Predigt vom 2. Advent, 6. Dezember 2020

Predigt zu Jakobus 5, 7-8; 2. Advent, 6. Dezember 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

So steht geschrieben im Brief des Apostels Jakobus im 5. Kapitel:

So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Der Herr segne sein Wort an uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

zu den volkskundlichen Besonderheiten meiner Heimat gehört es, dass sie an der Grenze zwischen Thüringer Wald und Erzgebirge liegt. Und wie in Grenzregionen üblich, vermischen sich hier nicht nur Dialekt und Sprache, Baukultur und Fachwerk, sondern auch das religiöse Brauchtum. In der Advents- und Weihnachtszeit breitet sich vom Erzgebirge und dem Thüringer Wald ein einzigartiger Lichterglanz aus: Räuchermännchen, Schwibbögen und Nussknacker schmücken die Räume, Pyramiden drehen sich, ein wohliger Weihrauchduft liegt in der Luft, Engel und Tannenzweige symbolisieren die Christnacht, und die Glaskugeln reflektieren den weihnachtlichen Glanz.

In diese Weihnachtsgrenzregion wurde ich hineingeboren, und als Kind gab es für mich eigentlich keine schönere Jahreszeit. Meine Eltern schmückten jedes Jahr unsere Kinderzimmer, und es gab mit meinem Bruder wirklichen Streit, wer welche Figuren und Lichter in seinem Zimmer aufstellen durfte. Wenn der Abend und die Nacht heranbrach und ich die Lichter von meinem Bette aus betrachtete, brach in mit eine tiefe Stimmung an, die der Lyriker Günther Deicke treffend zusammenfasst: „Und wir zünden Lichter an überall auf Erden, dass die Nacht nicht herrschen kann, kalt und tief.“

Meine Eltern hatten freilich so ihre liebe Not. Denn Geduld und Warten waren meine Stärke nicht. Sobald das Novembergrau heranbrach und die Tage spürbar kürzer wurden, konnte ich die Adventszeit nicht wirklich erwarten und ich quengelte enorm. Mit recht scharfem Ton musste meine Mutter darauf verweisen, dass erst der Totensonntag abzuwarten sei. Ich war freilich dennoch ungeduldig und hängte irgendwann einen Kalender in meinem Zimmer auf, auf dem ich die Tage bis zum 1. Advent abstreichen konnte.

Warten, Erwartung, Geduld … das musste ich einüben, und im Blick auf meine Kindheit überkommt mich heute ein seltsames Gefühl: Wo ist heute meine Ungeduld geblieben? Wo die freudige Erwartung? Das Sehnen nach dem Licht? Das freudige Ausharren?

So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Ich vermute, dass das Vergehen meiner kindlichen Erwartung ein Tribut an das Erwachsensein ist, und mich beschleicht genau dieses Gefühl auch beim Lesen und Bedenken unseres heutigen Predigttextes.

Wie selbstverständlich harrten die frühen und damit zutiefst dem Judentum verbundenen Christen der großen Schicksalswende der Parusie entgegen! Die Wiederkunft Christi, das Erscheinen des Messias sollte bald geschehen und mit ihr das fröhliche, hoffnungsvolle, lichte und nie endende Gottesreich beginnen.

Wie fern musste diese Vorstellungswelt werden! Unser Herr kommt? Das passt kaum in unser heutiges Weltbild. Kann ich mir noch vorstellen, dass Gott persönlich eingreift und Ordnung schafft? Dass er alles neu und gut machen wird? Können wir diese Sehnsucht, das Verlangen noch nachempfinden? Ich spüre: Es sagt mir nichts. Es lässt mich kalt. Ja, vielleicht wäre es ganz schön, aber berührt es mich wirklich? Der eine oder andere fühlt sich davon angesprochen. Aber insgesamt entspricht es nicht der Gefühlslage in Westeuropa. Ein echtes Dilemma.

