Emotionale Hilfe in der Sterbebegleitung
Doro Herrmann, 59 Jahre alt, begleitet seit Oktober 2024 die Gäste des stationären Hospizes in Schwäbisch Hall als Kunsttherapeutin und Trauerbegleiterin. Sie bringt zwei Jahrzehnte Erfahrung aus ihrer ehrenamtlichen Arbeit im ambulanten Hospizdienst mit und hat dort auch die Trauerarbeit mit aufgebaut. Die Kunsttherapie hat sie durch verschiedene Weiterbildungen entdeckt – und "das hat mich gefesselt", sagt sie.
Von Maria Mohr und Manuela Renner (Video)
Lesezeit: 5 Minuten
Ein Morgen im Hospiz
Es ist ein ruhiger Morgen im Hospiz. In einem der Zimmer sitzt eine Frau an einem kleinen Tisch, vor ihr ein Blatt Papier und ein Set bunter Farben. Ihre Hand zittert leicht, als sie den Pinsel ansetzt.
Neben ihr sitzt Doro Herrmann, Kunsttherapeutin und Sterbebegleiterin. "Es muss nicht perfekt sein", sagt sie. "Malen Sie einfach, was Ihnen gerade einfällt.“
Die Frau nickt langsam. Nach einigen Minuten entsteht auf dem Papier ein Baum – stark, mit weit ausladenden Ästen, voller Blüten. "So ein toller Baum", murmelt die Frau, fast erstaunt. "Der sieht ein bisschen so aus, wie ich mich fühle. Ein reiches Leben."
Sie lächelt. Ein Moment des Friedens.

Gefühle ausdrücken in einer schwierigen Lebensphase
Bei ihrer Aufgabe im Hospiz geht es Doro Herrmann nicht nur um das Malen oder Gestalten, sondern um viel mehr: Die Kunsttherapie hilft Menschen in ihrer vielleicht schwierigsten Lebensphase, ihre Gefühle auszudrücken, Frieden mit sich selbst zu finden und sogar eine gewisse Selbstwirksamkeit zu erleben.
Was ist Kunsttherapie – besonders im Hospiz?
"Die Menschen, die hier ins Hospiz kommen – sei es als Gast oder als Angehöriger – befinden sich in einer absoluten Ausnahmesituation", erklärt Herrmann. "Sterben tut man nur einmal. Und das verunsichert." Auch für Angehörige ist die Situation oft überfordernd, vor allem für Kinder.
In der ersten Begegnung geht es daher oft um Stabilisierung: "Was tut Ihnen gut?", "Wie konnten Sie in der letzten Nacht schlafen?" Herrmann fragt nach Ressourcen – jenen Dingen, die einem Halt geben.
Denn genau diese spielen in ihrer therapeutischen Arbeit eine zentrale Rolle.
Biografiearbeit: Erinnerungen als Kraftquelle

Besonders wichtig ist in der letzten Lebensphase die Biografiearbeit. "Was war Ihnen in Ihrem Leben wichtig?", fragt Herrmann oft. Sie erlebt dann, wie bei ihren Gästen plötzlich Erinnerungen aufleuchten. "Da kommt plötzlich ein Strahlen über das Gesicht", sagt sie. "Es ist schön, diese Momente zu sehen."
Das Erzählen von guten Zeiten, von Kindern, Freunden oder besonderen Erlebnissen kann stabilisieren – gerade in einer Zeit, die von Unsicherheit geprägt ist.
In der Kunsttherapie werden diese Erinnerungen sichtbar gemacht. Eine klassische Methode ist das "Mandala des Reichtums". Dabei malen die Teilnehmenden alles, was sie in ihrem Leben als wertvoll empfunden haben: vielleicht ein Gemüsegarten, eine langjährige Ehe oder das neugeborene Enkelkind.
"Das sind Dinge, die sieht man in jedem Gesicht, dass sie den Menschen guttun", erzählt Herrmann.
Eine Bilanz des Lebens – und der Weg zur Akzeptanz
Ist das eine Art Bilanz ziehen am Lebensende? "Ja, genau", bestätigt Herrmann. "Und oft passiert es, dass man beim Betrachten des fertigen Bildes plötzlich denkt: 'Da ist ja ganz schön viel passiert. Ich habe genug gelebt.'"
Diese Erkenntnis kann helfen, den eigenen Tod zu akzeptieren. "Das bringt einen auch immer ein Stück weiter in Richtung Akzeptanz. Ich bin jetzt hier und ich muss abschließen – aber vielleicht kann ich es jetzt auch."
Doch nicht alle Gäste des Hospizes sind mit sich im Reinen. Viele Menschen kommen mit Wut, Angst oder tiefer Trauer. Kann Kunsttherapie dabei helfen? "Ja, auf jeden Fall", sagt Herrmann:
Kunsttherapie hilft vor allem bei der Wahrnehmung von Gefühlen.
"Oft gibt es gar keine Worte für das, was Menschen empfinden. In Grenzsituationen herrscht oft ein Gefühlschaos." Durch das Malen oder Gestalten lassen sich Emotionen sichtbar machen und sortieren – eine große Erleichterung für viele.
Spontane Kreativität als Einstieg

