Predigt von der Christmette am Heiligen Abend 2020

Predigt zu Jesaja 11, 1-10; Christmette am Heiligen Abend, 24. Dezember 2020; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfarrer Oliver Georg Hartmann

P Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

G Amen.

Lasst uns in der Stille um den Segen aus Gottes Wort bitten. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

vor drei Jahren hatte Klaus das ganze Anwesen erst gekauft: Gastwirtschaft, Hotel, Küche, hatte Leute eingestellt und investiert, sich abgemüht und nun das: Corona, Zwangspause, Krise. Klaus hat alle seine Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, aber das löst ja die Kredite nicht ab, die liefen und liefen und laufen. Und Irene, seine Frau, hängt in allem mit drin, hatte ihren Job als Krankenschwester an den Nagel gehängt, wenn dann nur zusammen, Familienbetrieb eben. Das war immer ihre Devise, wenn dann nur zusammen, und nun saßen sie zusammen da, mit nichts.

Ich weiß nicht, wie Klaus und Irene dieses Weihnachten feiern. Aber ich vermute, vielen, sehr vielen wird es ähnlich gehen. Dieses Weihnachten ist anders, anders als die vielen Weihnachten der letzten Jahre.

Fällt Weihnachten aus?

Vielleicht fühlen das viele Menschen an diesem heutigen Abend, an Heilig Abend. Kann ich heuer wirklich Weihnachten feiern? In dieser Situation? Eingesperrt und einsam? Umgeben von Dunkelheit und Angst? Unsicherheit und Furcht? Ärger und Zorn?

Wenig feierlich war es sicher auch Jesaja zumute, als er unseren heutigen Predigttext verfasste. Seine Zeit war eine Zeit der Kriege und Krisen. Von Norden her war die assyrische Weltmacht in den Raum Palästina vorgestoßen. In wenigen Jahren war die Landkarte gründlich verändert worden. Das Königshaus lag in dunkler Nacht, als dieser Text um 700 vor Christus geschrieben wurde. Israel war am Boden zerstört; nur noch ein unscheinbarer Stummel ist übrig geblieben. Nur ein ganz kleiner Rest ist der Gewalt entronnen. Die Supermacht der Assyrer hat das unbotmäßige Juda, das keine Steuern mehr zahlen wollte, radikal und brutal beschnitten.

Kann ich heuer wirklich Weihnachten feiern? In dieser Situation? Eingesperrt und einsam? Umgeben von Dunkelheit und Angst? Unsicherheit und Furcht? Ärger und Zorn?

Jesaja würde gerade dies bejahen. Inmitten aller Dunkelheit entwirft er die Hoffnung des Glaubens. Die Hoffnung wird ein Grundzug seiner Theologie: Jesaja wartet auf Gott, der sein Angesicht vor Jakobs Haus verborgen hat, und harret seiner. Gerade im Dunkel, wenn er den Zorn Gottes über Jakob schweben sieht, wenn sich kein Ausweg anbahnt, kein Licht leuchtet, klammert er sich an die Hoffnung, die sich von seinem Glauben nicht ablösen lässt. Er vertraut Gott, auch wenn er ihn nicht versteht, und ruht in ihm.

Fällt Weihnachten aus?

Angesichts der Berichterstattung und Gefühlslage, die ich wahrnehme, bin ich fast geneigt zu sagen: Ja, Weihnachten fällt aus. Wie sollte es auch gehen? Ohne Weihnachtsmarkt und Punsch. Ohne Familienfeiern. In überfüllten Krankenhäusern.

Ja, Weihnachten fällt aus. Wie sollte es auch gehen? Ohne Hoffnung. Verloren. Nur auf mich geworfen. Leben ohne Gott. Ohne Perspektive. Leben inmitten einer Gesellschaft und Medizin, die mit dem Tod nicht umgehen kann und die Isolation der Begegnung vorzieht. Eine Gesellschaft, die am Schicksal, der Zufälligkeit allen Lebens zerbricht und die Grenzen menschlicher Möglichkeiten nicht anerkennt.

