Predigt vom Sonntag, 18. November 2018

Predigt – Matthäus 25, 31- 40

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 18. November 2018, um 9.30 Uhr in Neuendettelsau; Diakonatsbeauftragung, Rektor Dr. Mathias Hartmann

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Warum wollen Sie in der Diakonie arbeiten?“ - Diese Frage stelle ich immer wieder einmal den Bewerbern um eine Stelle in der Diakonie Neuendettelsau, die zu mir zu einem Vorstellungsgespräch kommen. Und ich höre da die unterschiedlichsten Antworten. Manchmal berichten Bewerber davon, dass sie die Hoffnung haben, es gehe in der Diakonie nicht nur ums Geld, sondern darum, Menschen Gutes zu tun. Und manch eine oder einer spricht davon, wie gut es ist, etwas Sinnvolles zu tun beziehungsweise an einer Aufgabe mitzuarbeiten, die Sinn stiftet. Manchmal unterhalten wir uns auch über Werte in der Diakonie – das christliche Menschenbild oder unsere Leitlinien Christlichkeit, Professionalität und Wirtschaftlichkeit. Es sind oft sehr gute, inhaltsreiche Gespräche.

Und jetzt zu Ihnen, liebe neue Diakonatler: „Warum lassen Sie sich heute mit dem Diakonat beauftragen?“ - Was würden Sie antworten, wenn ich Ihnen diese Frage jetzt stellte? Vielleicht würden Sie von dem Wunsch nach Stärkung und Zurüstung für die tägliche Arbeit reden. Vielleicht würden Sie auch von dem Bedürfnis erzählen, Ihren christlichen Glauben noch mehr mit Ihrer Arbeit in Verbindung zu bringen. Vielleicht würde der Begriff Gemeinschaft fallen. Das sind alles richtig gute Begründungen, und ich bin mir sicher, dass Sie alle, die Sie heute hier sind, ziemlich genau wissen, warum Sie sich beauftragen lassen.

Doch mir fällt auf, dass ein Wort nur sehr selten verwendet wird – sowohl in den Vorstellungsgesprächen als auch in Gesprächen über die Diakonatsbeauftragung. Und dabei ist es ein Wort, das für die diakonische Arbeit ganz zentral ist. In den biblischen Lesungen zur Diakonatsbeauftragung, die wir nachher hören werden, wird es vorkommen, genauso wie es in den Lesungen zur Einführung von Mitarbeitenden in der Diakonie vorkommt oder in vielen anderen Texten, die Diakonie zum Inhalt haben. Es ist das Wort „dienen“. Kaum jemand antwortet heute noch auf die Frage: „Warum arbeitest Du in der Diakonie?“ mit: „Ich will Gott und den Menschen dienen!“ oder so ähnlich.

Und interessanterweise hat der heutige Predigttext, den wir gerade eben in der Evangeliumslesung gehört haben, ein ähnlich ambivalentes Verhältnis zu diesem Begriff. In der Rede Jesu vom Weltgericht, in der es die ganze Zeit um Tätigkeiten geht, mit denen Menschen anderen Menschen und damit Christus dienen – kommt das Wort „dienen“ nur einmal vor. Nämlich im zweiten Teil, wo die Menschen, die nicht geholfen haben, den Menschensohn fragen: „Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?“ Ja, das Wort „dienen“ ist die Zusammenfassung all dessen, was zu den sogenannten „Sieben Werken der Barmherzigkeit“ zählt. Und natürlich beschreibt es das, was wir in der Diakonie tun. Warum verwenden wir es dann so selten?

Im Matthäusevangelium steckt, glaube ich, keine bewusste Vermeidung des Begriffs dahinter. Bei den Menschen im 21. Jahrhundert dagegen hat der Begriff „dienen“ einfach keinen guten Klang mehr. Da sagen wir lieber: „ich will Menschen helfen“ oder: „ich will etwas Sinnvolles tun“, bevor wir einen Begriff verwenden, der einen schalen Beigeschmack hat. Aber woher kommt das eigentlich?

