Predigt vom Sonntag, 05.08.2018

Predigt über Jesaja 62, 6-12 (Reihe IV)

10. Sonntag nach Trinitatis, 05.08.2018, St. Laurentius

Pfarrer Peter Schwarz

Die Sehnsucht nach der Wiederherstellung Jerusalems wird sehr bewegend in einer Geschichte beschrieben, die man sich von Reb Nachman von Brazlaw erzählt: Der fromme Mann versandte die Einladung zur Hochzeit seiner Tochter mit folgendem Wortlaut: „Die Hochzeit meiner Tochter wird an diesem und jenem Tag in der heiligen Stadt Jerusalem stattfinden“. Ein Sternchen neben dem Wort Jerusalem weist auf eine Fußnote am Ende der Einladung hin, die lautet: „Wenn in der Zwischenzeit der Messias nicht gekommen ist, wird die Hochzeit in Brazlaw stattfinden.“

Diese liebenswerte Anekdote zeigt, dass Jerusalem ein Sehnsuchtsort ist, der Ort, an dem Gottes Volk zu sich findet, weil es wieder in der Gottesstadt zu Hause ist.

Uns lädt dieser Sonntag dazu ein, zu feiern, dass wir Gottes Volk sind, das Volk, das er sich zum Erbe erwählt hat. Am 10. Sonntag in der Trinitatiszeit geht es einmal mehr um die Freude über diese Tatsache. Es ist ein Grund zur Freude, dass wir von Gott zu seinem Volk berufen sind. Ein Grund zur Freude, ein Grund zum Dank, aber kein Grund zum Triumph.

Denn dieser Sonntag erinnert auch an das Schwere, das dem Volk Gottes widerfahren ist, dem ersten und alten Volk Gottes, nämlich Israel. Im August des Jahres 587 v. Chr. wurde die Stadt Jerusalem von den Truppen Nebukadnezars zerstört. Nach dem einhelligen Zeugnis des Alten Testaments kein blindes, unverständliches Schicksal, sondern die logische Folge dessen, dass dieses Volk und seine Führung sich konsequent geweigert hatten, auf Gott und seine Weisungen, die durch den Mund der Propheten ergingen, zu hören.

Wenn wir, die ihren Glauben verbunden wissen mit dem Glauben Israels, uns dieses Ereignis und das Geschick Israels heute ins Gedächtnis rufen, dann ist es für uns eine Mahnung. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir Gottes Volk sein können. Es ist sein Geschenk, eine Gabe Gottes an uns. Und es ist auch eine Aufgabe, immer wieder auf ihn zu hören, immer wieder auf die Stimmen zu hören, die Gott auch unserer Zeit schenkt.

So hat dieser Sonntag zwei Brennpunkte, er ist gleichsam eine Ellipse; alles kreist um zwei Pole: um die Freude darüber, dass wir Gottes Volk sind, und den Schmerz darüber, dass davon so wenig zu sehen ist.

Freude und Schmerz, sie bleiben in einem unaufhörlichen Dialog, in einem nicht endenden Gespräch miteinander. Wir hören hinein in dieses Gespräch, wenn Jesus im Evangelium über Jerusalem und die Menschen in dieser Stadt klagt: „Ach, dass du doch erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient.“ 

Wer könnte diesen Schmerz Christi nicht nachfühlen angesichts der Bilder, die uns aus der Stadt Jerusalem bis heute erreichen, Bilder von immer neuer Gewalt und unversöhnlichem Hass auf allen Seiten. Die Klage Jesu ist aktuell bis in diese Stunde hinein.

Und in der Epistel hören wir das Gespräch des Apostels Paulus, sein Ringen mit Gott und mit sich selbst. Er findet sich zwischen allen Stühlen wieder: Er gehört zum ersten Volk Gottes, und doch muss er erleben, dass sich dieses Volk dem Wort Gottes verschließt, dem Wort, das in Jesus Christus Mensch geworden ist. Große Traurigkeit und Schmerzen empfindet er ohne Unterlass in seinem Herzen. Dabei geht er sogar so weit, dass er sich selbst wünscht, von Christus getrennt zu sein, nur damit Israel, sein Volk, wieder auf die Stimme Gottes hört und zu Christus findet.

Wir hören Jesus und seinem Apostel in ihrem Gespräch zu und werden dabei vielleicht an so manche Zerrissenheit erinnert, die wir angesichts der Zerrissenheit um uns und manchmal auch in uns selbst erleben: nicht zuhören wollen oder können, unfähig sein zum Gespräch, ein Unverständnis, das immer neue Mauern aufrichtet.

Vielleicht gibt es zunächst keinen anderen Weg, als dass wir diese Spannungen aushalten und dabei nicht aufhören zu hören, nämlich auf Gott und die Stimmen der Menschen. Denn das ist bleibende Aufgabe des Volkes Gottes: nicht aufhören zu hören.

