Predigt vom Pfingstsonntag, 23. Mai 2021

Predigt zu Genesis 11, 1-9; Pfingstsonntag, 23. Mai 2021, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Rektor Mathias Hartmann

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lesung aus der Apostelgeschichte 2, 1-21:

1Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. 2Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, 4und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. 5Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? 8Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? 9Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, 10Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, 11Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden. 12Sie entsetzten sich aber alle und waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins. 14Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, vernehmt meine Worte! 15Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde des Tages; 16sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): 17»Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. 19Und ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; 20die Sonne soll in Finsternis verwandelt werden und der Mond in Blut, ehe der große und herrliche Tag des Herrn kommt. 21Und es soll geschehen: Wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden.«

Der Predigttext für den Pfingstsonntag steht im 1. Buch Mose im 11. Kapitel:

1Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde. 5Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8So zerstreute sie der Herr von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9Daher heißt ihr Name Babel, weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

Liebe Gemeinde!

Haben Sie den Kontrast wahrgenommen? Den Kontrast zwischen den beiden biblischen Erzählungen, die wir gerade gehört haben? Zuerst die Lesung aus der Apostelgeschichte vom Pfingstwunder, der Ausgießung des Heiligen Geistes in der Urgemeinde in Jerusalem mit dem Sprachenwunder – auf einmal verstanden sich die Menschen über alle Sprachgrenzen hinweg. Und danach die Geschichte vom Turmbau zu Babel aus dem Alten Testament, an deren Ende die Verwirrung der Sprache der Menschen steht, die sich dann über die Erde zerstreuen. Welch ein Kontrast! Er ist so scharf wie der Kontrast zwischen hell und dunkel, zwischen Gut und Böse, zwischen Realität und Hoffnung.

Schauen wir zuerst einmal auf die Geschichte vom Turmbau. Es ist eine eigentümliche, eine faszinierende Geschichte. Im ersten Buch Mose gehört sie zu den Geschichten der so genannten Urgeschichte – genauso wie die Erzählungen von Adam und Eva, Kain und Abel und der Sintflut. Die Erzählungen aus der Urgeschichte wollen keine historischen Erzählungen sein, sie reflektieren verschiedene Grundbedingungen menschlichen Lebens und versuchen Antworten darauf zu geben, warum das Leben so ist, wie es ist. Zum Beispiel: Warum das Leben mühsam und von Arbeit bestimmt ist. Warum das Leben durch Katastrophen bedroht ist. Und in der Geschichte vom Turmbau zu Babel wird reflektiert, warum die Menschen auf der Welt unterschiedliche Sprachen sprechen. Die Erklärung der Geschichte vom Turmbau ist, dass Gott die Menschen ursprünglich anders geschaffen hat. Alle hatten eine Sprache und verstanden sich gegenseitig. Die Sprachverwirrung war die Strafe dafür, dass die Menschen „sein wollen wie Gott“ – symbolisiert durch den Bau eines Turmes, der bis zum Himmel reicht. Gott verhindert durch die unterschiedlichen Sprachen und die damit verbundenen Verständnisprobleme, dass die Menschen versuchen, sich mit Gott auf eine Stufe zu stellen.

Durch die Geschichte soll also nicht der Bau von hohen Gebäuden kritisiert oder andere kulturelle Errungenschaften schlechtgemacht werden. Auch das Streben des Menschen, etwas zu erreichen oder etwas Großes zu schaffen, wird nicht generell negativ gesehen. Aber wenn sich der Mensch auf dieselbe Stufe stellt wie Gott und versucht, nicht mehr Geschöpf Gottes, sondern selbst Gott zu sein, dann überschreitet er eine Grenze, die er nicht überschreiten sollte.

Wo aber ist diese Grenze überschritten? Ich denke: Diese Grenze ist da überschritten, wo Menschen das Leben nicht mehr als Geschenk und als Wunder wahrnehmen, sondern als Mittel zum Zweck geringschätzen. Die Grenze ist da überschritten, wo Menschen andere Menschen nicht als wertvoll und mit gleicher Würde ausgestattet ansehen, sondern sie in bessere und schlechtere Menschen einteilen oder einige gar als „unwert“ einstufen. Und die Grenze ist da überschritten, wo Menschen die Natur nicht als Schöpfung achten und schützen, sondern sie als Ressource wahrnehmen, die man nach Bedarf und Belieben verbrauchen kann. Und das Überschreiten dieser Grenze führt zu Verständnislosigkeit, Konflikten und Trennung.

Das ist also die dunkle Seite, von der die Turmbaugeschichte erzählt. Und die helle Seite bildet dann die auch nicht weniger eigentümliche Erzählung vom Pfingstwunder in Jerusalem. Wo plötzlich Menschen, die eigentlich alle ganz unterschiedliche Sprachen sprechen, die Predigten der verschiedenen Jünger alle in ihrer eigenen Sprache hören. Durch Gottes Geist wird das aufgehoben, was sie voneinander trennt, und Verstehen wird möglich. Sie alle hören die Botschaft von Jesus Christus, die sie dann zu einer Gemeinschaft verbindet. Viele lassen sich taufen und stoßen zur Gemeinde dazu. Pfingsten wird zum „Geburtstag der Kirche“.

