Predigt vom Sonntag, 15.12.2019, Dritter Advent
Predigt zu Lukas 3, 3-18; 3. Advent, 15. Dezember 2019, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrerin Karin Lefèvre
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Liebe Gemeinde,
heute haben wir einen sehr langen Textabschnitt, der als Grundlage für die Predigt vorgesehen ist. Zum Glück sind es keine abstrakten Gedankengänge, denen zuhörend nur schwer zu folgen ist, sondern es ist eine spannende Erzählung mit viel wörtlicher Rede.
Um diesem Abschnitt gerecht zu werden, müsste ich entweder eine sehr lange Predigt von mindestens einer Stunde halten – keine Angst, das werde ich nicht tun, oder mich auf einige wenige wichtige Gesichtspunkte beschränken. Auch wenn das bedeutet, dass manches, was auch wichtig wäre, ungesagt bleiben muss.
Ich lese aus dem Lukasevangelium im 3. Kapitel:
3 Es ging das Wort Gottes an Johannes, der sich in der Wildnis aufhielt: Da ging er in alle umliegenden Gebiete des Jordans und verkündete eine Taufe des Umdenkens zur Vergebung der Sünden. 4 Wie es im Buch des Propheten Jesaja geschrieben steht.
Eine Stimme ruft in der Wildnis: Bereitet Gott einen Weg. Macht seine Pfade gerade! 5 Jede Schlucht soll aufgefüllt werden und jeder Berg und Hügel soll niedrig gemacht werden. Krumme Wege sollen begradigt und holprige Wege sollen geebnet werden! 6 Und alles, was lebt, soll Gottes rettende Tat sehen.
7 Johannes sprach zu der Menschenmenge, die aufgebrochen war, um sich von ihm taufen zu lassen: „Ihr Natternbrut, wer hat euch beigebracht, dem drohenden Zorn Gottes zu entkommen? 8 Bringt nun Früchte hervor, die der Umkehr angemessen sind, und fangt nicht an, euch einzureden: wir haben ja Abraham als unseren Vater und Sarah als unsere Mutter. Ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Abraham und Sarah Kinder erwecken. 9 Die Axt liegt schon an der Wurzel der Bäume. Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“
10 Die Scharen von Männern und Frauen fragten ihn immer wieder: „Was sollen wir tun?“ 11 Er antwortete ihnen dann folgendermaßen: „Wer zwei Kleidungsstücke hat, soll eines davon demjenigen geben, der keines hat. Und die zu essen haben, sollen genauso handeln.“
12 Auch Zöllner kamen, um sich taufen zu lassen und fragten ihn: „Lehrer, was sollen wir tun?“ 13 Er gab ihnen zur Antwort: „Seid nicht auf mehr aus als es Vorschrift ist.“ 14 Es fragten ihn aber auch Soldaten: „Was sollen wir tun?“ Zu ihnen sagte er: „Keine Gewalttaten, keine Erpressungen – und begnügt euch mit eurem Sold!“
15 Da das Volk aber Hoffnungen hatte, und alle sich Gedanken darüber machten, ob Johannes vielleicht der Christus bzw. der Messias sei, 16 sagte Johannes zu allen: „Ich tauche euch in Wasser ein. Es kommt aber einer, der ist stärker als ich. Ich bin nicht gut genug, ihm die Riemen seiner Schuhe zu lösen. Er wird euch mit heiliger Geisteskraft und Feuer taufen.“ 17 Der Fürst Herodes aber, der von ihm wegen der Herodias zurecht gewiesen wurde, der Frau seines Bruders, und wegen all der Verbrechen, die Herodes getan hatte, 18 fügte zu allem noch diese hinzu: Er ließ Johannes ins Gefängnis sperren.
Liebe Gemeinde,
diejenigen, die treu fast jeden Sonntag hier sind, bitte ich um Nachsicht, wenn ich etwas vorausschicken muss, das ich schon einige Male erzählt habe. Doch da es für unser Verständnis der Bibel enorm wichtig ist, muss ich noch einmal kurz darauf zu sprechen kommen. Es geht um unser Verständnis dessen, wie wir mit den Worten der Bibel umgehen sollen. Mit dem Zeitalter der Aufklärung begann viel Gutes – aber nicht grundsätzlich und überall. Im Umgang mit heiligen Texten kam es zu einer traurigen Engführung auf das Wörtliche. Über zwei Jahrtausende lang hatten Menschen heilige Texte mit einem viel weiteren Verständnis gelesen und bedacht. In der Kirche war bis dahin eine vierfache Betrachtung der Schrift völlig normal gewesen – wobei dem wörtlichen Verständnis die oberflächlichste Bedeutung zugemessen wurde. Doch nur die bekam seit der Aufklärung die Deutungshoheit. Vieles Gute ging verloren. Wir wollen versuchen, heute ein wenig auf Schatzsuche zu gehen und tiefer zu schürfen.
