Predigt vom 7. Sonntag nach Trinitatis, 26. Juli 2020

Predigt zu Hebräer 13, 1-3; 7. Sonntag nach Trinitatis, 26. Juli 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; DS Heike Geßner

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Liebe Gemeinde!

Wir alle sehnen uns nach Liebe. Uns ist die Sehnsucht danach in die Wiege gelegt. Ohne Liebe können wir nicht leben, ohne sie wäre das Leben leer und traurig. - Es ist leicht, Menschen zu lieben, die uns ähnlich sind. Es ist erfüllend, Menschen zu lieben, die uns nahestehen. Und wunderbar, wenn diese Liebe erwidert wird.

So romantisch geht es in unserem Predigtwort nicht zu! Dort geht es nicht in erster Linie um das Geliebt-Werden. Gemeint ist auch nicht unsere Liebe zu attraktiven oder sympathischen Menschen. Was wir da hören, klingt eher nach Herausforderungen!

Die erste Herausforderung ist die brüderliche Liebe.

Die zweite Herausforderung ist, dass wir lieben sollen.

Zur ersten Herausforderung: Mit der brüderlichen Liebe ist die Liebe unter den Glaubensgeschwistern gemeint. Und diese gilt besonders den hilflosen, gefangenen und rechtlosen Menschen. - Das ist ein anspruchsvoller Auftrag: Menschen zu lieben, die uns nicht vertraut sind und die am Rand der Gesellschaft stehen. Manche davon finden wir vielleicht abstoßend oder sie interessieren uns einfach nicht. Manche Menschen passen so gar nicht in unsere Lebenswelt!

Was ist mit der geschwisterlichen Liebe gemeint? Meiner Meinung nach ist damit nicht gemeint, intensive Gefühle für möglichst viele Menschen zu haben. Das wäre ein Missverständnis. Die geschwisterliche Liebe zeigt sich, indem wir aufmerksam sind, füreinander Verantwortung übernehmen, mitfühlend und wertschätzend miteinander umgehen. Ich kann also zum Beispiel auch Schüler, Kollegen, Bewohner lieben, indem ich sie fördere, sie unterstütze, sie als Menschen achte, wertschätzend mit ihnen kommuniziere und da bin, wenn sie Hilfe brauchen. Ich bin ihnen gegenüber also grundsätzlich positiv eingestellt.

Das ist eine erste Herausforderung, Menschen in diesem Sinne zu lieben, die uns nicht unbedingt nahestehen.

Die zweite Herausforderung ist, dass wir lieben sollen. So lesen wir im Brief an die Hebräer im 13. Kapitel in den Versen 1-3:

1 Bleibt fest in der brüderlichen Liebe. 2 Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt. 3 Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil auch ihr noch im Leibe lebt.

Man hört und sieht förmlich die Ausrufezeichen hinter den Aufforderungen. Das ist die zweite Herausforderung! Die geschwisterliche Liebe ist uns aufgetragen – und wir werden dazu ermahnt. Was genau ist damit gemeint, und wie können wir es umsetzen?

Wer den Hebräerbrief als Ganzes liest, versteht, wie zur geschwisterlichen Liebe motiviert wird: Gutes tun Christen anderen nicht, weil sie Gegenliebe erwarten, sondern weil sie anderen Gutes tun wollen. Gutes tun sie aus der Orientierung an Jesus. Sie setzen die Liebe Jesu anderen Menschen gegenüber um.

Im Hebräerbrief wird dazu ein ganz besonderes Bild von Jesus gezeichnet: Dieses Bild zeigt ihn als Hohepriester. Dieses Bild, das aus dem Alten Testament stammt, ist uns heute eher fremd. Aber für die Empfänger des Hebräerbriefes war das ein tröstliches und ermutigendes Bild. Der Hohepriester hatte ein Amt. Nur er durfte ins Allerheiligste des Tempels. Nur er konnte dort Gott Opfer darbringen. Einmal im Jahr wurden so die Sünden des Volkes gesühnt. So stellte er immer wieder aufs Neue für alle Gläubigen die Verbindung mit Gott her. Und der Autor unseres Briefes lädt die Leser dazu ein: Schaut auf diesen Jesus. Er ist euer Bruder. Er hat euch Gott nah gebracht und tut es als himmlischer Hohepriester immer noch.

Schauen wir uns das Bild noch einmal genauer an. Stellen Sie sich vor: Jesus ist hier in unserer Gemeinde, er ist hier – in unserem Gottesdienstraum. Er steht am Altar oder am Lesepult oder sitzt ganz in Ihrer Nähe. Er lächelt uns an und breitet seine Arme aus. Wir spüren: Wir gehören zu ihm, wir gehören zu Gott. Wir gehören wie Geschwister zusammen, weil Gott uns allen nahe ist.

Und so ist im Hebräerbrief die geschwisterliche Liebe gar keine Herausforderung, sondern sie geschieht aus Dankbarkeit. Wir Christen sind wie ein Spiegel der Liebe Gottes.

