Begleitung von Menschen mit Behinderung in der letzten Lebensphase

Das Palliativkonzept ermöglicht die Versorgung zu Hause

Auch Menschen mit Behinderungen wünschen sich, in der letzten Lebensphase begleitet zu werden und – wie jeder andere auch – zuhause sterben zu können. „Zuhause“, das ist die Wohneinrichtung und die Wohngruppe in der dieser Mensch viele Jahre seines Lebens gemeinsam mit anderen gelebt hat. 

Diakoneo-Mitarbeiter Holger Ströbert vom Fachdienst Pflege in der Wohneinrichtung in Polsingen hat gemeinsam mit seinem Team ein Konzept entwickelt, wie die Begleitung in der letzten Lebensphase für Menschen mit Behinderungen gestaltet werden kann.

Ulrike Englmann hat ihn nach den Hintergründen gefragt:


Palliative Versorgung für Menschen mit Behinderung

In eine palliative Versorgung während dieser letzten Lebensphase sind verschiedene Ansprechpartner und Gruppen eingebunden, die sich engmaschig vernetzen müssen. Auch im Vorfeld einer solchen Begleitung sind die Bedürfnisse und Möglichkeiten der verschiedenen Beteiligten abzuklären. Roswitha Fingerhut, die Leiterin Wohnen Polsingen, erklärt dazu: „Auch beim Thema Sterben ist uns die Selbstbestimmung sehr wichtig. Unter diesen Gesichtspunkt fällt, dass nicht nur das eigene Leben selbstbestimmt sein soll, sondern auch das Sterben. Nicht immer ist es möglich eine Krankheit zu heilen und dem Leben mehr Tage zu geben. Es ist aber immer möglich sich dafür einzusetzen, dass die betreffenden Menschen gemeinsam ihre verbleibende Lebenszeit gestalten können. Die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse der Menschen zu respektieren und zu berücksichtigen ist uns wichtig.“

Holger Ströbert: Im vergangenen Jahr erkrankte einer unserer Bewohner so schwer, dass lebensverlängernde Maßnahmen in der letzten Lebensphase nicht mehr sinnvoll waren, sondern eher eine palliative Versorgung in Frage kam. Wir überlegten gemeinsam mit dem Betreuer, ob und wie das hier in der Einrichtung möglich sein könnte. Entscheidend war, ob die Mitarbeitenden sich die Versorgung des Bewohners und die Begleitung der anderen Bewohner in der Wohngruppe vorstellen konnten, ob sie so eine Aufgabe übernehmen wollten. Hier gab es viel Raum für Diskussion und das Aussprechen aller Bedenken. Auch die Mitbewohner und die Mitarbeitenden benötigen in so einer intensiven Zeit und auch noch danach eine professionelle Begleitung durch Gespräche.

Wie haben Sie angefangen?

Holger Ströbert: Nachdem sich ausnahmslos alle – Mitbewohner und Mitarbeitende – für diese Begleitung in der letzten Lebensphase entschieden hatten, organisierten wir die Spezielle Ambulante Palliativversorgung (SAPV) und eine Hospizbegleitung. Konkret bedeutet so ein Schritt, dass der Arzt der SAPV alle unnötigen Medikamente absetzt und Bedarfsmedikamente verordnet werden z. B. bei Schmerzen oder Atemnot. Außerdem wurden die Mitarbeitenden vom Palliativarzt und der zuständigen Krankenschwester professionell informiert und über die Vorgehensweise und mögliche Ereignisse aufgeklärt. Das brachte Ruhe und Sicherheit ins Team. Hilfreich ist, dass die Spezielle Ambulante Palliativversorgung 24 Stunden erreichbar ist. Auch der Hospizdienst kam zeitnah und übernahm stundenweise die Betreuung des Bewohners.

Es war ein langer Weg, den wir gemeinsam gegangen sind. 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben eine hervorragende Arbeit geleistet. Eine Belastung ist dies ja in jedem Fall. Einen würdevollen und stabilisierenden Abschluss fand diese Zeit dann nach dem Tod des Bewohners, als die Mitarbeitenden und die anderen Bewohner ihn einkleideten und gemeinsam in den Sarg legten, den Sarg verschlossen und ihn schließlich auch schmückten. Solche Rituale braucht es, damit man wieder Abstand gewinnen und das Erlebte loslassen kann.

Entstanden ist ein Konzept zur Palliativversorgung

Da hat das komplette Team wirklich viel geleistet! Und daraus ist dann Ihr Konzept entstanden?

Holger Ströbert: Ja, wir sind alle sehr dankbar für diese Erfahrungen und auch ein bisschen stolz, dass uns das so gut gelungen ist!

