Predigt vom Sonntag Judika, 21. März 2021

Predigt zu Hiob 19, 19-27; Sonntag Judika, 21. März 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Oberin Susanne Munzert

„Hiobsbotschaften“ sind sprichwörtlich. Wen eine „Hiobsbotschaft“ ereilt, ist wirklich nicht zu beneiden. Bei einer Hiobsbotschaft öffnet sich der Boden unter den Füßen. Danach ist die Welt nicht mehr so wie vorher. Oft kommen die Hiobsbotschaften hinterrücks, ohne Vorwarnung und treffen frontal: Warum diese Krankheit? - Warum dieses Leid? - Warum mein Kind? - Warum die Ärmsten der Armen dieser Erde? - Warum ich? - Wo bleibst du, Gott?

Der Namensgeber der Hiobsbotschaften ist der Mann Hiob aus dem biblischen Buch Hiob. Dieser Hiob erlebt so ziemlich alles, was das Leben eines Menschen zur Hölle machen kann. Und was den allmächtigen „lieben“ Gott in Frage stellt.

Schlag auf Schlag trifft Hiob ein Unglück nach dem anderen, als hätte es jemand auf ihn abgesehen. Erst rafft Feuer sein Vieh dahin, dann verliert er Haus und Hof. Seine Söhne und Töchter erledigt ein Wüstenwind, und schließlich ist er selbst an der Reihe. Von der Sohle bis zum Scheitel quälen ihn Geschwüre über Geschwüre.

Der so gemarterte Hiob zerreißt sein Obergewand, schert sich den Schädel und schmeißt sich in den Staub. Er ist am Ende. Mehr geht nicht. - Womit hat er das verdient? Er weiß es nicht. Beim besten Willen nicht. Niemand versteht es. Denn wenn es einen Menschen auf Gottes Erde gibt, dem man nichts, aber auch gar nichts zur Last legen kann, dann dieser Hiob. Gottesfürchtig, aufrichtig, rechtschaffen ist er.

Aber immerhin, Hiob hat treue „beste“ Freunde: Bildad, Elifas und Zofar. Als sie hören, was passiert ist, kneifen sie nicht. Sie kommen und stehen ihrem Freund Hiob bei. Sieben Tage setzen sie sich zu ihm. Sie weinen, schweigen und trauern mit ihm.Dann halten sie es nicht mehr aus. Hiobs Schicksal geht ihnen unter die Haut. Sie können nicht mehr einfach dabeisitzen. Sie wollen verstehen: „Warum? Warum ausgerechnet du, Hiob?“ Sie wollen Antworten. Wenn es einen Grund für diese Katastrophe gibt, können sie auch etwas dagegen tun. Und so ihrem Freund Hiob helfen. Deshalb drängen sie Hiob: „Das, was Dir passiert, das muss doch einen Grund haben! Gott straft dich!?! Wofür auch immer – irgendeinen Grund wird es, ja muss es geben, ganz sicher!“

Hiob wehrt sich. Hören wir, was er seinem Freund Bildad antwortet (Hiob 19, 19-27):

19Meine engsten Freunde verabscheuen mich. Sogar diejenigen, die mir am liebsten sind, stehen mir feindselig gegenüber. 20Meine Haut klebt nur noch an den Knochen. Nur das nackte Leben ist mir noch geblieben. 21Habt Mitleid, habt Mitleid mit mir, ihr seid doch meine Freunde! Denn Gott hat mich mit diesem Unglück geschlagen. 22Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut? Wann hört ihr endlich auf, mich zu zerfleischen? 23Ach, wenn ich mir doch wünschen könnte, dass meine Verteidigungsrede aufgeschrieben wird – wie bei einer Inschrift, die man in den Stein ritzt! 24Mit einem Meißel soll man sie in den Fels hauen und ihre Buchstaben mit Blei ausgießen. 25Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. Als mein Anwalt wird er auf der Erde auftreten und zum Schluss meine Unschuld beweisen. 26Mit zerfetzter Haut stehe ich hier. Abgemagert bin ich bis auf die Knochen. Trotzdem werde ich Gott sehen. 27 Ich werde ihn mit meinen Augen sehen, und er wird für mich kein Fremder sein. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Ich sehe Hiob vor mir: Abgemagert, nur noch Haut und Knochen, Ekzeme überall auf seiner Haut.

21Habt Mitleid, habt Mitleid mit mir, ihr seid doch meine Freunde! Denn Gott hat mich mit diesem Unglück geschlagen. 22Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut? Wann hört ihr endlich auf, mich zu zerfleischen?

Ein bisschen Mitleid täte Hiob gut. Aber in Hiob brennt auch Zorn: „Ich habe nichts getan! Es gibt keinen Grund für mein Unglück.“ Deshalb darf sein Leid auch nicht vergessen werden. Aufschreiben will er es, damit seine Klage auch nach seinem Tod nicht verstummt.

24Mit einem Meißel soll man sie in den Fels hauen und ihre Buchstaben mit Blei ausgießen.

Leid darf nicht vergessen werden. Denn Leid verjährt nicht. Es braucht „Stolpersteine“, wie sie in vielen Städten vor Häusern in das Straßenpflaster eingebracht sind und bis heute eingebracht werden. Sie machen auf das Leid der Menschen aufmerksam, die vor 70 Jahren von den Nazis verschleppt und ermordet wurden. Stolpersteine gegen das Vergessen des Leids. 24Mit einem Meißel soll man meine Klage in den Fels hauen und ihre Buchstaben mit Blei ausgießen.