Beginnen wir mit den Zeilen, die zwei bekannte Adventslieder, die wir heute auch schon gesungen haben, aufnehmen:
Alle Täler sollen erhöht werden und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden. Was krumm ist, soll gerade werden und was rau ist, soll eben werden. - Alles Hohe soll erniedrigt werden. Alles Niedrige emporgehoben, damit Gott in dieser Welt für alle sichtbar werden kann. Maria, das einfache, schlichte jüdische Mädchen, hat begriffen, was damit ganz konkret gemeint ist. Wir singen ihre Worte an jedem Wochenende in der Vesper: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und die Niedrigen erhöht er. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Die Trumps, Putins, Erdogans, Bolsonaros, Orbans, Xi Jingpings – um nur einige der Mächtigen unserer Zeit zu nennen, deren Regierungsstil und deren Entscheidungen uns Angst machen - sie sind vergänglich und werden in wenigen Jahrzehnten nur noch eine blasse Erinnerung sein. Das gilt auch für die etwas weniger Mächtigen, deren Lobbyisten auf die Regierung Einfluss nehmen, um Kohlekraftwerke, Autobetriebe und Landwirtschaft so weiter machen zu lassen wie bisher, weil deren Gewinne nicht geschmälert werden dürfen und weil doch die anderen mit dem Umweltschutz anfangen sollen, bei denen es nicht so sehr um Gewinne und Arbeitsplätze geht. Na ja, eigentlich reden wir alle doch so! Haben wir alle doch bedeutend mehr als nur einen Satz Kleidungsstücke und wollen trotzdem nur ungern abgeben.
Da ist für mich die Versuchung groß, angesichts der vielen Ungerechtigkeiten unserer Welt in die Worte des Johannes einzustimmen: Ihr Natternbrut, wer hat euch beigebracht, dem drohenden Zorn Gottes zu entkommen? - Lässt sich wirklich so begreiflich machen, dass Gottes Liebe den Armen und Ohnmächtigen gilt, den Verletzten, den Hungernden, den Flüchtlingen, den Opfern dieser Welt? - Ihr Schlangenbrut, ihr Otterngezücht!
Erschrecken wir darüber, dass wir nur allzu oft so denken? Macht es uns wenigstens nachdenklich? - Schauen wir doch einmal mit etwas größeren Abstand auf unseren Predigtabschnitt und erweitern so unseren Horizont. Blicken wir bis auf das siebte Kapitel. Da hören wir nämlich noch einmal von Johannes, der im Gefängnis sitzt und dem Zweifel kommen, ob er richtig liegt mit seiner Einschätzung seines Cousins Jesus. Darum schickt er seine Jünger zu ihm, die versuchen sollen, diese Herzensfrage zu klären. Jesus gibt eine Antwort, die Johannes trösten und ermutigen soll.
Doch nachdem die Boten weg sind, redet Jesus über Johannes und beendet seine Rede mit der Feststellung: „Ich sage euch, dass unter denen, die von einer Frau geboren sind, keiner größer ist als Johannes. Aber der Kleinste im Reich Gottes ist größer als er!“
Das verstehen wir wirklich nur, wenn wir das Ganze in den Blick bekommen! - Johannes der Täufer war der letzte Märtyrer vor Jesus. Dann kommt Jesus – also der, der sein Leben riskiert, um den einen Verlorenen oder die eine Verlorene zu suchen, zu finden und nach Hause zu tragen. Jesus, der das ewige Spiel von Opfern und Tätern einfach nicht länger mitspielt, weil Jesus noch im Sterben denen vergibt, die ihm das zugefügt haben. Jesus, der radikal und absolut Liebe verkörpert, bis in den Tod hinein und darüber hinaus.
Es lohnt sich, zum Schluss noch einen kurzen vergleichenden Blick auf den ersten Märtyrer nach Jesus zu werfen: auf Stephanus. Auch er wird von Mächtigen getötet. Diesmal nicht von den weltlichen Mächtigen, sondern von den Mächtigen der „Religionsbehörde“. Es wird ausdrücklich betont, dass sie den Hass und die Wut, die sie erfüllen, als „heiligen Hass“ im Dienste Gottes verstehen, als sie Stephanus steinigen. Von Stephanus aber heißt es: „Er rief den Herrn an und sprach: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ und: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“
Ich hoffe, wir alle spüren den Unterschied, den Jesus auslöst! In diese Bewegung sollen auch wir mit hinein genommen werden.
Stephanus hat, weil er das ganze Leben Jesu kannte, den entscheidenden Schritt über Johannes den Täufer hinaus gehen können. Er hat gelernt, dass jede Wut, auch scheinbar heilige Wut, die Gesichtszüge verzerrt und uns auf dieselbe Ebene zieht, wo auch unsere „Feinde“ sind und uns ihnen gleich macht.
Das Reich Gottes aber steht für die Überwindung allen Hasses. Das Reich Gottes ist ein Reich der Liebe, in dem Vergebung den Boden bereitet, auf dem wir alle gemeinsam leben.
Wo das Reich Gottes uns umfängt, hat sich unser Horizont unendlich erweitert, in Liebe erweitert. Darum ist der Kleinste im Reich Gottes größer als Johannes. Darum wird im Reich Gottes das Hohe erniedrigt und das Niedrige erhöht, das Raue weich und das Krumme gerade.
In der Adventszeit werden wir daran erinnert, dass wir uns schon in diesem Leben, in dieser Welt entscheiden können, dass wir zumindest anfangen, wie Bürgerinnen und Bürger in Gottes Reich zu leben. Und dann kann sich wirklich etwas zum Besseren verändern. Amen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was unsere Vernunft denken und sagen kann, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
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