Predigt vom 19. Sonntag nach Trinitatis, 27.10.2019

Predigt zu Johannes 5, 1-16 (Reihe I neu); 19. Sonntag nach Trinitatis, 27. Oktober 2019, 9.30 Uhr; Neuendettelsau, St. Laurentius; Pfarrer Peter Schwarz

Liebe Gemeinde,

Thomas Mann beschreibt in seinem Roman „Der Zauberberg“ eine Lungenheilanstalt in den Schweizer Bergen - ein der Wirklichkeit entrückter Ort, an dem Menschen, die sich allesamt den Aufenthalt in dieser luxuriösen Umgebung leisten können, die Beschwerden ihrer Lungen kurieren. Im Lauf der Erzählung wird deutlich, dass die eigentliche Krankheit der Menschen in diesem Sanatorium nicht das Lungenleiden ist. Sie alle leiden – jeder und jede auf seine Weise - an dem, was sie mit sich herumtragen: an ihren Lebensgeschichten, ihren Charakteren, an Lasten der Vergangenheit oder an der Angst vor der Zukunft. Das alles enthüllt sich auf fast magische Weise auf diesem Zauberberg.

Es gibt Orte, wo Krankheiten sichtbar werden und wo sie - anders im Zauberberg - auch geheilt werden. Solch ein Ort ist der Teich Bethesda. Sein Wasser hat im Glauben der Menschen eine heilende und von Sünde reinigende Wirkung.

Wo ist Bethesda? Lange haben Theologen an der Existenz dieses Ortes gezweifelt. Eine Konstruktion des Evangelisten sei dieser zauberische Teich, eine Hilfe, um Jesus als Heiland zu verkünden - und dann stießen im Jahr 1888 französische Archäologen bei Grabungen neben einer Kirche aus der Zeit der Kreuzfahrer auf Überreste einer noch älteren Kirche. In der Krypta entdeckten sie Überreste eines Freskos, das einen Engel zeigt, der Wasser in Bewegung setzt. Unterhalb der Krypta fanden die Archäologen die Umfassungsmauern zweier miteinander verbundener Teiche, die offenbar an den vier Seiten von einer Säulenhalle umgeben waren. Bethesda - also doch kein Zauberberg, sondern ein realer Ort. Hier also ereignet sich die Heilung. Hier liegen Menschen, die sich Linderung oder Heilung erhoffen - unter ihnen auch dieser eine Mann, der schon fast 40 Jahre wartet. Denn diesen Ort und den Teich umgibt ein Geheimnis. Zu bestimmten Zeiten, so weiß es der Volksglaube, erscheint ein Engel und berührt das Wasser. Für den, der es schafft, in diesem Moment hineinzusteigen, entfaltet es seine heilende Wirkung.

Das Thema Gesundheit ist auch unter uns eines der ganz großen Themen - in unzähligen Gespräche reden wir darüber, ganze Bibliotheken werden darüber geschrieben und den Satz: „Hauptsache gesund, denn Gesundheit ist das höchste Gut“ hört man in vielen Gesprächen. Gesund zu werden, Heilung zu erfahren, bedeutet ja nicht zuletzt: Ich gehöre wieder zu den anderen, den Gesunden, habe wieder meinen Platz in der Gesellschaft. Kann es etwas Wichtigeres geben?

Im schon erwähnten Zauberberg wird im Laufe der Erzählung deutlich, dass die Hauptfiguren der Erzählung gar nicht gesund werden wollen. Sie haben sich mit ihrem Leiden arrangiert, sich sozusagen in ihrer Krankheit eingerichtet. Krankheit verleiht in der Tat eine eigenartige Würde: Man wird beachtet, umsorgt und gepflegt. Krankheit als sozialer Status - auch das gibt es. Ob es auf diesen Kranken am Teich Bethesda zutrifft, wissen wir nicht - aber es ist immerhin bemerkenswert, dass Jesus ihn fragt: Willst du gesund werden? Ganz oft beginnt Jesus mit dieser Frage: Was willst du? Er fällt nicht mit der Tür ins Haus, drängt sich nicht auf, er drängt die Heilung nicht auf.

Der Gelähmte antwortet auf die Frage Jesu nicht mit einem eindeutigen „Ja, ich will!“. Vielmehr spricht er davon, dass er immer wieder zu spät kommt zum Wunder der Wasserheilung. „Ich habe keinen Menschen.“ So beginnt seine Antwort, und während er sein Leben Jesus erzählt und dieser ihm zuhört, beginnt schon die Heilung. Aus dieser Lebensgeschichte hört Christus die tiefe Sehnsucht heraus: Ja, ich möchte, aber ich kann es nicht, mir gelingt es nicht. Wo so eine Wahrheit ausgesprochen werden kann, ohne dass ein „Ja, aber ...“ folgt, beginnt Heilung. Das können wir von Jesus, dem Heiler lernen: Was einen Menschen wirklich bewegt und umtreibt, erfährt nur, wer Geduld und Zeit mitbringt, und das helfende Gespräch ist vor allem eines: geduldiges Zuhören.

