Predigt am Pfingstsonntag, 19. Mai 2024, 10.00 Uhr; Apostelgeschichte 2, 1-13; Diakoniegemeinde St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer i. R. Dr. Hermann Vorländer

Gebet: Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner göttlichen Liebe. Amen

Liebe Gemeinde,

ein altbayerischer Spruch charakterisiert das Pfingstfest mit folgenden Worten: „Heut‘ gibt’s nix und heut‘ kimmt nix, kein Christkind und kein Osterhas. Grad der Heilige Geist.“

Pfingsten ist kein so anschauliches Fest wie Weihnachten oder Ostern. Für einen wachsenden Teil der Weltchristenheit - besonders im Süden - ist Pfingsten allerdings das wichtigste Fest im Kirchenjahr. Seine Anhänger werden deshalb Pfingstler genannt und feiern ihre Gottesdienste mit viel Bewegung und Tanz, Lobgesang und Anbetung als Wirkung des Geistes Gottes. Die Predigt wird immer wieder durch Amen- und Hallelujarufe unterbrochen bzw. verstärkt. Solche Gottesdienste habe ich oft bei meinen Besuchen in Partnerkirchen insbesondere in Afrika und Asien erlebt. Die Pfingstler erinnern uns daran, dass wir dem Geist Gottes mehr zutrauen sollen und dürfen. Er wirkte nicht nur damals beim ersten Pfingstfest. Er wirkt auch noch heute am Fest des Geburtstags der Kirche. Denn die Kirche ist eine Wirkung des Geistes Gottes. Davon handelt die Pfingstgeschichte, die wir eben gehört haben. Denn in ihr finden wir Antwort auf die Frage: Was ist der Geist Gottes und wie wirkt er?

1. Der Geist Gottes wirkt wie ein gewaltiger Wind oder Sturm.

Das hebräische Wort für Geist heißt „ruach“. Darin spürt man einen Hauch, der zum Wind oder Sturm wird. Wenn Gottes Geist in der Bibel Menschen ergreift, dann ist das kein zarten Wehen, sondern ein gewaltiger Sturm, wie wir ihn vorgestern hier erlebt haben. Er wirbelt alles durcheinander. Er packt Menschen und setzt sie in Bewegung. Dies wird anschaulich von den Richtern und Propheten im alten Israel geschildert. Dies geschah auch beim ersten Pfingstfest in Jerusalem. Die Jüngerinnen und Jünger waren noch starr, ängstlich und ratlos. Sie hatten zu viel Widersprüchliches und Schreckliches in den letzten Wochen erlebt. Erst mussten sie zusehen, wie Jesus verhaftet, gefoltert und getötet wurde. Sie schämten sich, weil sie ihn im Stich gelassen hatte. Dann erschien er ihnen plötzlich als der Auferstandene. Aber die Wiederbegegnung war nur kurz, denn schnell verschwand er wieder mit der Ankündigung: „Ich werde euch meinen Geist senden.“ Und dann kam dieser plötzlich auf die Jüngerschar. Einfache, verzagte Fischer und Hinterwäldler aus Galiläa verwandelten sich in mutige Zeugen Jesu, die seine Botschaft weitertrugen. So markiert Pfingsten auch den Beginn der weltweiten Mission. Denn von Wilhelm Löhe stammt der berühmte Satz: Mission ist die Kirche in ihrer Bewegung.

2. Gottes Geist wirkt wie ein Feuer.

Ein Feuer kann zerstören. Es glüht rot, wie die tolle Installation in Rot von Beate Baberske in unserer Kirche zeigt. Das Feuer ist zugleich lebensnotwendig. Denn ohne Feuer gibt es kein menschliches Leben. Es ist die erste und wichtigste Erfindung der Menschheit. Wir brauchen Feuer zum Wärmen und Kochen. So bringt auch der Geist Gottes Leben und Wärme in unsere Welt. Er weckt unsere Lebensgeister. Er springt auf Menschen über wie ein Funke.

3. Gottes Geist wirkt wie ein Rausch.

„Sie sind voll des süßen Weins“ – so beschreiben Außenstehende am Ende unserer Geschichte das Verhalten der Jünger. Sie benehmen sich, als ob sie zu viel getrunken hätten. Gemeint ist aber nicht der Rausch, der von Alkohol oder Drogen kommt. Es gibt noch einen anderen Rausch, der eine positive Wirkung besitzt. Man kann sich an schönem Geschirr oder einem wunderbaren Bild berauschen. Man kann sich an der Musik oder einem mitreißenden Konzert berauschen. Man kann sich an einer schönen Landschaft oder einem spannenden Fußballspiel berauschen. Man kann sich an einer Idee berauschen, die einen nicht mehr loslässt. So will Gottes Geist uns wie im Rausch in seinen Bann ziehen und ganz erfüllen. Seinen Geist können wir im Gottesdienst auch heute spüren, beim Hören auf Gottes Wort, im Gebet, beim Empfang des Heiligen Abendmahls. Da erfahren wir, dass Gottes Geist uns froh macht und erfüllt.

Der bekannte Publizist Heinz Zahrnt erzählte bei einem Vortrag in Kaufbeuren, dass er bei Kriegsende ein besonderes Erlebnis hatte. Er stand verzweifelt und einsam auf einem Feld und wusste nicht mehr weiter. Plötzlich wurde ihm bewusst: Gott ist bei mir. Mein Leben hat eine Zukunft. Es ist nicht alles aus. Solche Erfahrungen haben vielleicht manche von uns schon gemacht, als sie Gottes Geist deutlich spürten. Der Philosoph und Pfarrerssohn Friedrich Nietzsche klagte einmal: „Erlöster müssten mir die Christen aussehen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne.“ Sieht man uns an, liebe Gemeinde, dass Gottes Geist in uns wirkt? Lassen wir also andere spüren, dass wir als Erlöste von Gottes Geist erfasst sind!

