Predigt vom 6. Sonntag nach Trinitatis, 19. Juli 2020

Predigt zu 5. Mose 7, 6-12; 6. Sonntag nach Trinitatis, 19. Juli 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrerin Karin Lefèvre

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

Liebe Gemeinde,

wie und wen lieben wir? – Meist fängt es doch so an, dass wir uns zu jemandem hingezogen fühlen. Attraktiv – deutsch: anziehend – ist so jemand. Lernen wir einander dann besser kennen, kommen weitere positive Eigenschaften hinzu, wie zum Beispiel Humor, Intelligenz, Kraft, Fürsorglichkeit, Zuverlässigkeit, Treue – das sind Eigenschaften, die hoch im Kurs stehen. Oder können Sie sich eine Kontaktanzeige vorstellen, in der es heißt: „Ich suche einen Partner. Er sollte ungepflegt, humorlos, garstig und grob sein.“?

Das geht nun wirklich nicht. Nein, am Anfang steht die Freude darüber, einen besonderen Menschen gefunden zu haben, der zu einem passt. Dann kommt der Alltag und mit ihm die Ernüchterung. Da ist dann doch nicht mehr alles so perfekt: War sie schon immer gerne unpünktlich? War er schon immer ein wenig schlampig? Wann hat es angefangen, dass seine Laune so leicht kippt? Wann habe ich mich das erste Mal darüber gewundert, dass sie ihre Versprechen manchmal nicht hält?

Und dann? - Dann folgt die Zeit der Diskussionen, oft verbunden mit Vorwürfen. Zweifel tauchen auf: Ist das der oder die Richtige?

Wenn es gut geht, dann geht nach ernsthaften Gesprächen ein Ruck durch beide. Es ist ja noch viel da von dem, was man aneinander schätzt. Es gibt inzwischen eine gemeinsame Geschichte, miteinander durchlebte Höhen und Tiefen. Das hat auch Vertrauen wachsen lassen. Das zählt doch auch. Dazu kommt: Wir alle sehnen uns nach jemandem, der oder die uns so liebt, wie wir sind, wo wir uns nicht verstellen müssen, wo wir mit unseren Schwächen gut aufgehoben sind. Ja, gerade das empfinden wir doch als das Wesen der Liebe: Ich darf so sein, wie ich bin, mit allen Ecken und Kanten.

Und was hat das alles mit Gott zu tun? – Das hat mit Gott zu tun, weil in der Bibel, wenn es um Gottes Liebe zu uns geht, unglaublich ‚menschlich‘ von Gott gesprochen wird. Eigentlich wird ja sehr darauf geachtet, Gott Gott sein zu lassen. Denken wir an Aussagen wie: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und Eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. (Jesaja 55,8)

Doch wenn es um die Liebe geht, dann wird Gott plötzlich als eifersüchtig und laut nach der Geliebten rufend und ähnlich menschlich geschildert. Da wird ganz häufig – in beiden Testamenten – das Bild von Gott als Bräutigam und der Gemeinde als Braut beschworen. Der Prophet Hosea tut dies sehr ausführlich (Hosea 2, 15-22). Ja, die Bibel endet sogar mit diesem Bild, wenn das neue Jerusalem, das von Gott aus dem Himmel herab kommt, mit dieser Braut verglichen wird (Offenbarung 21,2).

Vor diesem Hintergrund sollten wir unseren Predigtabschnitt hören:

5. Mose 7, 6-12

6 Wahrlich, du bist für Jahwe, deinen Gott, ein heiliges Volk. Dich erwählte Jahwe, dein Gott, aus allen Völkern der Erde, damit du ihm als Volk ganz persönlich gehörst. 7 Nicht, weil ihr zahlreicher seid als die anderen Völker, hängt Jahwe an euch und nicht deshalb hat er euch ausgewählt; denn ihr seid das kleinste unter allen Völkern. 8 Aus Liebe hat Jahwe gewählt und erhält den Schwur, den er euren Vorfahren geschworen hat. Darum führte Jahwe euch mit starker Hand aus dem Land, das euch versklavt hatte und kaufte euch los aus der Knechtschaft des Pharao, des Königs von Ägypten. 9 Daran sollst du erkennen, dass Jahwe, dein Gott, treu ist (denn du liebst, weil Jahwe, dein Gott, treu ist) und sich an den Bund mit seinen Liebenden hält und über tausend Generationen denen gegenüber Liebe und Güte übt, die ihn lieben und seine Lebensanweisungen befolgen. 10 Aber alle, die die Anweisungen, welche dem Leben dienen, hassen, bestraft er, ohne zu zögern. 11 Darum: Befolge die Gebote und die Weisungen und die Rechtsbestimmungen, die ich dir heute gebiete.

Liebe Gemeinde, das erste, was auffällt: Gott liebt anders als wir! Seine Suchanzeige würde wohl wirklich lauten: „Ich, Gott, suche: untreue, lieblose, gedankenlose, ausbeuterische, kriegslüsterne Menschheit, um mich auf immer in Treue an sie zu binden und sie das wahre Wesen der Liebe zu lehren. Spätere Hochzeit garantiert!“

Das ist nicht nur auf den ersten Blick wenig schmeichelhaft für uns. So wollen wir uns nicht sehen. Wir wollen besonders sein. Wir nennen uns ja „die Krone der Schöpfung“ – eine schöne Krone! Die gerade dabei ist, vieles kaputt zu machen durch Gedankenlosigkeit, Egoismus und Gier.

