Predigt vom Weißen Sonntag, 19. April 2020

Predigt zu Johannes 20, 19-29, Reihe I; Sonntag Quasimodogeniti, 19. April 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Peter Schwarz

Liebe Gemeinde,

„…wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben…“

Mit der Geschichte vom „Ungläubigen Thomas“ rühren wir an eine offene Wunde, die viele in diesen Tagen spüren. Wie viele Menschen sehnen sich danach, in Berührung miteinander zu kommen, wie viele möchten einander in die Arme nehmen können und einander auch körperlich spüren. Es ist etwas ganz elementar Menschliches, auf das wir um unser aller Gesundheit willen verzichten: den Hautkontakt. Die Haut ist mit ihren 2,5 m2 das größte Organ unseres Körpers. Durch sie sind wir mit unserer Umwelt in Kontakt, spüren Sonne, Wind, Wärme oder Kälte. Über die Haut geht der erste Kontakt mit der Mutter bei der Geburt, und wer würde sich nicht wünschen, auch beim Hinausgehen aus dieser Welt noch einmal eine Hand zu spüren, die Trost und Frieden schenkt. Ja, was über die Haut geht, das geht auch unter die Haut.

Was Wunder, das der Jünger Thomas sagt: Wenn ich nichts spüre, kann ich nicht glauben. Dreimal tritt dieser Jünger im Johannes-Evangelium auf: Beim Aufbruch nach Jerusalem, in dieser Passage des Evangeliums vom Abend „nach acht Tagen“, die wir gehört haben, und schließlich im letzten Kapitel des Evangeliums beim nächtlichen Fischzug am See Tiberias. Thomas‘ Beiname „Didimus“, was „Zwilling“ bedeutet, ist manchmal als eine Beschreibung seines inneren Wesens gedeutet worden: Da sind zwei Seelen, die in seiner Brust wohnen: Die eine Seite, die sich nach der Nähe zu Jesus und der Gemeinschaft mit den anderen sehnt, und die andere Seite, die diese Nähe nicht zulassen kann, weil Fragen und Zweifel ihn einsam machen.

Zuerst die Sehnsucht nach Nähe, nach Gemeinschaft. Thomas ist bereit, darin bis ans Äußerste zu gehen: Als Jesus nach Jerusalem aufbricht, wo die schon auf ihn warten, die ihn töten wollen, schließt er sich ihm an und sagt: „Laßt uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben.“ Das ist die eine Seite.

Aber die andere Seite seines Lebens ist der Zweifel, der ihn einsam macht. Als die anderen von ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen erzählen - „wir haben den Herrn gesehen“ - provoziert er sie - und übrigens viele Fromme bis in unsere Tage - wenn er Bedingungen stellt: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.“

Damit geht er weiter als alle: Nicht nur hören und sehen will er seinen Herrn, wenn er denn auferstanden sein sollte. Er will mehr: Er will ihn berühren. Diese Sehnsucht nach etwas Greifbarem im Glauben ist es, die Thomas und nach ihm viele Menschen in der Geschichte der Christenheit zu einsamen Fragern macht. Denn jeder wird zwangsläufig einsam, der sich ausgeschlossen fühlt, abgesondert von den anderen und ihren Erfahrungen, auf die sich diese berufen.

Ich glaube, dass uns Thomas vielleicht heute näher ist als sonst am Weißen Sonntag. Zumindest all denen, die sich ausgeschlossen und eingeschlossen fühlen. Ausgeschlossen von der körperlichen Nähe zu anderen, eingeschlossen in ihrem Zimmer und allein mit den Fragen und Ängsten, vielleicht auch dem Zweifel.

Dass Thomas an diesem Morgen im Evangelium zu Wort kommen darf, ist da schon ein Zeichen der Hoffnung, denn das heißt ja: Es ist nichts Fremdes, Ungehöriges, wenn der Zweifel und die Sehnsucht nach etwas Greifbarem in mir hochkommt .

Der Zweifler legt den Finger auf die wunde Stelle – dafür ist Platz im Evangelium, und darum muss für ihn auch Platz in unserer Kirche sein. Die Zweifler unter uns bewahren uns davor, dass wir uns - schwuppdiwupp -hineinträumen in eine scheinbar heile Welt und aus der Wirklichkeit flüchten. Solange es Kirche und Gemeinde gibt, wird Thomas in ihr gegenwärtig sein. Ja, er muss gegenwärtig sein, denn das Ungeheuerliche, das an Ostern geschieht, kann ja nicht einfach wie selbstverständlich geschluckt werden und geht auch nicht wie Öl hinunter.

Der Stein, der von des Grabes Tür gewälzt ist, wird immer Stein des Anstoßes bleiben.

Jesus ermutigt Thomas, den Finger in die Wunde zu legen. Mehr noch: Er führt ihm selbst die Hand: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“

Es ist die Wirklichkeit des Leidens, die mit Ostern in Kontakt bringt. Der Zweifler findet zum Glauben und wird von den Wunden des Auferstandenen geheilt.

Der Evangelist weiß, dass der Leib des Auferstandenen nicht mehr von dieser Welt ist. Jesus trägt schon die Gestalt des Himmlischen, und wenige Verse vorher darf Maria von Magdala ihn nicht berühren.

Und doch ist Jesus an seinen Wunden erkennbar. Jesus steht nicht da für die Träume von einer heilen Welt, einer Welt ohne Schatten. Er nimmt die Schatten ernst, nimmt die Wunden ernst. Er trägt sie am eignen Leib. Und nimmt sie zugleich mit ans Kreuz und mit hinein in ein neues Leben.

Eine gute Nachricht, ein wirkliches Evangelium: Keiner, der glauben will, muss die Augen verschließen vor dem Leiden, vor den Wunden. Keine, die sich allein fühlt in ihrem Zweifel, ist von Christus fern. Der Auferstandene nimmt ihn, nimmt sie, nimmt uns alle bei der Hand: Durch seine Wunden seid ihr geheilt.

So beschreibt dieser Weiße Sonntag Jesus den Weg, den Thomas gehen soll, und er lädt uns ein, dass wir diesen Weg mitgehen: „Sei nicht ungläubig sondern gläubig“ - das ist die Einladung: Vertraue deine Zweifel dem an, der aus dem Tode auferstanden ist.

Es bleibt im Übrigen in der Schwebe, ob die Hände des Thomas Christus berühren – denn alles läuft auf sein Bekenntnis hinaus: „Mein Herr und mein Gott“. Thomas kommt mit diesen Worten zu seiner Berührung mit Christus und findet zu ganz persönlichen und eigenen Worten: „Mein Herr und mein Gott“. Es ist das stärkste, persönlichste und direkteste Bekenntnis, das uns das Evangelium überliefert.

Ich vertraue darauf, dass der Auferstandene auch uns bei der Hand nimmt und führt: Herausführt aus der Einsamkeit des Fragens, Zweifelns und Zagens. Ich vertraue in die Gemeinschaft mit den anderen. Ich vertraue darauf, dass der Auferstandene heute eine Brücke schlägt für uns alle, die sich wie Thomas fühlen.

Er hat uns ja schon zu einer Gemeinschaft zusammengeführt an diesem Morgen, auch wenn wir räumlich getrennt sind. Wir können einander nicht sehen, aber wir wissen voneinander, wir beten miteinander und füreinander. So sind wir verbunden durch unsere Sehnsucht, aber auch durch die Hoffnung und das Vertrauen auf Christus, das uns in dieser Stunde und diesen Tagen mehr denn je verbindet. Selig, die nicht sehen und doch glauben.

Pfr. Peter Schwarz, Diakoneo

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