4. Gottes Geist überwindet Grenzen.

Er überwindet die Grenzen von Kultur und Sprache. Plötzlich, so wird hier berichtet, können Menschen verschiedener Herkunft einander verstehen. Ihre Sprachen und kulturellen Barrieren sind überwunden. Sie entdecken, dass der Geist Gottes sie verbindet. Er überwindet die Unterschiede von Alt und Jung, Frauen und Männern, Reich und Arm. Im alten Israel war der Besitz des Geistes das Privileg der Mächtigen. Nun erfasst der Geist Gottes alle Menschen. Denn durch die Auferstehung Jesu treten alle seine Jüngerinnen und Jünger in das Kraftfeld Gottes ein.

Bis heute verbindet der Geist Gottes Christinnen und Christen in aller Welt. Ich habe bei meinen Besuchen in Übersee viele Gottesdienste in Sprachen erlebt, die ich nicht verstanden habe. Aber ich habe gespürt, dass Gottes Geist die Grenzen überwindet und mich mit ihnen verbindet. Das funktioniert gewiss nicht immer. Leider entstehen aus sprachlichen, ethnischen, religiösen oder kulturellen Unterschieden oft Konflikte und Gewalttaten. Die Geschichte des sogenannten christlichen Abendlandes durchzieht eine Blutspur von Kriegen bis in die Gegenwart. In der Ukraine kämpfen zwei christliche Völker gegeneinander. Nachher eröffnen wir im Löhe-Zeit-Museum eine Ausstellung über die Muna, in der todbringende Waffen produziert wurden. Aber es gibt auch eine von Christen getragene Friedensbewegung. Denn Gottes Geist befähigt Menschen, Konflikte friedlich zu lösen.

5. Gottes Geist überwindet unsere Sprachlosigkeit.

Die Jünger waren unter dem Eindruck der Ereignisse sprachlos geworden. Ihnen hatte es die Sprache verschlagen, weil sie nicht mehr ein noch aus wussten. Doch durch Gottes Geist gewannen sie ihre Sprache wieder. Und sie setzten sich in Bewegung, predigten und luden zur Nachfolge Jesu ein.

Auch viele Christinnen und Christen von heute wissen oft nicht, wie sie ihren Glauben an andere weitergeben können. Wie soll ich von meinem Glauben reden, wenn ich selbst noch so viele Fragen und Zweifel habe? Aber Gottes Geist will wie damals unsere Sprachlosigkeit überwinden. Wir können von Gott reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, inmitten von Zweifeln und Ängsten. Wir können uns mit Kindern und Enkeln, Nachbarn und Freunden darüber austauschen, was Gott für unser Leben bedeutet, wie sein Geist uns bereichert und erfüllt. Dazu müssen wir nicht viele Worte machen. Oft genügen wenige Worte oder kleine Gesten.

6. Und schließlich: Gottes Geist eröffnet den Weg in die Zukunft.

Die Jünger entdeckten neue Perspektiven für ihre Gemeinschaft. Sie packten neue Aufgaben an und legten den Grundstein für die Kirche. Sie zogen hinaus in alle Teile der damaligen Welt und trugen die Botschaft von Jesus Christus weiter.

Liebe Gemeinde, es gibt zur Zeit viel Zweifel, wie es mit der Kirche und dem Glauben weitergeht angesichts sinkender Mitgliederzahlen und zunehmender Abkehr vom Christentum. Weniger als die Hälfte unserer Bevölkerung gehört noch einer Kirche an. Die Presse beschäftigt sich gern mit diesem Thema. Doch sollten wir nicht in Panik verfallen, vielmehr uns an Martin Luther, den Gründer unserer Kirche erinnern. Er war oft verzweifelt über das, was sein reformatorisches Wirken an Spaltung und Gewalt hervorgerufen hat. Er war sich nicht sicher, wie es mit der Kirche weitergehen kann. Deshalb schrieb er in einem Brief: „Denn wir sind es doch nicht, die da könnten die Kirche erhalten; unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen; unsere Nachkommen werden´s auch nicht sein; sondern der ist's gewesen, ist's noch, wird´s sein, der da spricht: ‚Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt‘.“

Neulich trafen sich hier in Neuendettelsau die Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand mit den aktiven Kolleginnen und Kollegen. Wir Ruheständler freuten uns über interessante Berichte von dem, was sich an eindrucksvollen Initiativen in den Gemeinden tut. Der Tenor lautete: Wir werden weniger, brauchen neue Konzepte und mehr Kooperation. Aber es geht weiter, weil Gottes Geist auch in unserer Zeit wirkt.

Wir erleben eine Zeit großer Unsicherheit in unserer Gesellschaft. Die Aggressivität nimmt in erschreckendem Ausmaß zu. Hat unsere Erde noch eine Zukunft angesichts der Klimakatastrophe? Hören die Kriege nicht auf? Reicht unsere Rente? Wir Älteren hinterlassen unseren Nachkommen eine unruhige Welt. Gewiss sind wir aufgerufen, mit Mut und Entschlossenheit alles Menschenmögliche gegen die Krisen zu tun. Wir dürfen zugleich darauf vertrauen, dass Gottes Geist auch weiterhin die ganze Schöpfung durchweht. Er eröffnet uns einen positiven Blick in die Zukunft unserer Erde.

Amen.