Predigt vom 3. Sonntag nach Trinitatis, 14. Juni 2020

Predigt zu Apostelgeschichte 4, 32-37; 1. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille um den Segen aus Gottes Wort bitten. Amen.

So steht geschrieben in der Apostelgeschichte nach Lukas im 4. Kapitel:

32 Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. 33 Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. 34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte 35 und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.

36 Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes – ein Levit, aus Zypern gebürtig, 37 der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.

Der Herr segne sein Wort an uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

zu meinen Lieblingsgeschichten aus der Geschichte unseres Mutterhauses gehört die von der Lotterie. Es ging dabei um die Finanzierung des Rettungshauses. Recht offenherzig berichtet darüber das Korrespondenzblatt aus dem Jahre 1862: „Der Bau des neuen Rettungshauses wurde mit etlichen Gulden begonnen und den Diakonissen im Mutterhause gesagt: Seht zu, wie ihr Geld bekommt, das ist nun eure Sache. Denn das Rettungshaus ist von Anfang an ein ganz ausschließliches Pflänzchen der Diakonissen.“ Um die Finanzierung zu stemmen, veranstalteten die Diakonissen eine Lotterie. Diese Maßnahme stieß auf enormen Widerstand, sodass sich die Anstalt genötigt sah, die Lotterie zu verteidigen. „Da stehen wir nun und möchten gerne ein Haus haben, um thun zu können, was der Herr will: die Elenden hineinzuführen. Aber ein Haus – wer weiß das nicht? – kostet Geld. Wo bekommen wir solches her? Wir wollen nichts für uns, sondern alles für unseren Herrn.“

Die Diakonissen blieben standhaft, veranstalteten ihre Lotterie und konnten so immerhin 24% der Gesamtkosten finanzieren.

Warum setze ich diese kleine Geschichte an den Beginn dieser Predigt? - Sie zeigt beispielhaft das große Problem, das das Christentum mit dem Thema Geld und der lieben Welt hat. Und gerade die Auslegungsgeschichte unseres heutigen Predigttextes zeigt dies beispielhaft. Was ist da nicht alles zu lesen: Vom Liebeskommunismus (Ernst Troeltsch/Ernst Bloch) bis zur Begründung eines klösterlichen Standes, der aufgrund seiner Armut dem Herrn näher sei. Gerade letzteres hat besonders Luther zu entschiedener Gegnerschaft veranlasst.

Allen Anwendungsversuchen – ausgehend von unserem Predigttext – ist gemein, dass sie die Schrift einfach jetzt und in dieser Welt umzusetzen versuchten. Sie alle sind grandios gescheitert. Sie begingen den Fehler, den Christen sehr gerne machen, nämlich das Letzte mit dem Vorletzten zu verwechseln.

Was hierbei entsteht, kann man mit Fug und Recht als Realitätsverleugnung bezeichnen. Und die geschieht bis in die Gegenwart hinein. Die Gemeinde und die Kirche werden dann zu einem Ort, wo die Reinheit und das Gute walten, und die Welt, das Draußen, wird zur Gegenwelt. Realitätsverleugnung gibt es in vielen Gestalten. Besonders verbreitet ist die Variante, dass man die Zwangslagen nicht wahrhaben will, mit denen uns die Realität in der Welt konfrontiert. Hierbei entzieht sich die Kirche gern der Auseinandersetzung mit den Dilemmata der Welt. Und so entscheidet sich die Kirche jeweils nur für die eine Seite, so, als wäre das Problem damit gelöst: Man ist für Gewaltfreiheit, man ist für Gerechtigkeit und Frieden, man ist für humanitäre Hilfe, sehr gern für höhere Steuern, um eine wie auch immer geartete Armut zu bekämpfen.

Somit wird der Welt und der Politik der Schwarze Peter zugeschoben, die in einer Welt voller Gewalt Frieden auch mit militärischen Mitteln zu sichern sucht oder die mit Blick auf begrenzte staatliche Kapazitäten, gesellschaftliche Akzeptanz und innere politische Stabilität einfach verschiedene Grenzen ziehen muss. Statt sich mit dem Sinn und der Berechtigung dieser politischen Anliegen auseinanderzusetzen und sich hierzu öffentlich zu erklären, machen es sich die kirchlichen Gremien und Verantwortungsträger einfach, indem sie sich darauf beschränken, Appelle an die Politik zu richten. Nicht selten dient dann die Heilige Schrift mit ihrem Füllhorn an Stellen als Beleg für das eine oder andere Argument.

Die Kirche ist damit so erfolgreich, dass sich die Argumentation dann oft gegen sie wendet. Denn ein Blick in die eigenen Reihen zeigt: Auch bei uns ist nicht alles gut. Nein, im Gegenteil. Wir teilen fast alle Probleme mit der Welt. Das beginnt bei der Frage, wie wir unsere Mitarbeiter bezahlen, und endet in der Frage, wie wir mit unseren geringen Ressourcen nachhaltig wirtschaften sollen.

