Eine besondere Herausforderung: Sucht und geistige Behinderung

Wie gehen Fachkräfte im Ambulant Begleiteten Wohnen mit dem Thema um? 

Umgang mit Sucht bei Menschen mit Behinderung
Auch Menschen mit einer geistigen Behinderung können an einer Suchterkrankung leiden. © Grafik: Teresa Meyer


Wie die Durchschnittsbevölkerung auch können Menschen mit einer geistigen Behinderung zusätzlich an psychischen oder Suchterkrankungen, wie beispielsweise Alkoholabhängigkeit oder dem Messie-Syndrom, leiden. Fachlich spricht man dann vom Vorliegen einer Doppeldiagnose
In der Begleitung eines Menschen mit einer Doppeldiagnose kommen im Rahmen des Ambulant Begleiteten Wohnens besondere Herausforderungen auf die Mitarbeitenden zu.

Wie stellen sich diese Erkrankungen im Alltag im Ambulant Begleiteten Wohnen dar? Wie gehen die Mitarbeitenden damit um? 

Maria Mohr hat sich mit zwei Experten zu diesem Thema unterhalten:


Fallbeispiel : Umgang mit dem Messie-Syndrom bei Menschen mit Behinderung

Der Begriff Messie-Syndrom (abgeleitet von englisch "mess": Chaos, Durcheinander) bezeichnet ein zwanghaftes Verhalten, bei dem das übermäßige Ansammeln von mehr oder weniger wertlosen Gegenständen in der eigenen Wohnung im Vordergrund steht, verbunden mit der Unfähigkeit, sich von den Gegenständen wieder zu trennen und Ordnung zu halten.

Frau Schröder (Name geändert) lebt in ihrer eigenen Wohnung und wird von den Mitarbeitenden der Offenen Hilfen Bayreuth-Kulmbach betreut. Sie hat Probleme Dinge wegzuwerfen und verschließt zum Beispiel ihre Schränke, wenn die begleitenden Mitarbeitenden sie besuchen. Der Umgang mit dem Messie-Syndrom in Verbindung mit einer geistigen Behinderung war Neuland für Sandra Beck. Eine Fortbildung half ihr weiter: „Dort habe ich super Tipps bekommen, um Frau Schröder zu motivieren, ihr Verhalten aus eigenem Antrieb zu ändern.“

Messie-Problematik bei Menschen mit Behinderung
Eine Frau mit geistiger Behinderung weist Anzeichen des Messie-Syndroms auf? Wie gehen Fachleute damit um?


Als Sandra Beck die Kundin kennenlernte, musste sie zunächst Grundlagenarbeit leisten. „Wenn ein Mitarbeiter von uns mit dem Wunsch zu ihr in die Wohnung kam, zum Beispiel einen Wochenplan zu machen und festzulegen, wann sie in ihrer Wohnung Ordnung schaffen soll, dann hat sie sofort blockiert.“ Sie versäumte Termine und verweigerte sich jedem Unterstützungsangebot.

Sandra Becks Aufgabe war es am Anfang, eine Beziehung aufzubauen und das Vertrauen von Frau Schröder zu gewinnen. 

„Es ging darum, dass sie selbst die Motivation entwickelt, am Zustand ihrer Wohnung etwas zu ändern.“

In vielen Gesprächen berührten die beiden auch die Gründe für Frau Schröders zwanghaftes Verhalten. „Sie hat viele seelische Verletzungen durch Gewalt und Ablehnung erfahren.“

Strukturen und Ordnungspläne haben die beiden zusammen geschaffen. So dekoriert Frau Schröder zum Beispiel sehr gerne und schmückt die Wohnung mit einer Vielzahl von Gegenständen. „Wir haben zusammen einen Vier-Jahreszeiten-Schrank eingerichtet, in dem die Dinge untergebracht sind, die sie derzeit nicht verwendet“, erzählt Sandra Beck. Die Fächer des Schrankes hat Frau Schröder selbst beschriftet und so Verantwortung für die Ordnung in ihrer Wohnung übernommen.

Ist es in Ordnung, wenn die Kundin zum Beispiel ihre Wäsche erst wegräumt, wenn Sandra Becks Besuch ansteht? „Das Wichtigste ist, dass die Kundin die Motivation zum Aufräumen hat. Wenn mein Besuch diese Motivation ist, dann ist das zunächst einmal gut.“

Suchterkrankungen als Herausforderung bei Menschen mit Behinderung


Behinderung und Alkohol
Eine große fachliche Herausforderung: Menschen mit einer geistigen Behinderung und einem Alkoholproblem © Grafik: Teresa Meyer

Suchterkrankungen wie zum Beispiel Alkoholismus und Drogenkonsum gehören zur Gesellschaft dazu und machen auch keinen Halt vor Menschen mit einer kognitiven Einschränkung,“ sagt Günter Binger. „Zu unserer Fachlichkeit gehört es, zu akzeptieren, dass ein Mensch eine solche Einschränkung haben kann. Manche Probleme gehen nicht weg. Aber wir können den Menschen dabei unterstützen, mit diesen Herausforderungen zu leben.“

Thema Alkohol: Zu den Kunden gehören zum Beispiel sogenannten „Spiegeltrinker, umgangssprachlich auch als Gewohnheitstrinker bezeichnet“, die eine gewisse regelmäßige Dosis Alkohol brauchen, ohne sichtliche Ausfallerscheinungen, wie zum Beispiel Lallen und Torkeln, zu zeigen. „Es ist ein langer Weg und eine große fachliche Herausforderung, die Menschen dabei zu begleiten.“

Manchmal kommen die Mitarbeitenden dabei an ihre Grenzen:

Heilung ist manchmal nur begrenzt möglich.