Doch dann ein knapper und eindeutiger Befehl: „Steh auf, nimm dein Bett und geh!“ Das Evangelium hält sich nicht damit auf, zu beschreiben, wie das nach 38 Jahren bewegungslosem Liegen gehen kann. "Steh auf!", nur dieser eine Satz, dieses eine Wort bringt den Gelähmten buchstäblich auf die Beine. Handle jetzt, wage den einen, entscheidenden Schritt aus deiner Hilflosigkeit. Das Wort Christi ist Ruf ins Leben und ist Kraft zum Aufstehen. Die Kraft seiner Auferstehung steht hinter diesem Wort.

Wie ein Siegeszeichen soll der Kranke die Matte, auf der er so lange gelegen und gelitten hat, mitnehmen: „Nimm dein Bett“. An diesem Bett hängt die Erinnerung an enttäuschte Hoffnung, an vergebliches Warten und verlorene 38 Jahre. Nimm das alles mit, und geh damit hinaus. Fort aus der Säulenhalle und hinein in ein neues Leben. Hinaus zu den Menschen, und nimm dein Bett mit. Damit beginnt ein neuer Abschnitt in diesem Leben. Weg von diesem zauberischen Ort und hinein in ein neues Leben.

Freilich, und das wissen alle, die lange krank und damit ausgeschlossen waren: Der erste Schritt ist noch lange nicht der ganze Weg. Auf dem Weg zurück in ein normales Leben begegnet er zuerst der Kleinkariertheit seiner Mitmenschen: „Warum trägst du dein Bett am Sabbat?“. Er soll sich rechtfertigen dafür, dass er tut, was Jesus ihm aufgetragen hat – und weiß doch nicht einmal, wer der ist, der ihn auf die Beine gebracht hat. Heilung ist auch Konfrontation mit der Wirklichkeit: Du musst Rede und Antwort stehen, trägst nun Verantwortung für dein Leben.

Dann begegnet ihm im Tempel Christus noch einmal und spricht zu ihm: „Sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Ärgeres widerfahre!“ Ein Satz, der ganz viele Fragen offen lässt. Wie ist das mit dem Zusammenhang zwischen Schuld und Krankheit, zwischen Sünde und Leiden? Die Antwort des Glaubens hat hier viele Facetten, und hier gibt es keine Antwort für jede Gelegenheit. „Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Ärgeres widerfahre!“ Wenn Christus so zu dem Geheilten spricht, soll er wissen: Dir ist mehr widerfahren als eine körperliche Heilung. Du hast Vergebung empfangen, denn du bist dem begegnet, der gekommen ist, um dich und alle Welt von der viel tödlicheren Krankheit der Sünde zu heilen.

„Geh hin und sündige hinfort nicht mehr“ - wir dürfen da zweierlei hören. Zum einen: Nimm dein Leben in die Hand! Und zum andern: Geh deinen Weg im Angesicht Gottes, lebe so, dass du dich nicht verstecken musst vor ihm. Der Weg der Heilung und Vergebung führt hinaus – hinaus aus der Säulenhalle beim Teich Bethesda, ja zuletzt sogar aus dem Tempel hinaus. Das heilbringende Wasser braucht es nicht mehr, denn in dem Menschen, der dieses Wort hört, fließt jetzt eine andere, eine lebendige Quelle: Vergebung und Vertrauen. Jesu Wort und sein Geist lassen diese Quelle sprudeln. Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers ausgehen, auch das ein Wort, das uns der Evangelist Johannes überliefert.

Noch einmal zurück zum Tempel: Dort trifft der Mann aus dem Evangelium zum zweiten Mal Jesus. Dorthin ist er, der gerade Geheilte, gegangen, sei es, um Gott für seine Genesung zu danken, sei es, um das Fest mitzufeiern, das in diesen Tagen dort gefeiert wird. Vermutlich das Passafest, das höchste der Feste, an dem die Lämmer geopfert werden. Doch er kann und er soll nicht im Tempel bleiben.

Denn der Tempel ist der Ort für die Opfer, und ein Opfer ist der Geheilte jetzt nicht mehr. Er ist nicht mehr Opfer seiner verpassten Chancen, nicht mehr Opfer der mitleidigen Blicke oder von misstrauischen Fragen. Die Begegnung mit Christus macht unseren menschlichen Opferrollen ein Ende. Jesus Christus selbst gibt sich zum Opfer hin - das macht den Tempel überflüssig und das befreit uns von allen Opferrollen. Die Hingabe Christi, sein Opfer, ist die wahre Quelle des Heils. Und sie ist das Ende aller blutigen Opfer.

Das hilft auch uns auf die Füße und bringt uns auf den Weg ins Leben.

Pfr. Peter Schwarz, Diakoneo

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