, 6.6.2021, in: Die Lesepredigt, hg. v. der VELKD, Göttingen 2020.

Röper, Ursula/Jüllig, Carola: Die Macht der Nächstenliebe. Einhundertfünfzig Jahre Innere Mission und Diakonie 1848-1998, Berlin 1998.

Schmidt, Hans: Jona. Eine Untersuchung zur vergleichenden Religionsgeschichte (FRLANT 9), Göttingen 1907.

Thomas, Günter: Im Weltabenteuer Gottes Leben. Impulse zur Verantwortung für die Kirche, Leipzig 2020. 

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