Predigt vom Sonntag Kantate, 15. Mai 2022

 

Liebe Gemeinde,

Kleider machen Leute. Das weiß auch der Schreiber des Kolosserbriefes, wenn er sich mit folgenden Worten an die dortige Gemeinde wendet:

12Gott hat euch als seine Heiligen erwählt, denen er seine Liebe schenkt. Darum legt nun das neue Gewand an. Es besteht aus herzlichem Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld. 13Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorwirft. Wie der Herr euch vergeben hat, so sollt auch ihr vergeben! 14Vor allem aber bekleidet euch mit der Liebe. Sie ist das Band, das euch zu vollkommener Einheit zusammenschließt. 15Und der Friede, den Christus schenkt, lenke eure Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Und dafür sollt ihr dankbar sein! 16Das Wort, in dem Christus gegenwärtig ist, wohne in reichem Maß bei euch. Lehrt einander und ermahnt euch gegenseitig. Tut das in aller Weisheit. Singt Gott aus vollem Herzen Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder. Denn er hat euch Gnade geschenkt. 17 Alles, was ihr sagt und tut, soll im Namen des Herrn Jesus geschehen. Dankt dabei Gott, dem Vater, durch ihn.

 

Liebe Gemeinde,

ich habe es getan. Mein Mann auch. Unsere Kinder ebenfalls. Sie, liebe Diakonissen, vermutlich eher nicht – obwohl, von Sr. Ruth weiß ich, dass Sie´s auch getan hat. Herr Rebetge hat es für den Chor getan. Und wenn ich Sie, liebe Gemeinde, ansehe, bin ich mir eigentlich auch sicher, dass Sie´s auch getan haben: Vor dem Kleiderschrank stehen und fragen: „Was ziehe ich heute an?“

Was zieht man an bei der Einführung einer Oberin? Oder im Büro? Im Kino oder was sonst noch im Kalender steht. Denn es macht einen Unterschied, ob für den Tag ein Termin beim Chef ansteht oder Gruppendienst mit Bastelaktionen, am besten mit Acrylfarben. Im Urlaub gelten andere Regeln als im Theater. Es macht auch Spaß, immer wieder kreativ den eigenen Kleiderschrank zu durchforsten: Was passt zum heutigen Tag? Was passt heute zu mir? Irgendwie spiegelt meine Kleidung ja auch, wer ich bin.

Besonders deutlich wird das in Zeiten, wenn ich extreme Gefühlslagen durchlebe. Bin ich in Trauer, kann es sein, dass ich an mir nur gedeckte Farben ertrage, weil sie meine Stimmung widerspiegeln. Bin ich so richtig glücklich, dann darf es auch mal was Verrücktes sein, in bunten, kräftigen Farben.

Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, ziehe ich mich ganz bewusst um. Das hilft mir, auch innerlich die Dinge abzulegen, „auszuziehen“, die mich den ganzen Tag im Büro beschäftigt haben. Ich will sie nicht mit in den Feierabend nehmen. Gerade wenn der Tag anstrengend war, tut es mir gut, mich in meine Jogginghosen fallen zu lassen. Jetzt ist Zeit zum Ausspannen!

Es macht also einen Unterschied, was ich anziehe. Meine Kleidung erzählt auch immer von mir. So verstehe ich gut, was der Briefschreiber meint: Achtet darauf, euch gut anzuziehen! Kleidet euch bewusst! Zeigt, dass ihr die Auserwählten Gottes seid!

Was ist denn eigentlich die angemessene Kleidung für die „Auserwählten Gottes“? - Der Brief gibt uns dafür eine exklusive Modeberatung. Er breitet vor uns Stoffe und Kleidungsstücke aus, gibt uns Ideen, was modebewusste Christinnen und Christen tragen könnten: Darum legt nun das neue Gewand an. Es besteht aus herzlichem Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld. (…) Vor allem aber bekleidet euch mit der Liebe.

  • Herzliches Erbarmen“ - Wörtlich übersetzt steht da „Eingeweide des Erbarmens“. In der Antike galten die Eingeweide als Sitz der Gefühle. Herzliches Erbarmen, Mitgefühl soll ich mir überziehen wie den Lieblings-Pullover, den ich täglich trage. Manchmal auch das sprichwörtliche „letzte Hemd“, das ich für andere weggebe, weil ich Erbarmen mit ihnen habe. Herzliches Erbarmen ist das Gegenteil von gleichgültig und distanziert sein.
  • Güte erzeugt Nähe und Vertrauen. Beides wärmt. Gütige Menschen lassen andere unter ihren Mantel der Güte schlüpfen, um ihnen Geborgenheit und Halt zu geben.

