Predigt vom Sonntag Reminiszere, 28. Februar 2021

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

So steht geschrieben im Propheten Jesaja im 5. Kapitel:

Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.

Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. 2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.

3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! 4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?

5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. 6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

7 Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Der Herr segne sein Wort an uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Die Liebe ist ein seltsames Spiel/Sie kommt und geht von einem zum andern./Sie nimmt uns alles, doch sie gibt auch viel zu viel./Die Liebe ist ein seltsames Spiel.

So sang 1960 Connie Francis, und meine Großeltern liebten diesen Song. Warum, kann ich nicht genau sagen. Aber völlig unabhängig vom Text, Rhythmus hat das Lied, und es wird wohl auch eine gewisse Vorliebe für den Foxtrott gewesen sein, welche meine Großeltern so begeisterte. Wie auch immer: Connie Francis – und andere Beispiele ließen sich anfügen - steht für eine gewisse selbstironische Distanziertheit zum Leben, die versucht, das Irrationale des Lebens leicht verdaulich und bekömmlich zu machen.

Und das brauchen wir? Immer schwere Kost? Wer hält das aus? Zugleich weiß ein jeder, der Liebe bereits erfahren hat: So einfach ist das nicht. Mit der Liebe nicht und schon gar nicht mit dem Leben.

Verschmähte Liebe, frische und leidenschaftliche noch dazu, wird kaum dieses Lied auf den Lippen haben. Da sind ganz andere Stimmungen und Wallungen am Platz: Heftige Enttäuschung und Zorn, der sich ins Grenzenlose steigern kann.

Grenzenloser Zorn und Enttäuschung ist auch das Thema unseres heutigen Predigttextes. Und ich hätte den Titel von Connie Francis nicht ausgewählt, würde er nicht zu unserem Text passen. Denn ein Liebeslied voller erotischer Metaphern haben wir gerade gehört.

Wir hören von einer Liebesgeschichte, aber keiner glücklichen, unbeschwerten Romanze! Auch wenn die Einleitung so daherkommt: Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Der Weinberg, der kommt auch in Liebesliedern vor, im Hohen Lied. Und der liebe Freund, das ist auch der Geliebte.

Aber hier wird schnell deutlich: Es ist die Geschichte einer unglücklichen Liebe. Gott – ein verschmähter Liebhaber. Wir – sein Volk Israel, seine Kirche, seine Menschenkinder, wir - die Umworbenen, die ihm immer wieder einen Korb geben, uns von ihm abwenden, seine Erwartungen nicht erfüllen.

Gott: Ein Liebhaber. Umworben hat er, der Freund, sie, seine Freundin, mit viel Geduld und Mühe. Hat ihr beste Bedingungen bereitet. Umgegraben, entsteint: Platz verschafft. Schutzzäune errichtet, aus Steinen und Dornen, die wie Stacheldraht funktionieren, so dass keine Tiere eindringen können. Ein fester Turm für die Wächter: Kein Dieb hat eine Chance. Und mitten darin werden die edlen Reben eingepflanzt.

Das Ende kennen wir. Es hat nicht funktioniert:/Die Zukunft schien uns beiden sonnenklar/Fast wären wir zum Standesamt gefahren/bis alles plötzlich so verändert war.

So lakonisch und lapidar freilich, wie Francis es besingt, kann das Verhältnis Gottes zu den Menschen nicht beschrieben werden. Ja, hier braucht es schwere Kost. Unser Leben geht in Schlagermelodien nicht auf. Dass das freilich unverdaulicher ist, zeigt auch die lange Auslegungsgeschichte unseres Textes. Freilich: „Man“ wollte dann doch eher Weißbrot statt Schwarzbrot; verständlich, aber gefährlich.

So einfach ist das nämlich in der Liebesbeziehung zwischen Mensch und Gott nicht.

Ein Versuch war und ist, Gott als zürnende Diva darzustellen. Die Logik ist dann recht simpel: Der Mensch hat – wie der Weinberg – alles falsch gemacht. Und das herausragende Merkmal Gottes besteht darin, permanent liebesgekränkt zu sein. Die Forderung an uns Menschen ist dann klar: Wir müssen Gott wichtiger nehmen. Wir müssen Gott ernster nehmen und an die erste Stelle setzten.

So richtig das irgendwie auch alles ist, hier kommt Schlagerlogik auf. Denn das Bild hinter diesen allzu simplen Forderungen ist doch problematischer als vielleicht gewollt.

Denn es bleibt die Frage: Wie geht das eigentlich; Gott zufriedenzustellen? Und trifft das unumwunden auf das Leben zu? Und was ist das schließlich für ein Gott, der – wie eine Diva - mit Liebesentzug droht? Und ist das noch Liebe, die irgendetwas tut, nur um dem anderen nicht zu zürnen? Wer im Glauben diesen Weg einschlägt, bekommt nicht selten einen verwüsteten Weinberg.

