Predigt vom Sonntag Jubilate, 3. Mai 2020

Predigt zu Johannes 15, 1-17; Sonntag Jubilate, 3. Mai 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrerin Karin Lefèvre

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit euch allen.

Die Macht der Bilder, liebe Gemeinde, wird uns heute deutlich vor Augen geführt. Wir leben ja auch in einer Bilderflut, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Wo wir auch hinschauen, überall sind Bilder: in unseren Wohnungen, an Plakatwänden, in Zeitschriften und nicht zuletzt im Fernsehen. Dort flimmern 25 Bilder pro Sekunde vor unseren Augen, das sind 90 000 Bilder in der Stunde!

Bilder, sie scheinen uns ein Abdruck der Wirklichkeit zu sein. Wir vertrauen ihnen. „Das habe ich doch mit eigenen Augen gesehen!“ bedeutet, dass etwas unzweifelhaft wahr zu sein scheint. - Doch ist es das?

Eines der Bilder, das es zu trauriger Berühmtheit gebracht hat, stammt aus dem Irak-Krieg. Es zeigt, wie ein amerikanischer Soldat einem gefangenen irakischen Soldaten Wasser einflößt. Was für eine menschliche Geste, denken da die meisten. Doch leider ist ein entscheidender Teil des Bildes abgeschnitten worden, nämlich der, in dem man sieht, wie ein anderer Soldat dem Gefangenen bei der ganzen Aktion ein Gewehr an den Kopf hält.

Erst wenn wir das ganze Bild zu sehen bekommen, verstehen wir, worum es geht. Oder seien wir noch vorsichtiger: Erst wenn wir das ganze Bild zu sehen bekommen, beginnen wir zu verstehen, worum es gehen könnte.

Nun fragen Sie sich sicherlich, warum ich Ihnen das erzähle? Und was das mit dem christlichen Glauben zu tun hat? Oder die ganz Engagierten, die sich auf den Gottesdienst vorbereitet haben, fragen sich, was hat das mit dem heutigen Predigtabschnitt zu tun, in dem es um das sehr bekanntes Bildwort Jesu geht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.

Nun, es ist ein BILDWORT – und auch bei dem heutigen Predigtabschnitt wurde etwas abgeschnitten, das absolut wichtig ist für ein halbwegs richtiges Verständnis dessen, was Jesus uns sagen will. Und deshalb beginne ich so ausführlich, weil ich teilweise entsetzt darüber bin, was ich zu dieser Bildrede Jesu gelesen habe. Es tut weh, was da aus den Worten Jesu gemacht wird, wie da aus einer Froh-Botschaft eine Droh-Botschaft wird. Und auch, weil ich befürchte, dass so viele mit dieser Auslegungen mehr Schaden anrichten als Gutes tun.

Doch ehe ich mehr dazu sage, lese ich jetzt endlich unseren Predigttext vor. Er steht im Johannes-Evangelium im 15. Kapitel und ist eingerahmt von Worten Jesu über die Liebe. Die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe, sagt Jesus da. Und daran schließt sich an:

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weinbauer. Jede Rebe, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; aber die fruchttragenden Reben reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringen. Ihr seid schon rein geworden durch die Botschaft, die ich euch verkündigt habe. Bleibt mit mir verbunden, dann werde ich mit euch verbunden bleiben. Nur wenn ihr mit mir verbunden bleibt, könnt ihr Frucht bringen, genauso wie eine Rebe nur Frucht bringen kann, wenn sie am Weinstock bleibt. Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, so wie ich in ihr oder in ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht mit mir vereint bleibt, wird wie eine abgeschnittene Rebe weggeworfen und vertrocknet. Solche Reben werden gesammelt und ins Feuer geworfen, wo sie verbrennen. Wenn ihr mit mir vereint bleibt und meine Worte in euch lebendig sind, könnt ihr den Vater um alles bitten, was ihr wollt, und ihr werdet es bekommen. Und so wird die Herrlichkeit meines Vaters sichtbar verherrlicht: Indem ihr reiche Frucht bringt und euch so als meine Jüngerinnen und Jünger erweist. Ich liebe euch wie es auch euer himmlischer Vater tut. Bleibt in dieser Liebe!

Liebe Gemeinde, das also ist der Rahmen, der alles einordnet: unglaublich tiefe und echte Liebe, die sich in der Person Jesu verdichtet und die auch uns ergreifen und umgestalten will. Es ist eine Liebe, die tote Knochen nicht der Verwesung überlässt, sondern die sie neu ins Leben ruft. Es ist eine Liebe, die zu denen spricht, die alle Hoffnung verloren haben und meinen, es sei alles aus: Ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich euch aus euren Gräbern heraushole. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR. (So haben wir es vorhin in der Lesung aus dem Buch des Propheten Hesekiel gehört.)