Gütige Menschen strahlen das Versprechen von Heimat aus.

  • In den Stoff der Demut ist das Muster der Bescheidenheit eingewebt. Demut ist kein Stoff für die glanzvolle Abendrobe auf dem roten Teppich. Die Demut braucht nicht das Blitzlichtgewitter der allgemeinen Aufmerksamkeit. Allerdings darf man Demut nicht mit Kriecherei oder Unterwürfigkeit verwechseln. In der Demut steckt der Mut, darauf zu vertrauen, nicht gleich zu kurz zu kommen, wenn ich andere mit ihren Fähigkeiten zur Geltung bringe und ihnen den Vortritt lasse.

Wer das Kleid der Demut anzieht, macht noch ein anderes „Mode“-Statement: Ich bin mir bewusst, dass es einen Größeren als mich gibt. Ich weiß, dass ich mich nicht selbst erschaffen habe. Ich bin ein Geschöpf Gottes. Meine Möglichkeiten sind immer begrenzt. Demut kommt auch in der Hose der Dankbarkeit daher.

  • Freundlichkeit ist z.B. das Label des Hutes, den ich vor den anderen ziehe, wenn ich ihnen begegne. Ein Lächeln, ein freundlicher Gruß. Oft geht es gar nicht um mehr. Freundlichkeit ist ansteckend. Wer das Kleid der Freundlichkeit mit seinen freundlichen Farben sieht, möchte es auch haben. In der Freundlichkeit steckt auch die Sanftmut. Die Sanftmut schmeichelt dem Körper. Sie braust nicht auf und verliert nicht ihre Selbstbeherrschung. Der Fehdehandschuh gehört definitiv nicht zu ihren Accessoires.
  • Und dann ist da noch der Rucksack der Geduld. Mit ihm kann ich alles tragen, was den gemeinsamen Alltag manchmal so mühsam macht, auch und besonders die Eigen- und Besonderheiten derer, mit denen ich zusammenlebe. Ertragt euch gegenseitig, heißt es im Brief. Gemeinsam“ funktioniert nur, wenn wir jeweils geduldig die Eigenheiten der anderen mittragen. Und umgekehrt!

Liebe Gemeinde, Sie merken: Der Brief schickt uns in eine ganz besondere Modenschau. Es sind exquisite Kleidungsstücke und Stoffe, die uns vorgeführt werden. Da kommt nichts von der Stange.

Damit stellt sich mir die nächste Frage: Wer kann eigentlich solche Kleidung tragen?

Wer von uns hat die Modellmaße, um Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld tragen zu können? Kennen Sie jemand?

Kleidung muss ja authentisch rübergebracht werden – sonst ist sie Verkleidung. Dann wirkt sie nicht, bringt ihre Botschaft nicht an den Mann oder die Frau. Für den Briefschreiber scheint das kein Problem darzustellen. Für ihn ist klar: Für euch, liebe Christen und Christinnen, sind diese Kleidungsstücke geschneidert: Gott hat euch als seine Heiligen erwählt, denen er seine Liebe schenkt. Darum legt nun das neue Gewand an.

„Heilig“ sind wir nicht, weil wir uns besonders kleiden oder besonders „heilig“ benehmen würden. Heilig sind wir, weil Gott beschlossen hat, dass wir zu ihm gehören. „Heilige“, „Auserwählte“ ist der Name unserer Gruppe, deren Einladung wir angenommen haben.

Haben Sie heute früh also daran gedacht, Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld aus dem Kleiderschrank zu nehmen und anzuziehen? - Ich befürchte, dass bei mir heute Morgen Geduld und Sanftmut keine Chance hatten. Zu sehr habe ich im engen Korsett der Anspannung gesteckt, dass heute alles klappen muss. Gott sei Dank gibt es deshalb im Kleiderschrank der „Erwählten“ Gottes auch das „Band der Liebe“, den Gürtel, der alles zusammenhält. Darin ist die Liebe Gottes hineingewebt.

Seine Liebe hält gnädig zusammen, wo wir immer wieder kläglich scheitern.

