Predigt vom Erntedankfest, 03. Oktober 2021

Predigt zu 2. Korinther 9, 6-15; Familiengottesdienst zum Erntedankfest am 3. Oktober 2021, 10.00 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann und Team

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Lasst uns in der Stille beten. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Nach Jahren besucht der Erzähler in Christoph Peters Dorfroman sein elterliches Haus. Abends steigt er die Treppe empor. Er will schlafen gehen. Schlafen gehen in seinem alten Reich. Er schreibt: „Das Zimmer, in dem ich schlafe, ist noch immer das, das bis zu meinem Auszug mein Zimmer war. […] Noch immer stehen hier die Schränke, Regale, Nachttische, die wir Mitte der 70er Jahre […] gekauft haben. Nach wie vor sind die Schränke voller Dinge, die einmal mir gehört haben – eigentlich immer noch mir gehören. Ich müsste sie nur in den Kofferraum packen und mitnehmen: Spielzeugtraktoren, […] und Matchbox-Autos, zwanzig bis dreißig Stofftiere. […] Außerdem drei deckenhohe Regale mit Kinder- und Jugend- und Sportbüchern. […] Meine Eltern,“ schreibt er, „wären erleichtert über jedes Ding, das von hier verschwinden würde, ich hingegen bin froh, dass das ganze Zeug einstweilen hierbleiben kann: Zu Hause hätte ich beim besten Willen keinen Platz dafür, aber wegwerfen will ich es auch nicht.“

Sphärenhaft und dicht beschreibt der Autor das Betreten seines früheren Kinderzimmers. Wie eine Schatzkammer, reich gefüllt mit Geschenken früherer Tage. Sorgsam verwahrt. Merkwürdig nah und doch fern. Eigentlich haben die Geschenke, die Gaben der Kindheit keinen Platz mehr, und dennoch brauchen sie ihren Platz. Verschwinden sollen sie auf keinen Fall. Eine Form des späten Dankes?

Mir geht es da ganz ähnlich. Wenn ich in meinem elterlichen Hause bin, durchstreife ich gerne die Räume und Gänge. Verliere mich in der Vergangenheit und bin beglückt und nachdenklich zugleich. Manchen Geschenken haftet dann eine bestimmte Erinnerung an. Zuweilen eine Erinnerung an Geschenke, die ich gar nicht mag. Geschenke, die ich gar nicht (mehr) haben möchte.

Als Kind passierte mir das recht häufig. Es war die Cousine meiner Großmutter, die mir als kleinem Bub gerne etwas mitbrachte – kleine Geschenke eben. Trotzdem waren diese Geschenke für mich eine Qual. Ich hatte sehr oft das Gefühl, sie gab mir Geschenke, weil sie etwas zurückhaben wollten. So musste ich zu ihrem Geburtstag besonders schöne Geschenkte basteln, weil sie doch immer an mich dachte. Ich sollte permanent freundlich sein und sie umarmen. Ich glaube, sie war überzeugt: Ich müsste ihr für ihre Geschenke etwas wiedergeben, dankbar sein. Ich müsste sie doch heiß und innig lieben. Das wäre ihr Recht. … Alles was sie bekam, war jedoch meine erzwungene und letztlich magere Dankbarkeit.

Geschenke sind gar nicht so einfach. Und das mit der Dankbarkeit auch nicht.

Das spüre ich auch in den Zeilen unseres heutigen Bibelwortes. Geben und Gabe, Dank und Dankbarkeit ist das Thema des Paulus. Die Gemeinde in Korinth hatte sich verpflichtet. Verpflichtet, der Gemeinde in Jerusalem eine Kollekte abzugeben, schlicht: Ein Geschenk zu machen. Die Sache kam ins Stocken. Zwischen den Zeilen höre ich die Enttäuschung. Paulus ist in der wenig beneidenswerten Lage, die Gemeinde an ihre guten Absichten erinnern zu müssen: „Tut endlich, was ihr euch vorgenommen habt, aber eben nicht aus Zwang oder Unwillen.“ Tut endlich – aber nicht unter Zwang - ein Widerspruch in sich.

Das mit dem Schenken, Geben, Danken: Es ist nicht einfach. Es bleibt nicht einfach, und da hilft mir auch der Volksmund überhaupt nicht weiter. „Wer kärglich sät, der wird auch kärglich ernten?“ Schön, wenn das so wäre. Aber es stimmt einfach nicht. Weder im Guten noch im Bösen. Ich höre solche Sprüche auch sonst. „Von nichts kommt nichts!“ Die Beliebtheit bedeutet nicht, das die Beobachtung zutrifft.