Ein anderer Versuch setzt auf die Karte Gerechtigkeit. Freilich so verstanden, dass damit Einsatz und Lohn in einem mathematischen Verständnis ausgehandelt werden. Dieser Versuch setzt etwas tiefer an und nimmt Aspekte der prophetischen Botschaft auf. Denn das Thema gelungenen Lebens für alle ist sehr wohl ein großes Thema der Propheten. Zugleich ertönt der Ruf nach Gerechtigkeit auch in dieser Art häufig in selbstgerechter Manier. Zu oft ist es eher ein hysterisches Schreien: für uns selbst, für unsere Gruppe, unseren Stand und unser Anliegen. Die Bettelbriefe zur Weihnachtszeit und die politischen Aufrufe bei Wahlen legen davon beredtes Zeugnis ab.

Freilich, auch hier ist nicht alles unberechtigt - im Gegenteil. Und doch schleicht sich Schlagerlogik ein, denn es wird immer jemanden geben, welchem es noch schlechter geht und der noch mehr Gerechtigkeit braucht. Am Ende stehen nur die Ansprüche aller an alle im Raum, ein Zustand, der der Verwüstung gleicht.

Die Liebe ist ein seltsames Spiel,/Sie kommt und geht von einem zum andern./Sie nimmt uns alles, doch sie gibt auch viel zu viel./Die Liebe ist ein seltsames Spiel.

Ich bin geneigt das Lied umzuschreiben.

Das Leben ist ein seltsames Spiel,/Es kommt und geht von einem zum andern./Es nimmt uns alles, doch es gibt auch viel zu viel./Das Leben ist ein seltsames Spiel.

Ja, das Leben ist wie der der Glaube: Ich kann vieles nicht verstehen, und nicht selten macht sich Angst breit, die nur Verwüstung hinterlässt. Und in diesen Tagen spüre ich sehr, wie nah mir das kommt: Die Lage scheint so verfahren, der Karren so tief im Dreck, alles Scheitern so vollständig, dass das nur noch genauso anerkannt werden kann. Nicht jeder Tunnel hat ein Ende, nicht in jeder Nacht leuchten Sterne, nicht jeder Schatten weist auf ein Licht. Nein. Nicht alles wird wieder gut. Auch wenn Schlagerlieder uns das weismachen wollen.

Und ich muss gestehen, ich kann es nicht mehr hören: Nicht von den Fehlern – wessen auch immer - oder von den Rufen, wer eigentlich am härtesten von der Pandemie betroffen ist.

Nein, der Weinberg liegt da, wie er ist. Verwüstet, vertrocknet und unfruchtbar. Und ich bin dankbar, in der Schrift diese Bilder vorzufinden, weil sie meinem Leben Worte und Sprache verleihen.

Freilich suche ich nach Deutungen und Rationalisierungen. Wer hat Schuld? Was hätte besser gemacht werden können? Das ist richtig und wichtig. Am Ende bleibt die Verwüstung jedoch bestehen, und die berechtigen Klagen verstummen nicht.

Das Leben bleibt ein seltsames Spiel und ich mittendrin. Und vielleicht ist das die Aufgabe der Stunde: Aushalten und Beweinen, nicht nach schnellen Lösungen und Vertröstungen suchen.

Wir stehen inmitten der Passionszeit. Jetzt ist es wirklich Leidenszeit.

Freilich hat diese nicht das letzte Wort. Die Geschichte Jesajas geht weiter. Die Geschichte Gottes mit seinen Menschen ist nicht am Ziel. Gott ist keine gekränkte Diva. Ein wenig irre nach menschlichen Maßstäben aber doch. Gott gibt nicht auf, Gott sucht das Verlorene. Auch, wenn wir uns in unseren Rechtsbrüchen und Lieblosigkeiten verloren haben, der Weinberg verwüstet ist und die Mauern eingefallen sind.

Vielleicht brauche ich diese Wüstenzeiten, um zu spüren, wie gottesbedürftig ich bin. Eine Wüstenzeit, die mich nicht vorschnell und selbstironisch in Distanz zu mir und meinen Mitmenschen treibt.

Ja, das Leben ist ein seltsames Spiel. Der Glaube kennt daher nur einen Ausweg: Am Ende: Gott.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Jeremias, Jörg: Theologie des Alten Testaments, Göttingen 2015.

Lütze, Frank M./Engemann, Wilfried: Im Weinberg des Lebens. Reminiszere (2. Sonntag der Passionszeit), in: Predigtstudien. Perikopenreihe IV. Erster Halbband 2017/2018, 158-164.

Malamud, René: Zur Psychologie des deutschen Schlagers. Eine Untersuchung anhand seiner Texte, in: Ders.: Drei Aufsätze, Einsiedeln 2017, 9-198.

Mildenberger, Irene: Lesegottesdienst. Jahrgang 2020/2021. Predigtreihe III – 28.02.2021, 2. Sonntag der Passionszeit. Reminiszere, Nürnberg 2020.

Neumann, Klaus: Reminiszere – 25. 2. 2018 – Jesaja 5, 1-7, in: Homiletische Monatshefe 93 (2018), 196-200.

Wildeberger, Hans: Bußtag. Jesaja 5, 1-7, in: Hören und Fragen. EinePredigthilfe. Band 4/2, hg. von Arnold Falkenroth und Heinz Joachim Held, Neukirchen-Vluyn 1976, S. 263-269.

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