Dafür lassen sich mehrere Gründe finden. Zunächst stammt der Begriff „dienen“, so wie er heute oft verstanden wird, aus einer gesellschaftlichen Situation, die lange vergangen ist. Es gab Herrschaften, die wichtig und oft reich waren, und Bedienstete, die unwichtig und oft arm waren. Die Bediensteten übernahmen den Dienst, um leben beziehungsweise oft genug einfach nur überleben zu können. Dafür gaben sie ihr eigenes Leben mehr oder weniger auf. Das Dienen hatte Bedeutung, die Bediensteten nicht. Eine solche Situation wünscht sich heute keiner mehr – unsere Gesellschaft hat sich auch so verändert, dass dieses Dienstmodell heute gar nicht mehr denkbar ist. Doch im Begriff „dienen“ schwingt dieses Modell noch etwas mit. Und auch in der Diakonie hat der Begriff „dienen“ nicht unbedingt einen besseren Klang. Zu sehr war auch die diakonische Arbeit im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von dem damals noch gängigen Gesellschaftsmodell geprägt. Und das hat sich eben auch in der Diakonie verändert. Heute arbeiten in der Diakonie qualifizierte Fachkräfte, die nach Tarif bezahlt werden, und die sich selbst nicht als „Bedienstete“ verstehen wollen. Das wurde mir vor kurzem wieder einmal bewusst, als ich mich mit Führungskräften einer diakonischen Stiftung über das „Dienen“ unterhalten habe. Ja, sagten sie, die Haltung sei ihnen bei ihrer Arbeit sehr wichtig. Auch die christliche Perspektive sei für sie sehr zentral. Aber: Nein, als „Dienen“ wollten sie ihre Arbeit nicht bezeichnen.

Und doch glaube ich, wir sollten das Wort „dienen“ in der Diakonie nicht einfach Preis geben und in Zukunft vermeiden. Dafür ist es viel zu zentral. Schließlich ist „dienen“ die deutsche Übersetzung des griechischen Wortes „diakonein“, das im Neuen Testament an zahlreichen Stellen vorkommt und für unsere diakonische Arbeit von großer theologischer Bedeutung ist. Wir müssen das Wort „dienen“ aber mit neuen Inhalten füllen, damit deutlich wird, dass wir eben nicht das „Dienen“ einer vergangenen Epoche meinen, sondern ein neues, ein modernes Verständnis haben.

Drei Punkte möchte ich für dieses moderne Verständnis des „Dienens“ nennen – und ich gebe zu, dass ich mich in meiner heutigen Predigt nicht so nah an unserem Predigttext bewege – dafür etwas näher am Anlass unseres heutigen Gottesdienstes. Der erste Punkt:

1. Dienen braucht heute kein „Gefälle“ mehr

Das klassische Dienstverständnis war in zweierlei Hinsicht von einem „Gefälle“ zwischen den handelnden Personen geprägt. Auf der einen Seite zwischen demjenigen der Hilfe leistete und demjenigen, der die Hilfe in Anspruch nahm. Der Patient, der Mensch mit Behinderung, das Kind, der Obdachlose, der alte Mensch – alle empfingen Hilfe, konnten aber nur selten mitreden, wie diese Hilfe ausschaute. Mit besten Absichten wurde von den Helfenden genau das getan, was sie selbst für richtig und notwendig hielten. Auf der anderen Seite erlebten auch diejenigen, die Dienst taten, dass jemand über ihnen stand. Der „Hausvater“ oder „Leiter“ der diakonischen Einrichtung war ihnen übergeordnet und erwartete Gehorsam. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will die Handhabung in der Vergangenheit nicht kritisieren. In der damaligen Zeit war das wohl angemessen und passend.

Heute aber haben sich sowohl der Hilfebegriff als auch das Führungsverständnis in der Diakonie weiter entwickelt. In der alltäglichen Arbeit reden wir eher von Assistenz oder Unterstützung, die Klienten oder Kunden, wie sie heute manchmal auch bezeichnet werden, gestalten die diakonische Dienstleistung ganz wesentlich mit und werden in die Planungen selbstverständlich einbezogen. Führungskräfte in der Diakonie verstehen sich heute eher als „Coaches“ denn als „Trainer“, die ihre Leute unterstützen, damit sie gute Leistungen bringen können. „Diakonisches Dienen“ und „dienendes Führen“ brauchen heute kein Gefälle mehr.

2. Dienen ist anspruchsvoll und braucht Professionalität

Schon immer war in der Diakonie die Ausbildung derjenigen, die Dienst taten, besonders im Fokus. In der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts setzte noch einmal ein Professionalisierungsschub in der Diakonie ein – wie zur damaligen Zeit in der gesamten Arbeit im Sozial- und Gesundheitswesen. Heute ist diakonische Arbeit, ist das „Dienen in der Diakonie“, eine anspruchsvolle Aufgabe und braucht hohe Professionalität. Ob das in der Pflege, der Medizin, der Bildung, der Assistenz, im Management oder in einem sonstigen Bereich ist. „Dienen“ in diesem Sinn kann nicht jeder, aber jeder kann es lernen.