Erinnern wir uns, wie Jesus Menschen begegnet ist, die in den Augen der anderen nicht liebenswert waren: Zöllnern, Sündern, Kranken, Armen. Er ist für alle dagewesen. Er hat sich zugewandt und sie wertschätzend behandelt. So dass sie alle – und wir natürlich auch – merken: Wir sind wertvoll vor Gott.

Dadurch sind wir alle schon im Himmel verankert. Weil das so ist, können wir durch unsere Liebe zu anderen schon ein Stück Himmel abbilden.

Bei der Abschlussfeier in der Realschule bekommen die Schülerinnen und Schüler seit dem letzten Schuljahr ein „Zeugnis von Gott“ als Zeichen dafür, dass sie einzigartig sind, unabhängig von ihren Leistungen.

Gastfrei zu sein vergesst nicht – das ist die erste Ermahnung! Wir würden heute sagen: „Seid gastfreundlich!“ In den frühen christlichen Gemeinden galt die Gastfreundschaft vor allem den herumreisenden Missionaren. Es war notwendig, private Unterkünfte zu haben, in denen man die Nacht verbringen konnte. Gastfreundschaft hat heute viel zu tun mit dem Interesse am anderen, auch an anderen Kulturen und Lebensweisen. Dadurch wird der Horizont erweitert, manchmal mehr, als man gedacht hat.

Praktisch ist es nicht immer ganz einfach umzusetzen: Jemand möchte mich sprechen, obwohl ich gleich weg muss. Also nehme ich mir vielleicht nicht die Zeit, die nötig wäre, sondern spreche nur ganz kurz mit dem Gast.

Der Hebräerbrief nennt noch eine besondere Motivation für die Gastfreundschaft: Denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt!

Von der Urgeschichte der Gastfreundschaft wird im ersten Buch Mose erzählt: Abraham empfängt drei fremde Reisende sehr freundlich und bewirtet sie. Er weiß nicht, dass er Gott bewirtet. Ein israelisches Sprichwort heißt deshalb auch: Wer Gastfreundschaft übt, bewirtet Gott. Auch in Sagen und Märchen werden ähnliche Geschichten erzählt. Und immer werden die Menschen belohnt, die die unbekannten Fremden gastfrei und gastfreundlich aufnehmen und bewirten. Es haben also nicht nur die Gäste, sondern auch die Gastgeber einen Vorteil.

Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil auch ihr noch im Leibe lebt – das ist die zweite Ermahnung im Hebräerbrief. Gedacht war hier an die Glaubensgeschwister, die in der antiken Umgebung Beschimpfungen, Unterdrückung, Schläge, Enteignung und auch Haft erleiden mussten.

Weil jemand Christ ist, wird - jedenfalls in Europa - heute niemand bestraft. Damals aber waren viele Christen gefährdet oder zumindest verachtet. Verachtet sind heute auch die Gefangenen in unseren Haftanstalten. Ihnen Liebe entgegenzubringen, ist nicht ganz einfach.

Papst Franziskus hat Folgendes gemacht: 1000 Strafgefangene hatte er nach Rom eingeladen. Und eine Woche später sogar 4500 Obdachlose. Er stellte sich vor sie und sagte: „Ihr seid nicht der Rand, sondern die Mitte der Kirche. Durch euch müssen wir den Weg der Liebe lernen.“ Und weiter sagte er: „Wir alle sind unterwegs auf der staubigen Straße des Lebens. Wir alle machen uns auf dieser Straße die Füße schmutzig.“[1]

Franziskus sprach damit sicher den Gefangenen aus der Seele! Einigen wusch er dann noch die Füße, als Zeichen, dass der Staub ihres Lebens keine Bedeutung für Gott mehr hat. – Hier wurde etwas heil, was eigentlich so kaputt war: Manche Gefangene waren sehr bewegt.

Denjenigen, die sich gedanklich einengen, die nicht offen Anderem und Fremdem gegenüber sind, sondern beispielsweise mit Ausländerhass Politik machen wollen, könnte man sagen: „Ich wünsche mir, dass ihr mit Liebe überhäuft werdet, dass dadurch Licht in eure Herzen kommt.“

Noch einmal: Gibt es für uns einen Grund, die zu lieben, die uns eigentlich nicht nahestehen und vielleicht sogar fremd bleiben? – Ja, wir sollen sie so lieben, wie Christus uns geliebt hat! Es soll deutlich werden, dass wir alle Kinder Gottes sind!

Vielleicht hilft es, die Perspektive zu wechseln und zu üben, unsere Mitmenschen mit den liebenden Augen Gottes zu sehen. Und wir sehen den genervten Mann hinterm Steuer, der ungeduldig hupt, weil die Ampel schon seit zwei Sekunden grün ist und der Fahrer vor ihm nicht sofort losfährt. Wir sehen auch den ungepflegten Jugendlichen, der seine Ohrenstöpsel nicht herausnimmt und deshalb nichts von seiner Umwelt mitbekommt. Auch sehen wir den gehetzten Lehrer, der nur kurz Auskunft gibt und zur nächsten Klasse weitereilt. - Für alle diese Menschen, für uns alle gilt: Gott ist uns nah.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus!

Amen



[1] Die Redepassagen sind dem Film „Franziskus“ entnommen.

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