Predigt vom 9. Sonntag nach Trinitatis, 18.08.2019

Liebe Gemeinde,

Manchmal im Leben trifft man aberwitzige Entscheidungen, und alle anderen, die Menschen um einen herum, die sogenannten Unbeteiligten, schütteln nur mit dem Kopf.

So hatte ich einen jungen Kollegen an einer Schule, ein verbeamteter Lehrer für Musik, etabliert, sozial abgesichert und sicher auch als Musiker gefordert. Eines Tages kündigte er seine Stellung, für manchen von uns Kollegen wie aus heiterem Himmel, gab die Beamtenlaufbahn auf, um irgendwo in Skandinavien, an einem für mich völlig unbedeutenden Ort, als Kirchenmusiker zu arbeiten.

Oder: Ein Mann Ende 30, fest angestellt im sozialen Bereich, seit Jahren etabliert und geschätzt, kündigt, überzeugt davon, dass er so nicht weiterleben will , seine gut dotierte und sozial angesehene Stellung, um sich in die Unsicherheit der Selbstständigkeit zu begeben, bei der er nicht weiß, wie er seine Familie ernähren können soll.

Vielleicht haben Sie ja selbst schon solch eine Lebensentscheidung getroffen, oder wahrscheinlich kennen sie jemanden, der einen solchen Weg gegangen ist.

Warum tun Menschen so etwas, warum werfen sie das, was wichtig geworden ist, plötzlich über Bord, scheinbar grundlos und ohne Anlass, und nehmen die fehlende Sicherheit und das fehlende „Etabliert-Sein“ in Kauf.

So irgendwie muss da etwas Gravierendes passiert sein, denn ich glaube, einen solchen Schritt tut man nicht nur aus Unzufriedenheit. So irgendwie hat da wohl auch eine Umgewichtung der Werte stattgefunden, da muss sich etwas verschoben haben. Das, was wichtig war, hat keinen Wert mehr, und anderes ist plötzlich in den Focus geraten und wichtig geworden. Auch das Lebensziel hat sich infolgedessen wohl sehr gravierend verschoben. In der Epistel des heutigen 9. Sonntags nach Trinitatis erzählt Paulus auch von einer solchen Wendung, einer Wendung, die wir gerne als Bekehrung bezeichnen.

Hören wir nochmal den Text der Epistel:

Predigttext: Phil 3,4b-14.

Wenn ein anderer meint, er könne sich aufs Fleisch verlassen, so könnte ich es viel mehr,

5 der ich am achten Tag beschnitten bin, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer,

6 nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, untadelig gewesen.

7 Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet.

8 Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, auf dass ich Christus gewinne

9 und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott kommt durch den Glauben.

10 Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden,

11 damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.

12 Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin.

13 Meine Brüder und Schwestern, ich schätze mich selbst nicht so ein, dass ich's ergriffen habe. Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist,

14 und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus

Liebe Gemeinde,

Hier preist sich jemand als einer, der rechtschaffen war, untadelig, da hat alles gestimmt, Paulus hatte keine falschreligiöse Herkunft, die anrüchig gewesen wäre, nein, alles war gut, richtig und in Ordnung. Und nicht nur das, er hat mit Eifer das hergebrachte und schließlich von Gott geliebte Judentum verteidigt gegen die neue christliche Sekte, die ketzerisch und mit ziemlichem Erfolg Land gewann, und hat mit Gewalt Christen verfolgt und war ein Gerechter. Was will man eigentlich mehr, könnte man denken, hier hat doch einer erreicht, was zu erreichen war.

Wie kann dieser Paulus all das, was er erlebt hatte, nun als Dreck bezeichnen, als Unrat? Das griechische Wort für Dreck könnte man an dieser Stelle durchaus auch mit Kot übersetzen.

Wirft da gerade einer seine eigene Geschichte weg, möchte man fragen. Eigentlich kommt es dann ja noch schlimmer: „Ich erachte alles, was mir früher als Gewinn erschien, als Schaden“, schreibt Paulus. Schadet vielleicht das Etablierte, das Überkommene, das Althergebrachte, das, was Paulus in Vers neun als die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, bezeichnet. Er jedenfalls sucht die Gerechtigkeit, die aus Gott kommt. Und diese Gerechtigkeit hat nur nicht automatisch mit dem Überkommenen zu tun, sagt Paulus. Und das gilt auch heute - alles muss geprüft werden, das Hergebrachte und das Neue, und es muss dem Leben standhalten.

Die Gerechtigkeit der real existierenden Staaten ist heute - und war es wahrscheinlich auch schon immer - eben auch begrenzt, vielleicht kann das auch gar nicht anders sein. Bei jedem Gesetz, das neu erlassen wird, wird es zu Gewinnern und Verlierern kommen, ob das im Straßenverkehr ist, der neu geordnet werden muss, weil zu viele Fahrzeuge unterwegs sind, ob das im Steuerwesen ist oder wo immer Gesetze unser tägliches Leben betreffen.