Zbigiew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater des früheren Präsidenten Jimmy Carter, hat die Anzahl der getöteten Kriegsopfer für das 20. Jahrhundert auf 187 Millionen geschätzt. Und das ist ja leider beileibe nicht alles, was wir uns haben zuschulden kommen lassen. Doch reicht das aus, um uns deutlich zu machen, was für eine problematische und hochbelastete „Ehe“ Gott bevorsteht, wenn er sich wirklich auf uns einlässt?

Die Paartherapie, die da nötig ist, um das zu einem guten Ende zu führen, braucht Jahrtausende… und erfordert ungewöhnliche Maßnahmen, um Gottes Liebe immer wieder deutlich zu machen. Darum hat er sich für Lektion eins in Sachen Liebe ein kleines und vom Untergang bedrohtes Volk ausgesucht, das auch nur ganz langsam in die Gänge gekommen ist: Die ersten Stammmütter waren alle zunächst unfruchtbar. Und als dann die Nachkommen endlich zahlreicher wurden, gerieten sie nach fulminantem Start unter Joseph jahrhundertelang in ägyptische Sklaverei, aus der Gott sie befreien musste.

Dann heißt es, wie wir vorhin schon gehört haben: Aus Liebe hat Jahwe gewählt. Und er hält den Schwur, den er euren Vorfahren geschworen hat… Daran sollt ihr erkennen, dass Jahwe, dein Gott, treu ist.

Wobei sich dieser letzte Satz auch anders übersetzen ließe, weil das Verb „erkennen“ im Hebräischen so ganz besonders ist. Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger. (1. Mose 4,1) Im Hebräischen bedeutet „lieben“ „erkennen“ und „erkennen“ „lieben“. Da ist eine „linde“ Liebe undenkbar! Da gilt das Gegenteil! Gott sieht und erkennt, auf wen er sich mit seiner Liebe einlässt! Wenn es im 5. Mose 7 heißt: Du wirst erkennen, dass Jahwe, dein Gott, treu ist, dann können wir das auch übersetzen: Du wirst lieben, weil Jahwe, dein Gott, treu ist!

Ja, Treue ist einer der großen Liebesbeweise. Das ist das volle Gegenteil zu den dummen, aber bekannten Sprüchen „Gelegenheit macht Liebe“ oder „Wenn die Geliebte nicht da ist, dann liebe die, die gerade da ist“. – So sieht menschliche Liebe oft aus. Doch die vermag es nicht, uns zu berühren. Ganz anders, wenn wir hören oder - besser noch - miterleben dürfen, wie zwei, die sich lieben und lange getrennt sind, einander nicht vergessen können und am Ende – nach vielen Irrungen und Wirrungen – ein Happy End feiern. Wer davon nicht angerührt ist, ist wahrlich hartgesotten.

Gott ist auf diese Weise treu! Immer und unverbrüchlich. Und ohne sich dabei etwas vorzumachen. Er weiß, wie fehlbar und untreu wir sind. Hunderte von Malen wird in der Bibel beschrieben, wie Israel Gott untreu wird und die guten Lebensanweisungen Gottes in den Wind schlägt. Wie die Israeliten dann zu spüren bekommen, dass andere lebensfeindliche Regeln und Mächte ihr Leben beherrschen und ihnen Lebensglück und Freiheit rauben. Dann rufen sie reuevoll zu Gott und bitten um Hilfe. Er hilft und alles wird wieder gut. Aber das hält nie lange. Später wird der Prophet Hosea mit seinem eigenen Leben dem Volk Israel einen Spiegel vorhalten. Er wir eine Prostituierte heiraten. Sie wird ihm davonlaufen. Er wird sie wieder aufnehmen.

All das soll ein Zeichen dafür sein, dass Gottes Liebe unendlich ist. Wie kann ich dich preisgeben? … Mein Herz wendet sich gegen mich, all mein Mitleid ist entbrannt. Ich will nicht tun nach meinem grimmigen Zorn … denn ich bin Gott und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte. So reagiert Gott nach unzähligen Treulosigkeiten. Aufgrund seiner Liebe reagiert er am Ende statt mit Zorn mit einer Segensfülle (Hosea 14).

Dies ist die erste Lektion, die uns Gott in Sachen Liebe erteilt. Die zweite Lektion erfahren wir, indem Gott selbst Mensch wird, und zwar ganz und gar. In Jesus erlebt Gott alle menschlichen Einschränkungen, Veränderungen Sehnsüchte und Gefährdungen (Hebräer 2). Zugleich bleibt Jesus dem unbedingten Liebeswillen Gottes treu.

Eine Menschheit, eine religiöse Führerschaft, die auf strenge Moral, auf Strafe und auf Abschreckung und Ausgrenzung setzt und die in Jesu Liebe eine Aufweichung ihrer starren Strukturen befürchtet, bekämpft ihn voller Angst und Hass. Doch im Sterben tritt Jesus auch für sie ein: Vater vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!

Jesus, der Mensch Jesus, schafft es, sein ganzes Leben lang die Liebe Gottes zu verkörpern. Gott rechnet uns diese Liebe und Treue Jesu an. So als hätte sich Jesu Versprechen schon erfüllt, nämlich, dass wir es ihm erlauben, in uns Raum zu gewinnen (Johannes 14,23; 17,21) und seine Liebe uns in neue liebende Menschen verwandelt (Matthäus 5, 48).

Gott sieht bereits jetzt in uns, was wir einmal sein werden. Und deshalb sind wir es schon jetzt: Kinder der Liebe Gottes. Beginnen wir damit, dies zu leben.

Amen.

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