Diesen Rahmen sollen und dürfen wir nicht vergessen, denn er bildet die Grundlage all unseres Nachdenkens und Redens über Jesu Worte. Jesus kleidet seine Worte in das Bild eines Weinstocks – Wein, das Symbol der Lebensfreude. Vergessen wir nicht: Gerade im Johannes-Evangelium, also dem Buch, aus dem unser Predigtabschnitt stammt, hat Jesus als erstes Zeichen seines Wirkens und Redens über Gottes Liebe Wasser in Wein verwandelt und so eine Hochzeitsfeier gerettet. Wein erfreut des Menschen Herz, heißt es im Psalm 104.

Mit Wein, der unser Herz erfreut, vergleicht Jesus ein Leben, das sich an der Liebe Gottes erfreut und darin wächst und gedeiht. Wein also, und nicht Rhabarber oder saure Gurken! Dabei würden letztere den Bauern viel weniger Arbeit machen. Weinanbau ist nämlich eine echt mühselige Angelegenheit. Zur Zeit Jesu wurden Weinberge durch Mauern geschützt. Es kann Jahre dauern, ehe die jungen und neu gepflanzten Weinstöcke Früchte tragen. Jahre, in denen sie gehegt und gepflegt werden müssen. Bis heute noch in Handarbeit. Doch dann, wenn die ersten arbeits- und pflegeintensiven Jahre vorbei sind, kann ein Weinstock mehrere hundert Jahre lang tragen – vorausgesetzt, die Stöcke werden weiterhin liebevoll betreut und gepflegt.

Das also steht im Mittelpunkt: Ein Gewächs, das unser Herz erfreut und das von Gott selbst liebevoll gehegt und gepflegt wird. Gott ist es, der selbst all die mühevolle Arbeit in Kälte und Hitze tut. Wir dagegen sind die Reben, denen diese liebevolle Pflege zugutekommt. Alles, was wir tun müssen, ist am Weinstock bleiben und darauf vertrauen, dass es ein liebender Weingärtner ist, der uns „erzieht“. Jawohl, erzieht. Denn das ist im Deutschen der Fachbegriff für die Pflege der Weinstöcke mit Hilfe von Stützpfählen und gespannten Drähten.

Auf dieser Grundlage ist es unverständlich, dass es immer wieder Auslegungen gibt, die sich mit besonderer Inbrunst der verdorrten Reben annehmen, die ins Feuer geworfen werden. Da werden dann doch noch besonders saure Essiggurken des Glaubens angebaut. Und das auch noch im Namen Jesu, der sogar einen Feigenbaum verteidigt, der im Weinberg steht und anstatt Frucht zu bringen, den Weinstöcken Licht und Nährstoffe wegnimmt (Lukas 19,40). Selbst der soll erst noch einmal außergewöhnlich intensiv umsorgt werden und so noch eine Chance erhalten.

Und ja, es gibt tote Triebe. Und die werden in den Weinbergen gesammelt und verbrannt. Aber wie wir in der Lesung beim Propheten Hesekiel gehört haben, ist auch das nicht das letzte Wort Gottes. Gott, der es vermag, dass Steine schreien (Luk. 19,40) und der tote Gebeine aus den Gräbern holt und neu mit Leben erfüllt (Hes. 37), dieser Gott wirbt um uns, dass wir seine Liebe erwidern. Diese Liebe soll sichtbar und spürbar werden in dem, wie wir einander stützen und tragen und manchmal auch ertragen.

Als Rebe am Weinstock bleiben oder als Christin und Christ mit Gott verbunden bleiben, das ist die Anleitung dazu, wie wir in schweren Zeiten neue frische Kraft bekommen, in Ängsten neue Hoffnung und am Ende im Sterben neues Leben.

Unser heutiges Wort ist keine Handlungsanweisung in dem Sinne, dass uns gesagt wird, wie wir unseren Erfolg maximieren und auch noch das letzte Quäntchen Anstrengung aus uns herausholen. Unser heutiges Wort ist stattdessen eine Hilfe, einfach nur zu sein und zu bleiben als von Gott geliebte und liebevoll gepflegte und ja, auch gut „erzogene“ Kinder.

Heute werden wir wieder einmal daran erinnert, dass wir uns bei Gott geborgen und geliebt und bestens aufgehoben fühlen dürfen. Auch das braucht seinen Raum in unserem Leben. Denn es ist die Grundlage oder der feste und fruchtbare Boden für alles Weitere. In einer Zeit, in der das Tun und Schaffen so viel stärker betont wird als alle Hingabe an das pure Sein, können wir das gar nicht genug wertschätzen!

Jubilate – also reine Freude über Gottes liebevolle Fürsorge, sie soll uns heute – und nicht nur heute – bestimmen.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist, als alles, was unsere Vernunft denken und sagen kann, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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