2. Fastenpredigt am Sonntag Reminiszere, 8. März 2020

Predigt zu Römer 5, 1-5; Sonntag Reminiszere, 8. März 2020, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; MdL Alexandra Hiersemann

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gemeinde,

als ich vor Monaten angefragt wurde, ob ich an der Reihe der Fastenpredigten dieses Jahr teilnehmen wolle, schien der heutige Termin noch unendlich weit weg. Natürlich habe ich mich geehrt gefühlt und mich auch über das so schöne Grundthema gefreut: „Weil wir das Leben lieben“. Und ich dachte mir, das wird schon irgendwie werden. Heute, das gestehe ich ein, ist es nun doch etwas aufregend angesichts einer neuen Rolle für mich an diesem für mich nicht alltäglichen Ort, an dem ich stehe.

Dies gilt umso mehr, als ich in der Gruppe der diesjährigen Fastenprediger nun doch in vielfacher Hinsicht eine Exotin bin. Zum einen hat mein Beruf und meine Ausbildung nichts mit der Theologie zu tun, nicht einmal im weitesten Sinne. Zum anderen sind sowohl mein Beruf als Rechtsanwältin als auch mein politisches Mandat im Bayerischen Landtag derzeit aus Sicht vieler Menschen alles andere als ganz oben in der Liste der beliebten Berufe.

Und schließlich bin ich die einzige Frau in der Viererrunde der Fastenprediger in diesem Jahr. Das macht mich übrigens nicht zur Quotenfrau, sondern zeigt vielmehr, wie klug und weise die Redner und Termine ausgewählt wurden, denn heute ist der internationale Frauentag. Entstanden Anfang des letzten Jahrhunderts in Amerika, als Textilarbeiterinnen für Gleichberechtigung, gegen Kinderarbeit und unmenschliche Lebens- und Arbeitsbedingungen auf die Straße gingen. Sie kämpften gegen Not und Unterdrückung und sie sangen von ihrer Hoffnung auf Brot und Rosen.

Auch Paulus spricht in seinem Brief an die Römer (Römerbrief 5, Verse 1 – 5) von Bedrängnis und von Not, von Geduld und von der Hoffnung auf die Liebe Gottes.

Dass ich mir vor Monaten diesen Text ausgesucht hatte, ohne zu wissen, dass es der heutige Predigttext ist, das war ein Zufall, oder wie immer man das nennen mag. Denn ich wollte gern über gesellschaftlichen Frieden sprechen, aber auch über Not und über Hoffnung. Beides habe ich sehr direkt in den letzten Jahrzehnten erlebt – sowohl bei mir persönlich als auch bei anderen Menschen.

Paulus schreibt zu Beginn: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus. Durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird.“ Was aber bedeutet ein solcher Frieden für uns Christen? Was bedeutet er, wenn andere Christen und Angehörige anderer Religionen nicht in Frieden leben können? Was ist die Realität?

Am heutigen Sonntag „Reminiszere“ erinnert die evangelische Kirche auch an verfolgte Christen, deren Zahl in den vergangenen Jahren weltweit drastisch gestiegen ist. Schätzungen gehen von bis zu ca. 100 Millionen Christen aus, die wegen ihres Glaubens verfolgt und diskriminiert werden. Aber in diesem Gedenken habe ich kein ruhiges Gewissen, ohne auch die zu sehen, die einer anderen Religion angehören, oder keiner Religion, und die auch verfolgt, gefoltert und getötet werden.

Was können wir also tun, auch für den Frieden in uns? Genügt es, darüber zu diskutieren, ob wir Menschen, die vor Verfolgung geflohen sind, freundlich bei uns aufnehmen? Genügt es, darüber zu streiten, ob wir uns für verfolgte Christen oder auch für andere einsetzen, für sie beten? Genügt es, für sie eine Kerze ins Fenster zu stellen? Kerzen sind eine schöne, symbolträchtige Sache – aber mir genügen sie nicht! Denn ich glaube, wir können nicht im Frieden mit uns und Gott sein, wenn wir nicht auch andere im Blick haben und auch ernsthaft die Schutzbedürftigen unterstützen – jeder von uns in seiner Funktion.

Ein wesentlicher Teil meiner politischen Arbeit sind Ausländer- und Asylpetitionen. Zunehmend habe ich mit Fällen von in Deutschland konvertierten Flüchtlingen zu tun, die aus muslimischen Ländern stammen. Dazu kommen viele Schicksale von Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Überzeugung nicht in Frieden leben dürfen. Sie fürchten existentiell um ihr Leben im Falle einer Abschiebung. Können wir also wirklich im Frieden mit Gott und in seiner Gnade leben, wenn wir schutzbedürftige Menschen in die Verfolgung abschieben oder wenn wir sie ihrem Elend an der türkisch-griechischen Grenze oder anderswo überlassen? Und wie sieht es mit unserem Frieden aus, wir, die wir hier geboren sind? Vielen von uns geht es gut, zumindest wirtschaftlich und gesundheitlich.