Die Erzählung von Pfingsten spricht also von der Erfahrung, dass der Geist Gottes unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch bringen und verbinden kann. Und durch den Geist Gottes schaffen sie miteinander etwas, was sie ohne diesen Geist nicht können: Sie gestalten ihr Leben, ihre Beziehungen zu anderen Menschen und ihre Umwelt im Sinne Gottes, so wie er sie gemeint hat, nämlich gut und lebensdienlich für alle. Und das ist genau das, wofür uns der Geist Gottes im wahrsten Sinne des Wortes „begeistern“ will; unser Leben, unsere Beziehungen und unsere Umwelt lebensdienlich zu gestalten.

Und was bedeutet das genau? Nun, eigentlich ist es ganz einfach: Menschen achten auf sich und tun das, was ihnen selbst guttut. Sie achten auf ihre Mitmenschen und tun das, was ihnen und den Beziehungen zu ihnen guttut. Und sie achten auf ihre Umwelt und tun das, was ihr guttut. Doch so einfach das klingt, so schwer scheint das in der Realität zu sein. Wenn wir noch einmal auf den Kontrast von Turmbau und Pfingstgeschehen schauen, dann scheinen wir Menschen doch oft näher an der zerstörerischen Realität der Turmbauerzählung als an der heilvollen des Pfingstwunders zu sein. Zumindest legt das ein Blick in die Nachrichten oder Zeitungen nahe. Da sehen wir den gewalttätigen Konflikt zwischen Israel und der Hamas-Miliz eskalieren. Da hören wir, wie Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland wieder und wieder verbalen und tätlichen Angriffen ausgesetzt sind. Da sehen wir Woche für Woche Bilder von Menschen, die auf der Flucht nach Europa unsägliches Leid erleben oder sogar zu Tode kommen. Da hören wir von Politikern in Deutschland und ganz Europa, die rassistische und populistische Themen und Anliegen in die Parlamente tragen. Und wir hören von der Klimakatastrophe und dem Streit darüber, ob und wie sie noch verhindert werden kann. Wo ist er denn, der Geist Gottes?

Nun, ich glaube, er ist da. Genauso nämlich wie das erlebt werden kann, was ich gerade aufgezählt habe, kann auch erlebt werden, dass Menschen ihr Leben anders gestalten und ausrichten. Da ist gerade in der Coronakrise zu sehen, wie sich ganz viele Pflegekräfte, Ärztinnen, Erzieher und Pädagoginnen mit aller Kraft gegen die Auswirkungen der Pandemie stemmen. Da gibt es die Menschen, die sich für Flüchtlinge und ihre Integration in unsere Gesellschaft engagieren. Da gibt es die Menschen, die sich für ein friedliches Miteinander von Angehörigen unterschiedlicher Religionen in unserer Gesellschaft einsetzen. Es gibt die Politiker, die sich dafür engagieren, etwas Gutes für unterschiedliche Menschen in unserer Gesellschaft zu erreichen. Und es gibt die Menschen, die sich dem Schutz der Umwelt verschrieben haben und immer zahlreicher und lautstarker einfordern, dass wir unsere Welt und die Natur für die kommenden Generationen bewahren müssen. Wir alle kennen solche Menschen, und es ist gut, dass es sie gibt und dass sie sich dafür „begeistern“ lassen, ihr Leben, ihre Beziehungen zu anderen Menschen und zu unserer Umwelt lebensdienlich zu gestalten. Und auch darüber hinaus gibt es im Kontext unserer diakonischen Arbeit bei Diakoneo Tausende dieser Menschen, die sich begeistert dafür einsetzen, dass „unsere Welt zu einem Ort wird, an dem Menschen gerne leben.“ - wie wir es in unserer Vision formuliert haben. Und es ist zu hoffen, dass diese „Begeisterung“ noch viele andere ansteckt.

Ist das eine begründete Hoffnung? Ja, ich glaube schon! Zwar wird es in unserem Leben immer den Kontrast geben zwischen dem Turmbau und Pfingsten, zwischen schwarz und weiß. Aber ich bin fest überzeugt, dass es unsere Aufgabe als Christinnen und Christen ist, die Hoffnung nicht aufzugeben, uns selbst von dem Geist Gottes anstecken zu lassen und möglichst viele ebenfalls dafür zu begeistern – und unser eigenes Leben, die Beziehungen zu anderen und unsere Umwelt nachhaltig lebensdienlich zu gestalten. Dann werden wir vielleicht auch immer wieder einmal so etwas wie ein vollkommen überraschendes Pfingstwunder erleben, wenn wir auf Menschen treffen, die genau dasselbe Anliegen haben und mit uns trotz aller Verschiedenheit an einem Strang ziehen.

Ich wünsche Ihnen für dieses Pfingstfest und die kommende Zeit, dass Sie sich in diesem Sinne vom Geist Gottes begeistern lassen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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