Jesaja hielt an seiner Hoffnung fest. So fest, dass sich die Hoffnung über Generationen erhalten konnte. Im Jahre null wird diese Hoffnung mit der Geburt Jesu von Nazareth in Bethlehem und mit seinem Wirken in Verbindung gebracht. Die Menschen, die versuchten, zu begreifen, wer Jesus von Nazareth ist, griffen auf diese alte Hoffnungsverheißung zurück. Das Kind, das im Stall von Bethlehem geboren war, ist nicht nur ein Kind, sondern in ihm kommt Gott selbst in diese Welt: Unscheinbar und klein. Nicht im Palast, sondern im Stall. Nicht allmächtig, sondern verletzlich. In Christus erfüllten sich die Heilsankündigungen Jesajas. ER ist der neue König, der Sohn Davids, aus dem Haus des Stammvaters Isai. Dieser ist es, der da kommen soll, er repräsentiert den neuen Geist Gottes. Im Wirken der Person Jesu entdeckten die Jünger genau diese Werte: Mitten in einer dunklen Welt wird ein Kind geboren, es ist der Keim einer großen Hoffnung und einer umfassenden Veränderung.

Fällt Weihnachten aus?

In dieser Hoffnung kann Weihnachten gar nicht ausfallen: Gott ist nicht fern von den Menschen, sondern mitten unter ihnen, in jeder Stunde des Lebens, in den dunklen Tälern und in den hellen Freudenstunden. Im Kind in der Krippe sehen wir: Wir sind gebrechliche, fehlbare, hilflose, erlösungsbedürftige und gebeutelte Wesen aus Fleisch und Blut.

Wir sind einfach nur Menschen. Aber Menschen, derer Gott sich annimmt. Gott wird Mensch, damit die Lichter der Hoffnung nicht erlöschen, auch wenn alle Lichter um uns herum ausgehen. Das feiern wir an Weihnachten, aber nicht nur heute, sondern jeden Sonntag. Gott kommt uns nah. Gott ist der Überwinder des Todes. Gott ist der Herrscher der Welt. Ja, dieser Welt, wie grausam sie auch sein mag. In einer Welt, in der ich Gott oft nicht spüren kann.

Vielleicht habe ich heute Angst. Besonders heute, weil die Welt viel ruhiger ist als an anderen Tagen. Weil ich nicht weiß, wie es weiter gehen soll.

Aber es ist dir versprochen: Und es wird geschehen zu der Zeit, dass die Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Völker fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein.

P Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

G Amen.

Pfarrer Oliver Georg Hartmann, Diakonisch-Theologischer Dienst


Verwandte und zitierte Literatur:

Jahn, Kristin: Der brüllende Löwe (Jes. 11,1–10 - 24.12.2020 - Christvesper), in: Göttinger Predigtmeditationen 75 (2020), 50–56.

Jeremias, Jörg: Theologie des Alten Testaments, Göttingen 2015.

Kaufmann, Thomas: Das Singen ist uns allen vergangen. Weihnachten in Pandemiezeiten legt die Unfähigkeit offen, mit Widerfahrnissen umzugehen. Wir sind kontingenzintolerant, in: FAZ vom 24. Dezember 2020, Seite 7.

Oeming, Manfred: Christmette 2016, 17.00 Uhr in der Peterskirche Heidelberg, Predigt über Jes. 11,1-10.

Proksch, Otto: Theologie des Alten Testaments, Gütersloh 1950.

Ristow, Helmut (Hg.): Ich bin bei euch alle Tage. Predigtgedanken aus Vergangenheit und Gegenwart. Reihe E, Berlin 1974.

Schreiber, Stefan: Die Corona-Spaltung ist das Gift. Wie Wissenschaft, Kirchen und Politik versagen: Der Lockdown verhindert ein dringend nötiges Eingeständnis, in: FAZ vom 17. Dezember 2020, Seite 13. 

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