Und trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - wächst bei vielen die Angst, das könne sich ändern. Und gleichzeitig wächst das Misstrauen, die Ablehnung gegenüber allen, die nicht sind wie wir, die nicht denken oder sprechen wie wir. Und es wachsen Aggressionen gegenüber unserem Staat und körperliche Angriffe gegenüber seinen Vertretern. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft zum guten Miteinander. Nicht das WIR, sondern das ICH rückt immer mehr in das Zentrum!

Ganz aktuell hierzu: In Krankenhäusern werden in Zeiten von Corona Desinfektionsmittel gestohlen, gerade dort, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Und gestern erhielt ich eine E-Mail vom Landtagsamt, in der mitgeteilt wurde, dass zunehmend Desinfektionsmittel aus den Sanitärräumen entwendet würden!

Das ist doch wirklich unfassbar! Immer mehr verblasst das Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat als Grundlage einer friedlichen Gesellschaft. So einfach ist es also offenbar nicht mit dem Frieden. Denn jeder weiß um die Bedrängnis, die Not, von der Paulus schreibt. „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung.“

Jeder von uns hat innere oder auch äußere Not schon erfahren in seinem Leben. Jeder mag anders damit umgegangen sein. Aber wir alle wissen, wie müde Not und Angst machen, wie verzweifelt, wie ungeheuer klein und allein, von Gott verlassen man sich dabei fühlt. Ich kenne dieses Gefühl aus der Zeit, in der ich vor 22 Jahren mit meinem Mann in seiner Erkrankung auf seinen Tod zu ging. Jeden Tag wurde meine Seelennot größer. Damals, da hätte ich verloren gehen können, manchmal habe ich es mir fast gewünscht, weil alles so schwer auszuhalten war. Und als ich fast nicht mehr weiter wusste, da kam die Erkenntnis, dass ich nichts allein richten konnte, die Erkenntnis, dass mir jeder Versuch, es allein richten zu wollen, nur Kraft nahm. Als es mir am schlechtesten ging, wurde mir bewusst, dass wir, mein Mann, unser kleines Kind, allein in Gottes Hand waren. So schwierig und doch so einfach klingt das.

Ist es das, was Paulus sagen will, vor der Hoffnung und dem Frieden braucht es die Not? Wenn wir in tiefer Not sind, allein, vielleicht können wir erst dann erkennen, dass wir unser Leid an Gott abgeben können, vielleicht stellt sich erst dann Geduld und Demut ein. Dann nehmen wir andere wieder wirklich wahr, z.B. die Freunde, aber auch Fremde, die uns durch ihre Hilfe zeigen, dass wir nicht vergessen sind, nicht vom eigenen Umfeld, nicht von Gott. Und wir sind dankbar für Menschen, die uns zeigen, dass es mit uns weitergeht. Ich habe es damals so erlebt. Erst dann, erst aus der Not geboren, kann vielleicht die Hoffnung kommen, von der Paulus schreibt. Eine Hoffnung, die erst nur auf ein Durchhalten, ein Weitermachen trotz Not und Bedrängnis zielt, und die uns die Kraft gibt, nicht aufzugeben, nicht verloren zu gehen.

Und gerade da, beim Durchhalten, können wir Christen einander und anderen helfen. Gerade wenn wir selber Not und Leid erfahren haben, wissen wir, wie das geht mit der Durchhaltekraft. Resilienz heißt das neudeutsch. Sie erspart uns das persönliche Unglück nicht, aber sie gibt uns Kraft, damit umzugehen. Und sicher meint Paulus auch die Hoffnung derer, die einsam, hungrig und geduldig, manchmal demütig an den Tafeln der Diakonie stehen und Hilfe bekommen. Und die Hoffnung all der Menschen, die in den vielen Einrichtungen von Diakoneo, in Neuendettelsau und anderswo, leben und arbeiten – ihre geduldige Hoffnung, dass sie teilhaben dürfen an einer gerechten Gesellschaft. Inkludiert und nicht ausgeschlossen und mit dem Wunsch, dass wir zu ihnen und sie zu uns gehören, mit ihren besonderen Bedürfnissen, ihrem Leid, aber auch mit ihren manchmal so fröhlichen Besonderheiten.

Hören wir noch einmal Paulus: „Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Was für ein starker Satz! Hoffnung, die aus Not und Bewährung kommt, die vertraut auf Gott. Vielleicht kann man Paulus so verstehen: Unser Herz schlägt für das Leben, in der Not wie auch im Glück schlägt es schneller, das spüren wir. Es schlägt mit Hoffnung für uns, und mit Hoffnung für die anderen, die unsere Unterstützung brauchen, für die wir Verantwortung tragen. Es schlägt, weil wir leben wollen, weil wir das Leben lieben. Und weil wir auf Gott vertrauen dürfen – er nimmt uns unser Leid nicht, aber er hilft uns, es zu tragen.

Amen

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