Die Arbeit mit den Gästen verläuft individuell. "Manchmal lasse ich die Menschen einfach malen", erklärt Herrmann. "Oft zeigt sich dann ganz spontan ein Thema."
Einmal malte eine Frau einen Baum, immer mehr Blüten kamen hinzu. Als sie ihr Bild betrachtete, sagte sie staunend: "Wow, so ein toller Baum. Der sieht ein bisschen so aus, wie ich mich fühle."
Durch solche intuitiven Prozesse entstehen tiefe Gespräche über das Leben, die Vergangenheit und die persönliche Entwicklung.
Die Arbeit mit den Angehörigen

Auch für die Angehörigen ist die Kunsttherapie ein wertvolles Angebot. "Viele Angehörige befinden sich im absoluten Chaos", erklärt Herrmann. "Es gibt so viele Fragen: Wie geht es mir? Wie viel Zeit verbringe ich hier? Was macht es mit mir, wenn ich nach Hause gehe?"
Kunsttherapie kann helfen, das Chaos zu ordnen und bewusst innezuhalten.
Ein Beispiel: Eine Tochter erzählte sehr viel vom Leben ihres Vaters, der bald sterben würde. Herrmann schlug vor, es bildlich festzuhalten. Gemeinsam gestalteten sie eine "Lebensstraße" voller Stationen: Arbeit, Ehrenamt, Freundschaften. Die Tochter betrachtete das Bild und sagte ergriffen: "Ja, mein Papa hat ein reiches und erfülltes Leben gehabt. Es war nicht sinnlos – und auch der Tod ist nicht sinnlos."
Ein Schal voller Lebenslinien: Erinnerungen an die Liebe
Ein besonders berührendes Erlebnis war ein Trauerkurs, in dem ein Schal aus Seide und Wolle entstand. Eine Frau brachte die alte Jutetasche ihres verstorbenen Mannes mit und webte die Fäden in ihren Schal ein.
Die Frau erkannte: „Es sah aus wie Lebenswege. Teils sind wir sie gemeinsam gegangen, zum Teil ging ich sie ohne meinen Mann. Mein Schal zeigt mir, dass ich das immer gut konnte, warum also nicht auch jetzt nach dem Tod meines Mannes. Das zu sehen macht mir Mut.“
Alltag im Hospiz – Flexibilität und Mitgefühl
Herrmann ist an vier Tagen in der Woche für jeweils fünf Stunden im Hospiz. Ihr Tag beginnt mit einer Orientierung: Ist jemand Neues da? Ist jemand verstorben? Gibt es Angehörige in Not?
"Ich muss hier im Haus lernen, immer in Bewegung zu bleiben und mitzugehen, mit dem, was ist." Manchmal bedeutet das auch, einfach mit einem Frühstückstablett in ein Zimmer zu gehen und so ein Gespräch zu beginnen – ganz ohne Druck.
Denn das ist ein positiver Aspekt im Hospiz, den Dorothea Herrmann benennt:
Hier im Hospiz gibt es Zeit.
Auch wenn es stressige Tage gibt, bleibt im Vergleich zum Klinikalltag Raum für Begegnung.
Kunsttherapie – ein Tor zur inneren Welt

Was bewirkt die Kunsttherapie? Die Antwort der Expertin ist eindeutig:
„Eine Gestaltung kann Klarheit in eine Situation bringen. Das nimmt viel Unsicherheit und wirkt stabilisierend. Neue Aspekte können entdeckt werden, z.B. den eigenen unverletzbaren Kern, selbst in lebensbedrohlicher Krankheit.
Das führt zu einer Selbstwirksamkeit, die noch Unvorstellbares möglich macht.“
Abschied nehmen – und weiterleben
"Die Kunsttherapie öffnet Räume, die man vorher oft nicht gesehen hat", sagt Herrmann. Und manchmal entstehen dabei Werke, die bleiben – als Erinnerung an ein erfülltes Leben.