Predigt vom Neujahrstag, 1. Januar 2022

Predigt zu Apostelgeschichte 4, 8-12; Neujahrstag, 1. Januar 2022, 10.00 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

So steht geschrieben in der Apostelgeschichte des Lukas im 4. Kapitel:

Petrus, voll des Heiligen Geistes, sprach zu ihnen: Ihr Oberen des Volkes und ihr Ältesten! Wenn wir heute wegen der Wohltat an dem kranken Menschen verhört werden, wodurch er gesund geworden ist, so sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kundgetan: Im Namen Jesu Christi von Nazareth, den ihr gekreuzigt habt, den Gott von den Toten auferweckt hat; durch ihn steht dieser hier gesund vor euch. Das ist der Stein, von euch Bauleuten verworfen, der zum Eckstein geworden ist. Und in keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.

Der Herr segne sein Wort an uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

zuweilen kommt mir der Eindruck, dass ein Kind zu zeugen vergleichsweise einfach ist, die Geburt noch relativ gut überstanden werden kann, aber die eigentliche Herausforderung für manche Eltern in der Namensfindung zu liegen scheint. Die Entscheidung kann heute regelrecht in Stress ausarten, so vieles gibt es zu bedenken: Harmonisch soll der Name klingen und trotzdem originell, beste Berufsaussichten möge er garantieren, international und zugleich aber einzigartig sein. Außerdem darf er nicht zu lang, nicht zu altmodisch, nicht zu extravagant oder verschroben ausfallen. Aber Charakter soll er schon verleihen, dabei Weltoffenheit signalisieren und bloß nichts Dämliches bedeuten.

Das mit dem Namen ist gar nicht so einfach. Die Frage etwa, wessen Name bei der Eheschließung zum Familiennamen wird bzw. ob dies überhaupt gefordert werden darf, beschäftigte wiederholt die Gerichte. Streitigkeiten um von Standesbeamten abgelehnte Vornamen sind eine nicht versiegende Quelle für Prozesse. Die nicht abreißenden Diskussionen über Umbenennung von Straßen, Plätzen und öffentlichen Einrichtungen lassen etwas davon erahnen, dass Namen keinesfalls nur Schall und Rauch sein können (Faust).

Kultur- und religionsgeschichtlich betrachtet steht fest: Ohne Namen sind weder Menschen noch Götter. Der Name ist ihre Seele und konstituiert ihr Person-Sein. Wer mit seinem Namen genannt, angeredet oder angebetet wird, tritt aus der Anonymität heraus und wird berechenbar.

Mit den Namen oder dem Namen tut sich freilich das Luthertum etwas schwerer. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Namenstage sind katholisch – Geburtstage evangelisch. Im Zuge der Kritik an jedweder Form einer Heiligenverehrung wurden auch die Namen verändert. Anstelle der Heiligennamen wurden in protestantischen Gebieten einerseits alttestamentliche Namen bevorzugt, andererseits kamen altdeutsche Namen, oft überraschend kreativ gebildet, zum Vorschein: Traugott, Freymuth, Gottlieb usw.

Ja, Namen sind keinesfalls nur Schall und Rauch. Von daher ist auch überhaupt nicht erstaunlich, dass Martin Luther mit dem Neujahrsfest wenig anfangen konnte. Und so konnte er richtig poltern: „Auf diesen Tag pflegt man das Neujahr auszuteilen auf der Kanzel, als hätte man sonst nicht genug nützliche heilsame Dinge zu predigen. […] Das Evangelium fordert, von der Beschneidung und von den Namen Jesu zu predigen.“ Eine Tradition, die übrigens in der Blauen Schule im Wintersemester 1946/47 auch im Unterricht der Diakonissen besprochen wurde.

Ja, Neujahr ist eigentlich viel mehr. Und das spürt man der hochkomplexen Geschichte dieses Datums ab. Alles begann nämlich mit einer Verwaltungsreform im 2. Jahrhundert. Diese hatte zur Folge, dass der Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Januar vorverlegt wurde. Das Beharren auf dem 8. Tag (Oktavtag) kann somit auch als christliche Reaktion auf diese Kalenderreform gedeutet werden. Dem doppelgesichtigen Gott Janus wird Christus gegenübergestellt.

