Predigt vom Sonntag, 14. Juli 2019

Predigt über Lukas 6, 36-46; 4. Sonntag nach Trinitatis, 14. Juli 2019, 9.30 Uhr; Neuendettelsau, St. Laurentius; Pfarrerin Karin Lefèvre

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Was für Vorstellungen und Gefühle sind bei Ihnen mit Gott verbunden? Fragen Sie sich doch einmal: „Kann ich mir vorstellen, dass ich, ganz persönlich, Gott wichtig bin? Dass er sich für meine Gedanken interessiert? Oder bekomme ich, wenn ich mir vorstelle, dass Gott mich hört und sieht, ganz schnell ein schlechtes Gewissen, weil ich mich an vieles erinnere, das mir peinlich ist: Das hätte ich wohl besser nicht sagen und jenes nicht tun sollen!“

Natürlich bekennen wir, dass Gott Liebe ist, aber wenn es hart auf hart kommt und wir uns an etwas erinnern, das uns ein schlechtes Gewissen macht, dann ist uns der Gedanke an einen richtenden und strafende Gott doch meistens näher. Ob er mich auch dann noch lieben kann? Machen wir die Probe aufs Exempel: Stellen wir uns vor, dass wir etwas getan haben, wofür wir uns schämen. Wünsche ich mir dann, dass Gott weg schaut oder möchte ich, dass er mich gerade jetzt sieht, weil er mich versteht und mir helfen will, das wieder in Ordnung zu bringen? Welches Bild habe ich von Gott in meinem Inneren?

Machen wir es doch für einen Augenblick einmal ganz korrekt! Werden wir Gott wirklich gerecht, wenn wir ihn in der dritten Person immer und konsequent „ihn“ nennen? Müssten wir nicht mindestens so oft „sie“ sagen? Andererseits - klingt „sie erhebe ihr Angesicht auf euch“ nicht komisch und irgendwie falsch? Ist es Gott egal, ob ich von ihm oder von ihr rede?

Jesus war da irgendwie gelassener! Er konnte innerhalb weniger Minuten Gott mit einer Frau vergleichen, die in jedem Winkel ihres Hauses nach einer verlorenen Münze sucht. Er konnte Gott aber genauso gut mit einem Vater vergleichen, der - entgegen allen damaligen Konventionen - auf seine männliche Würde pfeift und dem verlorenen Sohn entgegen rennt.

Die Themen, bei denen Jesus jedoch kompromisslos keinerlei Zugeständnisse macht, weder an den Zeitgeist noch an Traditionen noch an führenden Theologen, schwächen wir gerne ab oder behaupten, dass sie nicht wörtlich zu verstehen sind. Solche Aussagen warten heute auf uns. Ich lese aus dem Lukasevangelium im 6. Kapitel:

36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! 37 Und richtet nicht, dann werdet ihr ganz bestimmt nicht gerichtet werden, und verurteilt nicht, dann werdet ihr auch ganz bestimmt nicht verurteilt werden. Gebt eure Schuldner frei, dann werdet auch ihr frei gegeben werden. 38 Gebt, dann wird euch gegeben werden; nämlich ein gutes, fest gedrücktes, gerütteltes überfließendes Maß wird Gott euch in euren Schoß schütten. Denn mit dem Maßstab, den ihr an andere anlegt, mit dem werdet auch ihr gemessen werden. 39 Jesus sagte noch ein Gleichnis zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in die Grube fallen? 40 Ein Schüler steht nicht über seinem Lehrer; wenn er jedoch fertig ausgebildet ist, wird er wie sein Lehrer sein. 41 Was siehst du den Splitter im Auge deiner Schwester oder deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge erkennst du nicht? 42 Wie kannst du zu deiner Schwester oder zu deinem Bruder sagen: Lass mich doch den Splitter aus deinem Auge ziehen, während du den Balken in deinem Auge nicht siehst? Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge und danach kannst du zusehen, dass du den Splitter aus dem Auge des Bruders oder der Schwester ziehst. … 46

Was nennt ihr mich Herr, und tut nicht, was ich sage!

Es sind zwei verschiedene und auch schockierende Gedankengänge, die Jesus uns da zumutet. Im ersten werden wir herausgefordert, zu einer inneren Haltung zu finden, die alles „Normale“ und Gewohnte weit hinter sich lässt. Dagegen ist der Wechsel des Pronomens zwischen ‚sie‘ und ‚er‘ in Bezug auf Gott ein Kinderspiel! Und in einem zweiten Gedankengang, der unbedingt dazu gehört, zeigt Jesus uns einen Weg auf, wie wir zu der inneren Reife gelangen können, die uns eine solche ungewöhnliche innere Haltung erst ermöglicht.

Beginnen wir mit der Zumutung, mit der Jesus uns auffordert, barmherzig zu sein.

Wer von uns könnte – so frei weg aus dem Stand – erklären, was ‚barmherzig‘ denn genau meint? Immerhin haben wir am Anfang des Gottesdienstes gleich dreimal und sogar zweisprachig an Gottes Barmherzigkeit appelliert: Kyrie eleison! Christe eleison! Kyrie eleison! – Herr, erbarme dich!