Denn, und das zeigen gerade die vielen Beispiele, ausgehend von unserem Predigttext, auch ein Kloster, Mutterhaus oder ein Kibbuz sind allesamt hoch anfällige Systeme, die von einer hochgradig ausbalancierten Wirtschaftlichkeit leben, besonders dann, wenn sie Erfolg haben sollen.

Was aber heißt das für unseren Text? Reine Utopie? Zu schön, um wahr zu sein? Ich glaube nein. Denn das, was uns der Evangelist Lukas hier zeichnet, ist kein Anwendungsbeispiel christlicher Ökonomie. Es wird bekanntlich auch bei Lukas gegen Ende recht eng mit der armen Gemeinde in Jerusalem, und ein werbender Paulus muss viele Kollekten beschaffen, damit das Überleben der ersten Gemeinde gesichert werden kann.

Nein, was Lukas hier zeichnet, ist ein Ausblick darauf, wie sich Gottes Geist verwirklicht – und zwar im Hier und Jetzt, aber auch im Blick auf die Ewigkeit. Kernstelle und Ausgangspunkt ist hierbei Christus selbst, oder in den Worten unserer Perikope: Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Das ist das alles Entscheidende. In einer gottvergessenen Welt hatten die Apostel Gott gefunden. Christus hatte sich Ihnen mit Vollmacht offenbart, sie angerührt und begeistert.

Das ist der alles entscheidende Punkt. Die Apostel konnten die Gottesentfremdung des Menschen hinter sich lassen. Die Frucht dieser Erfahrung schildert Lukas in den Worten unseres Predigttextes. Was hier aufkeimt, erinnert zutiefst an den Urstand des Menschen in der Urgeschichte, lebte doch hier der Mensch in der innigsten Gottesgemeinschaft. So wie Adam und Eva konnten die ersten Christen leben, nämlich allen Kreaturen nützlich und für niemanden nachteilig. Ja, das ist Grund und Ziel des christlichen Glaubens. Im christlichen Glauben soll der Mensch wieder zu sich kommen. Nicht andere Götter, wie Macht, Geld und Einfluss, zu den seinigen machen, sondern durch Christus befreit in die Zukunft blicken. Und dazu wollen die Worte des Lukas Lust wecken. Die Aussagen über die Gütergemeinschaft sind ein Stück Glaubensgeschichte und -hoffnung. Für die Frage nach dem sozial rechten Weg ergeben sie nichts. Sie wollen weder ein positives Modell empfehlen, noch vor einem gescheiterten Experiment warnen. Was sie wollen, ist Christus bezeugen und zeigen, wie Gott sich auch schon heute verwirklichen kann.

Wie wäre das schön, wenn wir uns von diesem Geist wieder anstecken lassen würden: als Kirche und Diakonie. Nicht mit ständigen Forderungen an die Welt, sondern in der Welt Gottes Reich den Weg bereiten. Und dafür brauchen wir starke Partner und auch reiche Gönner – ganz wie der Barnabas in unserem Bericht. So wie neulich in meiner alten Gemeinde geschehen: Hier war das Turmkreuz alt und morsch geworden, und ein reicher Spender fand sich bereit, das Kreuz einfach neu aufzustellen.

Ja, das Kreuz aufstellen in der Welt. Von Gott berichten und Menschen anstecken. Das scheint mir mitunter wie eine Utopie, aber eine, die sich lohnt. Manchmal klein und verzagt. Dann wieder sprudelnd und ein wenig verrückt, wie in der Geschichte unseres Mutterhauses so oft geschehen.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau, 5 (1862), 42.

Correspondenzblatt der Diaconissen von Neuendettelsau, 6 (1863), 2.

Fischer, Johannes: Kirche als Gesinnungsmilieu? Eine kritische Anfrage in Erinnerung an Dietrich Bonhoeffer. In: DtPfrBl 120 (2020),S. 201-204.

Hengel, Martin: Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche. Aspekte einer frühchristlichen Sozialgeschichte. In: Thronton, Claus-Jürgen (Hrsg.): Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI. Tübingen 2008, S. 353-423.

Jenner, Harald: Von Neuendettelsau in alle Welt. Entwicklung und Bedeutung der Diakonissenanstalt Neuendettelsau/Diakonie Neuendettelsau 1854-1891/1900. Neuendettelsau [2004].

Koch, Dietrich-Alexander: Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch. Göttingen ²2014.

Lohmeyer, Ernst: Soziale Fragen im Urchristentum. Leipzig 1921.

Merkel, Helmut: Urchristlicher Liebeskommunismus? Zur historischen und theologischen Bedeutung von Apg 2, 42-47 und 4, 32-37. In: Pöhlmann, Horst Georg (Hrsg.): Das Wort und das Schweigen. Osnabrück 1992, S. 130-142.

Pesch, Rudolf: Die Apostelgeschichte (Apg 1-12) (EKKV/I). Zürich u. a. 1986.

Schmithals, Werner: Die Apostelgeschichte des Lukas (ZBK.NT 3.2). Zürich 1982.

Schwarz, Reinhard: Martin Luther. Lehrer der christlichen Religion. Tübingen 2015.

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