Hier finde ich mich gut wieder im Gedankengang des Paulus, auch ich möchte eine Gerechtigkeit, die gerechter ist als die, die aus Gesetzen kommt - gerade in dieser Zeit, in der Gut und Böse verschwimmt, in der das Böse heute gut und das Gute morgen böse sein kann. Ja, ich suche eine Gerechtigkeit und eine Wertigkeit, die über die Tagespolitiken unserer Welt hinausgeht, eine Gerechtigkeit und eine Barmherzigkeit, wie Jesus von Nazareth, der Christus unseres Glaubens, sie vorgelebt hat. Paulus führt hier nicht aus, was sich konkret hinter dieser Gerechtigkeit Gottes verbirgt. Er erklärt sich solidarisch mit dem Jesus Christus unseres Glaubens, er möchte mit ihm durch das Leid des Lebens gehen, um mit ihm auferstehen zu können. Paulus spricht hier von der Kraft der Auferstehung.

Auch das ist ein Gedanke, der mich neugierig macht. Eine Auferstehung, die Kraft hat, Kraft, das Leben zu verändern, es neu auszurichten, dem einen Wert zu geben, was bisher in meinem Leben noch keinen hatte. Kraft, die eine neue Gerechtigkeit zulässt, zunächst einmal in mir, zunächst einmal in dem, was meine Lebenskreise betrifft, die ich steuern und regeln kann.

Hier finden sich für mich Gründe, gute Gründe, die einen Menschen dazu bringen, den Sinn neu auszurichten, und für mich persönlich ist dieser Weg der Annahme des Menschen als Mensch in der Barmherzigkeit und Kraft Gottes Grund genug, das Leben auszurichten auf den Jesus Christus unseres Glaubens. Und dieser Weg bleibt ein Weg, der immer wieder in Spannung zur Gerechtigkeit und Kraft bzw. der Macht der Welt steht, manchmal allerdings steht diese Gerechtigkeit Gottes für mich auch ganz klar im Widerspruch zur Welt.

Sicherlich wird nicht jeder von uns einen solchen radikalen Weg gehen wie der Apostel Paulus, aber wichtig ist, glaube ich, und zwar unverzichtbar wichtig, dass jeder, der einen neuen Weg sieht, ihn auch geht, mit welcher Geschwindigkeit und Radikalität auch immer.

Paulus ist aber auch Realist, er ist kein religiöser Schwärmer. Das zeigt sich für mich an zwei Dingen: Zum einen ist der Glaube an die Auferstehung nicht machbar, nicht erzwingbar, er ist und bleibt Geschenk. Ein Gedanke, den Martin Luther sicherlich auch sehr ernst genommen hat und der seine Theologie maßgeblich geprägt hat.

Zum anderen gesteht Paulus ein, dass auch er nicht am Ziel ist, sondern unterwegs auf das Ziel hin ist, so wie wir alle hoffentlich auf ein Ziel hin unterwegs sind. Dadurch wird Paulus nicht selbstgerecht, sondern bleibt demütig und ein Gleicher unter Gleichen. Alle sind unterwegs und auf der Suche.

Ein letzter Gedanke des Paulus in unserer Epistel erscheint mir gewichtig: „Nicht dass ich schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei, (…) ich vergesse, was da hinten ist und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist und jage dem vorgesteckte Ziel nach.“

Als Suchender ist Paulus jemand, der - wie der Kaufmann im heutigen Evangelium - alles einsetzt, seine ganze Kraft und vielleicht auch sein ganzes Vermögen, um zu seinem Ziel, zur Gerechtigkeit und Nähe Gottes, zu kommen. Und auch hier erscheint Paulus wieder nicht als Schwärmer, sondern er erweist sich als Realist, weil er weiß, dass er dieses Ziel zu Lebzeiten nie wirklich erreicht, dass er sich zu Lebzeiten diesem Ziel nur annähern kann.

Liebe Gemeinde, bei aller Schwere, die die Paulinische Theologie oft in sich hat, ist sie eine Theologie, die mich als Glaubenden herausfordern will, dem Göttlichen nachzueifern, es in mein eigenes Leben zu holen, so wie es in Jesus Christus greifbar geworden ist.

Auf der anderen Seite setzt die Paulinische Theologie mich als Christen nicht unter Druck, denn Glaube bleibt letztlich immer ein Geschenk, und ein Geschenk kann ich nie erzwingen. Die Vervollkommnung, die Paulus anstrebt, erreicht er selbst zu Lebzeiten nie, er erwartet es auch nicht von sich und auch nicht von uns. Das Ziel lässt er aber nie aus den Augen, und ich finde diese Haltung des Paulus freiheitsspendend. Sie animiert mich, das Geheimnis Gottes in meinem, im gemeinschaftlichen Leben zu ergründen zu versuchen, aber methodisch, so wie Paulus es vorgibt - spielerisch, unverbissen, mit einer wohltuenden Leichtigkeit, der es keinen Abbruch tut, dass man auch den Prozess des Leidens mit diesem Jesus Christus leben muss und darf. Es gibt kein Leben ohne Leiden, und ohne die Annahme des Leides gibt es auch keine Kraft, die aus der Auferstehung erwächst.

Amen

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