Hiob geht noch einen Schritt weiter. Erinnerung allein genügt ihm nicht. Er lässt nicht locker. Er weiß keine Antwort – und fordert doch eine. Er fühlt sich von Gott verlassen – und lässt ihn trotzdem nicht aus der Verantwortung:

25Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt.

Hiob klammert sich an das „Doch“. Er glaubt „doch“. Auch wenn ihn sein Leid schier zerreißt. Es ist das „Trotzdem“ des Glaubens. „Wir Christen und Christinnen sind Protestleute gegen den Tod“, hat Christoph Blumhardt gesagt. Es ist nicht das „Aber ich will trotzdem“ des trotzenden Kindes. Es ist kein Glaube aus Trotz. Hiob pocht darauf: Ich leide, ich klage – und ich glaube dennoch: 25Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. Hiob fordert mit seinem ganzen Wesen Gott heraus.

Im Hebräischen bedeutet „glauben“ „treu sein“, „feststehen“. Hiob steht bei Gott. Er steht ihm quasi auf den Füßen, packt ihn am Schlafittchen. Hiob entlässt Gott nicht aus dem Glauben. Er lässt ihm keine Möglichkeit, auszuweichen. Wenn einer sich so an Gott klammert, dann kann Gott gar nicht anders als sich seiner, unserer, meiner Sache anzunehmen.

Am Ende des Hiobsbuches wird Hiob tatsächlich mit Gott sprechen. Er bekommt von Gott keine Antwort auf die Frage „Warum?“ Gott wird ihm entgegenhalten: „Wer bist du, Hiob, um mir so eine Frage zu stellen?!“

Hiob bekommt aber eine Antwort auf seine Frage: „Wo bist Du, Gott?“

„Ich bin hier, bei Dir“, ist Gottes Antwort.

Schwer zu glauben, wenn man bedenkt, in welcher Lage Hiob steckt, oder?

„Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle. Ich glaube an Gott, auch wenn er schweigt.“ - Diese Aufschrift wurde an der Wand eines Kellers in Köln gefunden, wo sich Juden während des Krieges versteckt gehalten haben.[1]

Solche Antworten auf Leiderfahrungen sind keine dogmatischen Sätze. Das sind keine „Glaubensantworten“, die auswendig zu lernen sind, um sie dann in Krisenzeiten als allgemeingültige Lösungen herauszuziehen. Es sind Antworten, die in der Situation von den Betroffenen nur selbst gefunden und gesprochen werden können.

Hiob teilt mit uns sein Leid. Möglich, dass er uns zum Vorbild wird. Um uns an ihm festzuhalten, wenn uns „Hiobsbotschaften“ treffen: 26Mit zerfetzter Haut stehe ich hier. Abgemagert bin ich bis auf die Knochen. Trotzdem werde ich Gott sehen. 27 Ich werde ihn mit meinen Augen sehen, und er wird für mich kein Fremder sein.

Hiob schreit seine fürchterliche Lage heraus. Er redet sie nicht schön. Er weigert sich, ihr einen Sinn zu geben. „Ich klage dir Gott mein Leid. Aber ich lasse dich nicht aus und klammere mich an dich. Denn ich halte fest daran: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. 27 Ich werde ihn mit meinen Augen sehen, und er wird für mich kein Fremder sein.

Da spricht viel Sehnsucht: Ich will, ja ich werde Gott mit meinen Augen sehen.

Hiobs Leid und sein vielleicht sogar drohender Tod wird Gott nicht aus seinem Leben werfen können. Gott ist nicht beschränkt durch Leid und Tod. Gott geht mit Hiob, mit uns den Schritt weiter.

Gott geht mit seinem Volk durch das Wasser des roten Meeres. Gott geht mit seinen Jüngern über das Wasser. Gott ist der Gott, der sich sehen und hören lässt. Im Feuer, auf dem Berg, im stillen Säuseln, im Menschen Jesus, im Tod am Kreuz, der in die Auferstehung führt.

Hiob steht bis heute für all die Menschen, die unfassbar großes Leid ertragen müssen. Die nicht wissen, wie ihnen geschieht.

Hiob leidet, klagt und kämpft mit Gott. Er lässt Gott nicht los. Klammert sich mit all seinem Ärger, mit seiner Wut, seinem Zorn, seinem Schmerz und seiner großen Trauer an ihn. Hiob versteckt sich nicht. Er nimmt Gott ernst. Er nimmt ihn beim Wort. 25Ich weiß ja doch, dass mein Erlöser lebt. … 27 Ich werde ihn mit meinen Augen sehen, und er wird für mich kein Fremder sein. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Ob wir Hiob das nachsprechen können, wenn es uns geht wie ihm? Wenn uns alles wegbricht, wenn uns alles entrissen wird, was uns lieb und wert ist? Uns so an Gott klammern? Uns an unserem Glauben festhalten und Gott herausfordern, zu bleiben?

Auch wenn ich gar nichts mehr weiß - Mein Erlöser lebt. Auch wenn meine Augen tränenblind sind - Ich werde ihn sehen. Und wenn mein Herz ganz leer ist - Mein Herz sehnt sich nach ihm. Trotzdem.

Amen



[1] Zvi Kolitz in der Erzählung „Jossel Rakovers Wendung zu Gott“

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