Vielleicht macht Paulus deshalb den Unwillen und den Zwang auch so stark. Er weiß, was bei Kollekten oft herauskommt. Ich werfe rasch etwas hinein, saniere mein eigenes Gewissen und speise den Empfangenden ab. Paulus weiß, wie entscheidend es sowohl für den Geber als auch e für den Empfangenden ist, mit welcher Einstellung eine Gabe gegeben wird. Denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.

Mir fällt es mitunter schwer, bei diesen Worten nicht wieder in die alte Logik von Geschenk und Dank zu verfallen: „Ich höre innerlich meine Eltern immer noch sagen: Was sagt man, wenn man etwas geschenkt bekommt …!?“

Und darum geht es eben nicht. Es geht nicht um eine richtige Antwort, eine bestimmte Reaktion auf ein Geschenk. Denn in den Korintherbriefen geht es in aller Ausschließlichkeit um das Tun, das Werk, das Geschenk Gottes an uns. Ein Geschenk, in dem es nicht um Gegenleistung geht. Es ist die Geschichte von Gottes Gnade, die mit der Person Jesu Christi zusammenhängt. Jesus, der arm wurde, um andere reich zu machen. Paulus fühlt sich beschenkt und ist voller Dankbarkeit. Diese Dankbarkeit macht ihn frei, auch andere zu beschenken. Paulus hat völlig überraschend ein Geschenk bekommen.

Ja, zum gelingenden Schenken gehört oft die Überraschung. Man gibt oder erhält etwas, was sich nicht gänzlich der Erwartung fügt. „Du hast an mich gedacht?“, „Du hast auch etwas für mich mitgebracht!“ Da ereignet sich im Schenken das Außergewöhnliche, denn es sprengt völlig die kalkulierte Symmetrie. Das Überraschende, Nichterwartete des Geschenks schenkt etwas völlig Neues. So neu, dass das mitunter nur ein Stammeln zulässt: „Du, ich freue mich wahnsinnig, aber jetzt habe ich gar nichts für dich.“ Aber darauf kommt es ja gar nicht an. Wer an solchen Geschenken teil hat, gibt nicht mehr aus Mangel, sondern aus Überfluss heraus. In den Überfluss der Gnade hineingenommen zu sein, heißt für Paulus, zu jedem guten Werk fähig zu sein.

Vielleicht kann so das Geben reich machen. Ein Geben, das auf Augenhöhe geschieht, so dass es den Empfänger nicht beschämt, sondern die selbstverständliche Folge dessen ist, dass man - wie auch immer - zusammengehört.

Gott hat uns beschenkt. Das feiern wir heute an Erntedank. Wir feiern das Schenken, Geben und Danken. Vielleicht feiern wir auch deshalb Erntedank: Ein Tag der Erinnerung und des Zurückschauens. Einmal Zeit haben, nachzusinnen. Alte Geschenke hervorzuholen und Dankbarkeit zu spüren. Geschenke und Dank neu entdecken, sie zu betrachten wie Dinge aus einer Schatzkiste.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Verwandte und zitierte Literatur:

Claussen, Johann Hinrich u. a. (Hg.): Predigtstudien 2020/2021. 2. Halbband. Perikopenreihe III, Stuttgart 2021.

Domay, Erhard (Hg.): Arbeitsbuch Familiengottesdienste. Modelle. Ansprachen. Szenen, Bausteine. Ideen (Gottesdienst Praxis Reihe B), Gütersloh 1999.

Falkenroth, Arnold; Held, Heinz Joachim (Hg.): Hören und Fragen. Eine Predigthilfe. Band 2. Erste Epistelreihe, Neukirchen-Vluyn 1979.

Fechtner, Kristian (Hg.): Denkskizzen zu den Predigttexten der sechs Perikopenreihen. Band 3, Stuttgart 2020.

Peters, Christoph: Dorfroman. Roman, München 2020.

Schmeller, Thomas: Der zweite Brief an die Korinther (2. Kor 7,5-13,12) (EKK VIII/2), Zürich, Braunschweig und Neukirchen-Vluyn, 2015. 

Mehr lesen aus dem Magazin zum Thema Spiritualität

Diesen Artikel teilen

Haben Sie Fragen? Wir helfen Ihnen gerne.

Wenn Sie sich näher über unser Angebot informieren möchten, können Sie gerne Ihre
bevorzugte Kontaktmöglichkeit hinterlassen.

Oder rufen Sie uns an unter unserer Service-Nummer:

+49 180 2823456 (6 Cent pro Gespräch)