Damit haben wir uns an Gottes tiefstes und ureigenstes Wesen gewandt. In der hebräischen Sprache gibt es dafür zwei Worte: „Chesed“ und „Rachamim“. Es gibt sogar einen Vers, in dem beide vorkommen, nämlich Jesaja 54,10, wo Gott schwört, und zwar mit seinem Namen ‚Erbarmer‘ (Chesed), dass selbst, wenn die ganze Welt zusammen bricht, seine erbarmende Liebe (Rachamim) nicht von den Menschen weichen soll. Doch nicht genug, all das spiegelt sich auch darin wider, wenn Juden die vier Buchstaben für Jahwe als Adonai, deutsch: Herr, lesen. Adonai kommt von Adon, was auf Deutsch mit Fundament oder Schwelle übersetzt wird. Die Schwelle ist die, die alles trägt. Es geht also bei „Herr“ nicht um „herrschen“, sondern um das Tragen, genauer das Ertragen können der ganzen Welt.

Die Barmherzigkeit ist das Göttlichste an Gott, sie ist auch das, was sich in der Menschlichkeit des Menschen widerspiegeln soll. Seid barmherzig, wie auch euer göttlicher Vater barmherzig ist – und noch einmal, das, was Gott als barmherzig auszeichnet, liegt im Hebräischen im Wort rachamim, wörtlich: „Gebärmutter“ – ist also ein Inbegriff des Weiblichen. Und Jesus betont extra, dass sich dieses Erbarmen, diese Güte, diese Liebe sowohl auf das Böse als auch auf das Gute richtet. (V. 35)

Die Messlatte dieser göttlichen Liebe liegt wahrlich hoch! Und dann fordert Jesus uns ja auch noch auf, so zu lieben wie Gott es tut. Da hat unsere Kirche und ihre Gläubigen im Laufe der Geschichte diese Messlatte aber ganz gewaltig runter geschraubt und das christliche Leben an ganz anderen Dingen festgemacht. An den sonntäglichen Kirchgang, an ehelicher Treue, daran, dass wir nicht stehlen und nicht töten. Alles Dinge, die mit unserem menschlichen Körper verbunden sind und viel mit Selbstdisziplin zu tun haben. Alles Sachen, auf die wir, wenn wir sie einhalten, stolz sein können und die dabei vor allem die menschliche Überheblichkeit befeuern: Damit stärken wir unser menschliches Ego, jedoch kaum die Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Missverstehen Sie mich jetzt bitte nicht. Damit will ich nicht sagen, dass wir diese Regeln nicht brauchen, sondern auf die große und reale Gefahr hinweisen, dass wir die guten Regeln missbrauchen, die Gott uns gegeben hat. Denn er hat sie uns nicht gegeben, damit wir uns ihrer bedienen, um andere Menschen zu verurteilen, sondern um Schwache vor Starken zu beschützen. Sie sind sozusagen Krücken für unseren Mangel an Liebe.

Je größer der Mangel an Liebe (zu Gott und den Mitmenschen), desto größer auch die Gefahr, dass wir das bisschen, was wir Gutes tun, dazu missbrauchen, um uns über andere zu erheben und sie zu verurteilen.

Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir doch zugeben, dass es überall an Barmherzigkeit mangelt, sowohl außerhalb als auch innerhalb der christlichen Gemeinden. Was es dagegen massenhaft gibt, das sind, um mit Jeus zu sprechen, blinde Blindenführer – und um korrekt zu bleiben, auch blinde Blindenführerinnen – die aber für die Splitter im Auge des Gegenübers plötzlich ein ganz ausgeprägtes Sehvermögen besitzen.

Wie finden wir Heilung? Wie lernen wir, barmherzig zu werden? - Indem wir es machen wie der Blinde in der Gegend von Jericho. Er hat sich nicht länger von den anderen einreden lassen, dass es eine Unverschämtheit sei, so laut und eindringlich Jesus um Hilfe zu bitten. Er war bereit, alles auf eine Karte zu setzen und laut zu schreien, um Jesus auf sich aufmerksam zu machen.

Lassen wir es doch auch zu, dass unsere Sehnsucht, zutiefst mit Gott verbunden zu werden, wirklich groß wird. Geben wir der Sehnsucht Raum, uns an Gottes Kraftstrom der Liebe und der Barmherzigkeit zu hängen. Und sprechen wir es aus, dass wir uns wünschen, Gott und die Mitmenschen mit den Augen Jesu sehen zu können. Lassen wir uns nicht von denen entmutigen, die unser Vertrauen in Gottes Güte und Barmherzigkeit schwächen, sondern rufen wir nur umso lauter: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner. Mache mich sehend, öffne meine Augen für Gottes unendlich große Liebe, Güte und Barmherzigkeit. Wir haben das Versprechen Jesu: Ein gutes, fest gedrücktes, gerütteltes überfließendes Maß wird Gott euch in euren Schoß schütten. Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, erfülle unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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