Das Christentum musste mit dem Ausbleiben der Wiederkunft Christi umgehen lernen. Ein bunter Strauß an Versuchen pflastert den Weg der Christentumsgeschichte. Mal versuchte man, die Geduld stark zu machen. „Geduld haben“ wurde als Prüfungsleistung oder Versuchung verstanden. Hinter diesen Prüfungen steht Gott. Gott erprobt den Glaubenden, überlässt den Glaubenden für eine Zeit dem Leiden und der Dunkelheit: Das öffentliche wie private Märtyrertum war geboren. Ein anderer Weg versuchte, Gottes Reich herbeizuarbeiten. Wieder andere, es zu errechnen. Sie alle scheiterten und wurden letztlich aus der Lehre der Kirche verbannt.

Gott ist der Herr der Zeit. Gott ist der souveräne Herrscher, der die Welt geschaffen hat und in seiner Hand hält. Wir können Gottes Gerechtigkeit und sein Reich nicht herbeizwingen. Alle Versuche, das Reich Gottes auf Erden mit Gewalt herbeizuschaffen, sind kläglich gescheitert.

So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Luther hat in seiner Bibelübersetzung im Neuen Testament stets das griechische Wort hypomonē mit „Geduld“ wiedergegeben, an einigen Stellen jedoch auch Geduld für makrothymia gesetzt. So auch in unserem Predigttext, im Jakobusbrief. Mit makrothymia kommt jedoch eine ganz besondere Note in das Verständnis unseres Wortes "Geduld" hinein.

Diese Geduld kam im damaligen allgemeinen Sprachgebrauch sehr selten vor, denn sie meint zunächst: „Den Atem verlängern“, den „Ausbruch des Zorns verzögern“. Diese Geduld bezeichnet eine Tätigkeit Gottes. Gott reagiert nicht sofort und prompt. Er verzichtet auf spontane Reaktionen und spannt seinen Geduldsfaden weit. Gott ist lang-mütig und groß-mütig. Er beweist einen langen Atem.

"So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern" heißt dann: Gott hat Geduld, die Geduld der Liebe. Sie gönnt und gewährt allen seinen Geschöpfen Zeit und Raum.

Von dieser großen göttlichen Geduld umfangen und getragen dürfen wir geduldig sein mit uns selbst, mit den Mitmenschen und auch mit Gott.

„So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern“ heißt dann: „Vertraue und glaube an Gott“. Ein Vertrauen und Glauben, der freilich nicht selbst gemacht werden kann, sondern geschenkt wird vom „Gott der Geduld.“

„Seid geduldig“, ist kein Warten-Müssen, sondern ein Warten-Dürfen! Unser Glaube lebt nicht auf eine ungewisse Zukunft hin, sondern auf die gewisse Ankunft Christi. Wie der Bauer hat der Christ Grund zur freudigen Erwartung.

L Der Geist und die Braut sprechen: Komm!

G Amen, ja komm, Herr Jesus!

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Dibelius, Martin: Der Brief des Jakobus (KEK 15), hg. und ergänzt von Heinrich Greeven, Göttingen 111964.

Balz, Horst/Schneider Gerhard (Hg.): Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament (Band I bis III), Stuttgart u. a. 1980 bis 1983.

Melzer, Friso: Das Wort in den Wörtern. Die deutsche Sprache im Dienste der Christus-Nachfolge. Ein theo-philologisches Wörterbuch, Tübingen 1965.

Müller-Schmidtborn, Elisabeth: 2. Sonntag im Advent. Jakobus 5, 7-8, in: Calwer Predigthilfen. Neue Folge, Reihe II/1, hg. von Helmut Barié u. a., Stuttgart 1991, 18-24.

Nitzsch, Friedrich August Berthold: Lehrbuch der Evangelischen Dogmatik, bearbeitet von Horst Stephan, Tübingen ³1912.

Stuhlmann, Rainer: 2. Advent. Jakobus 5, 7-8, in: Hören und Fragen. Eine Predigthilfe. Band 2, hg. von Arnold Falkenroth und Heinz Joachim Held, Neukirchen-Vluyn 1979, 7-13.

Sturm, Erdmann: 2. Sonntag im Advent. Jakobus 5, 7-8*, in: Meditative Zugänge zu Gottesdienst und Predigt (Predigttext-Reihe II, 1), hg. v. Gerhard Ruhbach, Anselm Grün und Ulrich Wilckens, Göttingen 1991, 5-9.

Trillhaas, Wolfgang: Dogmatik, Berlin 1962. 

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