„Problemtrinker“ sind Personen, die phasenweise einen Totalabsturz und Kontrollverlust erleiden, wenn in ihrem Leben Krisen auftreten. „Hier müssen die Mitarbeitenden einen guten Überblick haben, was im Leben der Kunden gerade los ist,“ sagt Günter Binger. Im Bedarfsfall müssen die Besuchstermine eng aufeinander folgen. Das gilt besonders für bekannte Krisenzeiten wie Weihnachten und Silvester.

„Wir müssen dann kurzfristig die akute Situation abfedern. Langfristig versuchen wir gemeinsam mit dem Betroffenen Strategien zu entwickeln, um alkoholbedingte Abstürze zu vermeiden., Dies kann geschehen in dem sich der Kunde rechtzeitig Hilfe sucht und alternative Handlungsmuster anwendet, um mit seinen Problemen zurechtzukommen.“


Alkohol und Drogen bei Menschen mit Behinderung
Alkhohol- und Drogenmissbrauch sind ein übergreifendes gesellschaftliches Problem.

Wie gehen die Mitarbeitenden vor, wenn eine Suchterkrankung vorliegt?

Günter Binger: „Grundsätzlich ist es im Ambulant Begleiteten Wohnen eine zentrale Aufgabe, die Menschen mit einer geistigen Behinderung dazu zu befähigen, eigene, selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge verstanden werden."

„Deshalb ist es wichtig, dass Mitarbeitende, neben großer Empathie, auch fachliche Kenntnisse über die Erkrankungen der Kunden besitzen, denen sie in der Begleitung zugeordnet sind. Heilerziehungspflegerinnen Heilerziehungspfleger beziehungsweise Erzieherinnen und Erzieher haben in ihren Ausbildungen gelernt, Sachverhalte mittels der Verwendung von einfacher und leichter Sprache, dem Einsatz von Bildern und Piktogrammen (wir haben hierfür Computerprogramme), der Verwendung von Beispielen aus der Lebenswelt der Person und dem Einsatz von Strukturierungshilfen, aufzuarbeiten."

Die richtige Sprache wählen: Wie erklärt man das Thema Entzugserscheinungen?

Für eine Kundin, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, wählte Sandra Beck das Beispiel mit dem Misthaufen: „Wenn du viel Alkohol trinkst, ist das wie ein großer Misthaufen, für den es viele Leute – in deinem Körper - braucht, ihn wegzuräumen. Wenn Du nichts mehr trinkst, werden die Leute kribbelig und nervös, weil sie nichts mehr zu tun haben.“

„Auch, wenn man mit solcher Vereinfachung nicht zu 100 Prozent wissenschaftlich korrekt erklärt, konnte die Kundin nachvollziehen, welche tief schädigende Wirkung der Alkoholkonsum in ihrem Körper hat. Die Entscheidung, dass sie etwas gegen ihr Alkoholproblem unternehmen möchte, konnte selbstverantwortlich getroffen werden.“

Günter Binger: „Oft ist es bis dahin ein weiter Weg! Man muss es aber auch akzeptieren, dass eine selbstverantwortlich getroffene Entscheidung in die andere Richtung gehen kann. Ein Mensch kann sich auch dafür entscheiden, nichts gegen sein Problem zu tun.
Für uns als begleitende Mitarbeitende kann es dann eine Herausforderung sein, die betroffene Person trotzdem dabei zu unterstützen, dass ein Leben mit der Erkrankung weiter in der eigenen Häuslichkeit möglich ist.“
Diese Entscheidung treffen wir nicht alleine. Das geschieht immer in einem abgestimmten Verfahren, in dass der Betroffene, sein gesetzlicher Betreuer, Ärzte und Therapeuten, mitunter Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, Angehörige, eventuell auch der Kostenträger, mit eingebunden sind.“

Das Wissen, zum Beispiel um die richtigen Worte im Umgang mit den Kunden zu finden, eignen sich die Mitarbeitenden durch die Fortbildungsmöglichkeiten bei Diakoneo an. "Die Mitarbeitenden haben bei uns immer die Möglichkeit, Fortbildungen zu besuchen“, sagt Günter Binger. Diakoneo stellt zu diesem Zweck jedem Mitarbeitenden ein großzügiges Fortbildungsbudget zur Verfügung.

(Mehr darüber lesen Sie hier: Link zum Magazinartikel über die Fort- und Weiterbildungseinrichtungen.)


Falls sich im Programm der DiaLog Akademie kein passendes Angebot findet, können die Mitarbeitenden natürlich auch auf externe Angebote zurückgreifen. Oder sie werden selbst aktiv: „Ich habe bei der DiaLog-Akademie auch schon Themen für Fortbildungen vorgeschlagen. Und es hat mich sehr gefreut, dass diese Vorschläge umgesetzt wurden.“ erzählt Sandra Beck.


Arbeiten mit Menschen mit Behinderung bei Diakoneo

Sie arbeiten im sozialen oder pflegerischen Bereich? Und suchen eine berufliche Herausforderung in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung in den Regionen Mittelfranken, Oberfranken und Schwaben?

Diakoneo bietet ein umfassendes Angebot: Erfahren Sie mehr über die Vorteile

Günter Binger leitet die Offenen Hilfen Bayreuth-Kulmbach von Diakoneo.
Günter Binger leitet die Offenen Hilfen Bayreuth-Kulmbach von Diakoneo.
Sandra Beck arbeitet als Pädagogische Fachkraft bei den Offenen Hilfen Bayreuth-Himmelkron.
Sandra Beck arbeitet als Pädagogische Fachkraft bei den Offenen Hilfen Bayreuth-Himmelkron.
Arbeiten mit Menschen mit Behinderung in Himmelkron
Mehr lesen aus dem Magazin zum Thema Menschen mit Behinderung

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