Ich glaube, das müssen wir auch in unserer heutigen Gesellschaft immer wieder einmal betonen: Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen sind anspruchsvolle Berufe und erfordern genauso viel oder vielleicht sogar mehr Know-How und Fähigkeiten wie technische Berufe oder Berufe in der Banken- oder Versicherungsbranche. Und dies sollte sich auch im gesellschaftlichen Ansehen und in der Bezahlung äußern. Im Moment wird in einer politischen und gesellschaftlichen Debatte viel über den Pflegeberuf und dessen Rahmenbedingungen geredet. Ja, ich denke auch, dass sich das Image von Pflegenden und auch die Rahmenbedingungen für Pflege verbessern müssen. Wir können dazu beitragen, indem wir davon reden, wie wichtig und hochprofessionell die Arbeit von Pflegenden ist. Und welch schöner Beruf es auch immer wieder sein kann.

Und nun noch der dritte Aspekt für ein modernes Verständnis des Dienens:

3. Dienen erfordert eine Haltung, die sich selbst und die anderen in den Blick nimmt

Jetzt komme ich doch noch einmal auf unseren Predigttext zu sprechen. Haben Sie in Jesu Rede vom Weltgericht gemerkt, was diejenigen sagen, die der Menschensohn dafür lobt, dass sie ihn aufgenommen, besucht, gespeist (…) haben? Sie fragen ihn: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?“ Tatsächlich war den „Dienenden“ also während ihres Tuns gar nicht bewusst, dass sie damit auch Jesus dienten. Sie hatten einfach die Menschen in den Blick genommen, die ihre Unterstützung brauchten. Und dann hatten sie das getan, was notwendig war. Beim Dienen steht der Mensch im Mittelpunkt. Und damit erfordert Dienen eine Haltung, die den Menschen in den Blick nimmt. Und - das wissen wir heute auch sehr genau - es erfordert eine Haltung, die sich selbst dabei nicht aus dem Blick verliert. Nur derjenige, der beim „Dienen“ auch auf sich selbst achtet und auf seine Bedürfnisse, kann lange und gesund diesen anspruchsvollen Dienst tun. Dabei haben die diakonischen Dienstgeber immer auch eine besondere Verantwortung für ihre Mitarbeitenden, und wir in der Diakonie Neuendettelsau tun viel, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Doch es ist wichtig, dass auch diejenigen, die den Dienst leisten, auf sich selbst achten und ihre Bedürfnisse nicht dauernd zurückstellen. Dazu möchte ich heute alle Mitarbeitenden in der Diakonie einmal ausdrücklich ermutigen.

„Dienen braucht kein Gefälle“, „Dienen ist anspruchsvoll und braucht Professionalität“ und „Dienen erfordert eine Haltung, die sich selbst und andere in den Blick nimmt.“ Das sind drei zentrale Aspekte eines modernen Dienstverständnisses, aber längst nicht alle…

Übrigens habe ich die Führungskräfte der diakonischen Stiftung, die ich am Anfang meiner Predigt erwähnt habe, einmal gefragt, wie sie „dienen“ heute definieren würden, damit es zu ihnen passt. Sie fanden folgende Definition: „Dienen heißt für uns, sich professionell und ohne Selbstaufgabe lohnenswert für Klienten zu engagieren.“

Liebe neue Diakonatler! Wir freuen uns sehr, dass Sie sich heute mit dem Diakonat beauftragen lassen und damit auch zum Ausdruck bringen, welche Bedeutung Ihre diakonische Aufgabe für Ihr persönliches Leben hat. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihren Dienst in der Diakonie Neuendettelsau genauso erleben, wie ich ihn heute beschrieben habe – als anspruchsvolle, professionelle Aufgabe, ohne Gefälle zwischen Führungskräften, Mitarbeitenden und Klienten, bei der man sich selbst und andere Menschen in den Blick nimmt. Und ich wünsche Ihnen genau wie den anderen Mitarbeitenden, die wir in den letzten 20 Jahren mit dem Diakonat beauftragt haben, dafür den Segen Gottes.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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