Das finde ich tröstlich, denn so sehr ich gerade in diesen Tagen spüre, dass unsere Zeit zutiefst von zwei Gesichtern geprägt ist, so merke ich doch mehr und mehr, wie mich die Angst diesbezüglich überrennt: Was mag die Zukunft bringen? Werden wir in Europa friedliche Zeiten behalten? Werde ich gesund bleiben? Reicht das Einkommen zum Auskommen? Können wir zu einem normalen gesellschaftlichen Leben überhaupt zurückkehren? Keiner weiß, was dieses neue Jahr bringen wird.

Was wir jedoch wissen, ist das: Auch dieses neue Jahr liegt in der Hand unseres Heilandes Jesus Christus. Sein Name steht auch über 2022. Er geht mit uns in dieses Jahr hinein. Und er wird mit uns aus diesem Jahr hinausgehen. Der Weg, auf dem wir gehen, ist von ihm gebahnt. Und auf seinem Weg können wir sicher gehen. Jesu Weg führt letztlich nicht in die Sackgasse - auch wenn es uns zuweilen so erscheint.

Davon zeugt auch unser Predigttext. Voll des Heiligen Geistes ist Petrus. Petri Worte sind keine Missions- oder Bußpredigt an die Verfolger. Nein, das Bekenntnis des Petrus, bei keinem anderen als bei Jesus Christus gebe es Rettung, ist zutiefst vom Glauben an den Gott verbunden, der sich klein und niedrig macht und sich gänzlich mit der menschlichen Natur verbindet. Durch Jesu Beschneidung und Namensgebung reiht sich Jesus in die Generationen Davids und folglich in die Verheißung Gottes „für immer“ und „alle Zeit“ ein. Für Petrus ist Christus der Eckstein, der Stein, der das Gebäude zusammenhält, der freilich für viele unnütz ist und somit verworfen wird. Ja, das Bekenntnis des Petrus enthält darum auch einen unüberhörbaren christlichen Protest gegen die politischen Heilslehren seiner Zeit, die der unsrigen vielleicht gar nicht so unähnlich ist. 

Von daher möchte ich heute Gottes Gegenwart in der Beschneidung Jesu feiern. Mich dem göttlichen Geheimnis der Inkarnation hingeben. Mich versenken und das Kripplein betrachten. Heute gibt es kein „zu wenig“ an Geduld, an Liebe, Besonnenheit oder Hilfe. Kein Nachsinnen, was dieses merkwürdige Jahr noch bringen mag. Nein, heute ist Festtag. Gott ist uns nah. Gott offenbart im Namen Jesu sein Wesen. Und dabei ist dieser Name nicht einmal sonderlich kreativ oder besonders, zur Zeit der Evangelien weit verbreitet; ein richtiger Allerweltsname. Aber ein Name, der alles sagt, was wichtig ist: „Jehoschua“ – in der Kurzform Jesus, und das bedeutet: JHWH – Adonaj – Gott rettet.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Auel, Hans-Helmar (Hg.): Unentdeckte Feiertage. Das Kirchenjahr als Fest des Glaubens (Dienst am Wort 89), Göttingen 2000.

Biblischer Unterricht in der Blauen Schule: Advent, Weihnachten und Epiphanias im Neuen und Alten Testament, Wintersemester 1946/47.

Frey Andreas: Namensgebung. Zwischen Tradition und Lallform, in: FAZ vom 20.05.2017.

Gerlitz, Peter; Hennigfeld, Jochem; Liwak, Rüdiger: Grethlein, Christian; Adloff, Kristlieb: Art. Name/Namengebung in: TRE 23 (1993), 743-764.

Hopf-Droste, Marie-Luise: Der Geburtstag. Ein Beitrag zur Entstehung eines modernen Festes, in: Zeitschrift für Volkskunde 75 (1979), 229-237.

Kohlheim, Rose; Kohlheim, Volker: Duden. Das große Vornamenlexikon, Berlin 62021.

Mühlhaupt, Erwin (Hg.): D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung. Erster Teil. Die Weihnachts- und Vorgeschichten bei Matthäus und Lukas, Göttingen 41964.

Schmidthals, Walter: Die Apostelgeschichte des Lukas (ZBK.NT 3.2), Zürich 1982.

Seibicke, Wilfried: Pietistische und andere christliche Namen. Zum Verhältnis von Vornamengebung und Religion, in: Name und Gesellschaft. Soziale und historische Aspekte der Namengebung und Namenentwicklung (Thema Deutsch. Band 2), hg. v. Jürgen Eichhoff u. a., Mannheim u. a. 2001, 104-113.

Tück, Jan-Heiner (Hg.): Die Beschneidung Jesu, Freiburg u. a. 2020. 

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