Ja, wir sind ein Volk, das aus dem Hören lebt. Wir leben aus dem Hören und wir leben aus dem Hören aufeinander. Darin liegt alle Hoffnung, eine Hoffnung, die keine Ruhe findet, bis auch Gott selbst hört.

„Ihr sollt den HERRN erinnern, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichtet und es zum Lobpreis setzt auf Erden!“

Da sind Wächter, Menschen, die dazu berufen sind, dass sie zum Wachsein rufen. Keine Ruhe sollen sie geben, die Menschen, und sogar Gott selbst sollen sie wachrütteln. Solche Menschen braucht es im Volk Gottes: Menschen, die keine Ruhe geben, die sich nicht damit abfinden, dass die Dinge nun mal so sind wie sie sind.

Damals durften sie sich nicht abfinden mit der Hoffnungslosigkeit in Jerusalem und seiner Umgebung, heute braucht es Wächter, die uns wachhalten, damit wir uns nicht abfinden mit dem hoffnungslosen Leid unserer Zeit.

Eigenartige Wächter sind es, die hier rufen. Nicht weniger eigenartig ist ihre Aufgabe: Gott selbst hat sie eingesetzt, damit sie ihn erinnern an seine Zusage, dass es um Leben und Zukunft gehen soll. Sie sollen IHN selbst erinnern, an seine Verheißung: Leben und Zukunft für die Menschen. Daran will Gott erinnert werden.

Das ist Geheimnis des Gebets: Gott und seine Verheißungen wachrufen, damit sie wahr werden. Indem wir beten, rufen wir Gott wach, rufen auch uns selbst wach, mit unserer Sehnsucht nach Leben und Zukunft. Gebet faltet die Hände, aber sie legt sie nicht in den Schoß. Bereitet auch ihr den Weg, räumt auch ihr die Hindernisse weg, richtet auch ihr ein Zeichen auf für die Völker.

Das Gebet ist nicht nur Bitte, es ist immer auch Lob: Jerusalem soll zum Lobpreis werden.

Wieder also Jerusalem. Dort ist wie in einem Brennpunkt das alles zusammengefasst: die Verheißung Gottes und sein Lob, alle Sehnsucht, die Menschen haben. Ja, Gott will an Jerusalem erinnert werden und an seine Verheißung für diese Stadt und die Menschen, die dorthin kommen. Jerusalem ist im ersten wie im neuen Bund der Ort und Brennpunkt aller Verheißung, eine Stadt, zu der die Geschlagenen und Umherirrenden kommen dürfen, wo sie Leben und Zukunft finden. Es ist der Ort, wo Gott gelobt und verherrlicht wird. In Jerusalem wohnt Gott unter dem Lobpreis seines Volkes.

Umso bitterer, dass in Jerusalem bis auf diese Stunde gekämpft wird, mit Worten, mit Messern und Bomben, mit Mauern und Schikanen mitten in Jerusalem. „Ach, dass du erkenntest, was zum Frieden dient.“

Das Ringen um Jerusalem ist noch nicht zu Ende, es ist noch in vollem Gange. Noch ringen wir um ein Zeichen für die Völker, um Heimat und Sicherheit für alle.

Können wir Christen da feiern, können wir uns darüber freuen, dass wir das Volk sind, das Gott sich zum Erbe erwählt hat? Die Antwort heißt Ja und Nein.

Ja, wir können und dürfen uns freuen, weil wir wissen, dass wir Gottes Volk sind, das ist erst der Anfang. Bei Gott ist Raum für alle Menschen. Dafür steht Jerusalem, dafür steht die Kirche, dafür steht unsere Gemeinde, das feiern wir heute und in jedem Gottesdienst. Bei Gott ist Raum und Leben und Zukunft für alle Menschen. Gott wohnt unter dem Lobpreis seines Volkes.

Aber auch Nein: Nein, wir können und wollen nicht Gottes Volk sein auf Kosten der anderen. Nein, wir wollen uns nicht abschotten und einigeln mit dem Glück und den Gaben, die Gott uns unverdient schenkt. Auch das Lob Gottes hält die Sehnsucht wach, dass Jerusalem zum Ort wird, wo alle Menschen zu Hause sind.

Zukunftsmusik?

Vorläufig werden wir auch wir noch ein Sternchen unter unsere Einladung machen müssen wie der fromme Nachman von Brazlaw: Die nächste Feier des Volkes Gottes wird am Kirchweihsonntag hier in der Laurentiuskirche stattfinden, wenn nicht inzwischen der Messias wiederkommt.

Pfr. Peter Schwarz, St. Laurentius, Neuendettelsau

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