Denn das Hemd des Erbarmens ist manchmal nur halb oder schief zugeknöpft. Die Hose der Dankbarkeit rutscht bedrohlich, weil die Hosenknöpfe abgefallen sind. Der Hut der Freundlichkeit ist ständig in Gefahr, weggeweht oder gar vor Wut auf den Boden geschmissen zu werden. Soviel zur Sanftmut. Und der Mantel der Güte hat gerade so viele Löcher, dass er nicht mehr auf der Schulter liegen bleibt.

Kein Wunder, dass es oft heißt: „Schaut Euch nur diese komischen „Heiligen“ an!

Nennen sich christlich, sind aber keinen Deut besser als wir!“ Ja, so ist die Realität, auch die der Christinnen und Christen!

Der Gürtel der Liebe gehört zum Glück zur Grundausstattung eines jeden Kleidungsschrankes. So wird aus dem Band der Liebe Gottes ein Band, das mich auch mit den anderen Menschen verbindet. Das Band der Liebe ist der Urstoff, aus dem die Diakonie gemacht ist: Gott hat uns mit seiner Liebe verbunden, damit wir in Verantwortung füreinander leben können.

In dem Bild der Kleidung steckt die Chance, immer wieder neu anfangen zu können. Es kann passieren, dass ich am Morgen einfach mal danebengreife: Statt der Bluse der Freundlichkeit ziehe ich das T-Shirt der Grantigkeit heraus. Ich merke es zwar erst gegen Mittag – doch es ist nicht zu spät. Ich kann mich ja schnell umziehen, und der Nachmittag ist gerettet.

Es kann heute schief gehen in meiner Hose der Dankbarkeit. Morgen kann ich es aber wieder neu versuchen. Und am Tag darauf wieder. Jeden Tag neu. Dennoch: In dem Brief an die Gemeindemitglieder in Kolossä steckt eine hohe Erwartungshaltung. Das hört man seiner Sprache an. Er arbeitet mit Ermahnung, Aufforderungen, Imperativen.

„Die vorgeschriebene Kleiderordnung ist einzuhalten!“ Wer von uns lässt sich aber gerne etwas vorschreiben? Die Begriffe klingen in unseren heutigen Ohren altmodisch mit einem moralischen Unterton aus vergangenen Tagen: Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld - Spaß hört sich auf den ersten Blick anders an. Begriffe, die es vermutlich nicht in den Wertekatalog moderner Unternehmen schaffen werden.

Dem Christentum und seinen Gemeinschaften haftet nicht zuletzt deswegen der Ruf an, spießig, miefig und langweilig zu sein. Und dann kommen wir mit unserer neuen Diakoneo-Gemeinschaft daher! Ein Projekt mit Zukunft? Gibt es eine Chance?

Was wäre, wenn wir die Patina der veralteten Sprache aus den genannten Kleidungsstücken herauswaschen? Was wäre, wenn tatsächlich Menschen Kleider des Erbarmens, des Respekts, der Güte, der Achtsamkeit, der Demut, der Nächstenliebe, Sanftmut, der Gelassenheit, Friedfertigkeit und Geduld tragen würden?

Was wäre, wenn sich Streitende das Kleid der Friedenfertigkeit überziehen? Hassende sich mit der Liebe gürten? Hochmütige die Schuhe der Demut anziehen?

Grantige den Hut der Freundlichkeit aufsetzen?  Was wäre, wenn wir uns alle morgen auf der Arbeit wiedersehen und tatsächlich das eine oder andere dieser Kleider tragen würden? Bunt, schillernd, frech. Anziehend und einladend. Als echte Hingucker. Was würde das an unserem Tag ändern? Was würde das mit uns und unseren Kolleg*innen machen? - Schau an: Die Christinnen und Christen! Schau an: Die Leute von der Diakoneo-Gemeinschaft! Das sind doch die, die versuchen wollen, die Welt bunter und zu einem besseren Ort zu machen. Das sind doch die, denen es ein Anliegen ist, die Welt mit ihrer Liebe für das Leben anzustecken. Das sind doch die, die die Verantwortung für andere ernst nehmen wollen.

Kleider machen Leute. - Lassen wir uns von Gott unsere Kleider schneidern und ziehen wir sie an. Gottes Kleider des Mitgefühls, der Empathie, der Gelassenheit und Friedfertigkeit, der Nächstenliebe. Ziehen wir Gottes Kleid der Freude an und tanzen in seinen Schuhen des Glücks. Hüllen wir uns in sein Cape der Zuversicht und lassen uns von seinen Strümpfen des Lachens die Füße kitzeln.

Denn Gott hat uns als seine Heiligen erwählt, denen er seine Liebe schenkt.

Amen.

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