Die aktuelle Entwicklung, des „Zuhause-Sterbens“ muss man allerdings auch vor ihrem geschichtlichen Hintergrund sehen. Solange in unseren diakonischen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen noch die Diakonissen tätig waren, war es selbstverständlich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner auch in ihrer gewohnten Lebensumgebung sterben konnten. Später hat sich das Sterben in die Pflegeheime und Kliniken verlagert – ein Trend, den es in der ganzen Gesellschaft gab. Diakoneo arbeitete – damals noch als Diakonie Neuendettelsau – viele Jahre unter dem Motto „Leben gestalten“. In diesem Zusammenhang entstanden bei uns erste Überlegungen, inwieweit wir nicht nur das Leben unserer Bewohnerinnen und Bewohner gestalten wollten, sondern Leben und Sterben zusammengehören und wir auch die letzte Lebensphase weit aktiver begleiten können als bisher. Also setzten wir uns zusammen und überlegten, welche Möglichkeiten wir haben. Bald stellten wir fest, dass wir dafür vor allem zwei Dinge brauchen: die Kompetenz unserer Mitarbeitenden und die Vernetzung mit anderen Fachstellen.


Das sind die spezielle ambulante Palliativversorgung und die Hospizdienste?

Holger Ströbert: Da sind zunächst die Hausärzte mit denen wir eng zusammenarbeiten. Im Krankheitsfall sind sie die ersten Ansprechpartner, die dann auch entscheiden, wie die weitere medizinische Versorgung aussehen soll. Und dann natürlich die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) und die örtlichen Hospizdienste. Auch die Pfarrer der jeweiligen Konfessionen oder seelsorgerliche Mitarbeitende werden bei Bedarf mit einbezogen.

Wie unterstützen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Holger Ströbert: Das ist ein ganz wichtiger Punkt in der gesamten Vorgehensweise. Zum einen bieten wir einmal im Jahr eine Fortbildung an, die wir „Gepflegt Sterben“ genannt haben – ein Wortspiel. Das ist ein Seminar über zwei Tage, die sich an alle interessierten Mitarbeitenden von Diakoneo richtet. Am ersten Tag wird die eigene Sterblichkeit thematisiert und am zweiten Tag liegt der Schwerpunkt auf der Sterblichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner. Man muss sich mit diesen Fragen selbst intensiv auseinandergesetzt haben, sonst wird einem so ein Einsatz womöglich zu viel.

Auch die feierliche Gestaltung eines Abschlusses nach dem Tod des Bewohners oder der Bewohnerin wirkt stabilisierend und entlastend und trägt zur Verarbeitung des Begleitprozesses bei. Hierauf legen wir großen Wert. Außerdem legt unsere Einrichtungsleitung großen Wert auf regelmäßige Weiterbildungen und unterstützt die Mitarbeitenden so gut wie möglich.

Mitarbeitende übernehme die Aufgabe der Begleitung

Was war genau Ihre Rolle bei der Sterbebegleitung?

Holger Ströbert: Bei mir liegt die Koordination für den gesamten Prozess der Begleitung. Es geht ja nicht nur um den Sterbenden selbst, sondern auch um die Mitbewohner in der Wohngruppe, den Betreuer und die Mitarbeitenden im Team. Dazu kommen die externen Stellen, die koordiniert werden müssen.

Zunächst muss mit dem jeweiligen Betreuer geklärt werden, ob er die Entscheidung mittragen kann. Er wird es ja sein, der den Menschen sehr intensiv begleiten wird. Dann muss in der Wohngruppe besprochen werden, ob sie das überhaupt möchte. Wenn nicht, besteht immer die Möglichkeit, eine andere Wohngruppe zu suchen, die sich damit leichter tut. Aber diese Dinge müssen eben besprochen werden. Auch die anderen Bewohnerinnen und Bewohner müssen sich zunächst einmal mit dem Thema Sterben auseinandersetzen und verstehen, worum es geht und was auf sie zukommt. 

Entscheidend für uns ist, dass wir niemandem etwas überstülpen oder zu etwas überreden, wozu er nicht bereit ist.

In einem nächsten Schritt müssen in unserem Team Mitarbeitende gefunden werden, die bereit sind, diese Begleitaufgabe zu übernehmen. Manchmal handelt es sich dabei um mehrere Monate. Es gibt Menschen, die erhalten eine vernichtende Diagnose mit einer Lebenserwartung von einigen Monaten. Dann sind sie am Anfang noch relativ fit und irgendwann ändert sich das dann. Das muss man auch als Mitarbeitender aushalten können. Und so hat jeder die Möglichkeit, erst einmal zu überlegen, ob er sich diese Begleitung zutraut und übernehmen möchte und wenn er zur Entscheidung kommt, dass dies im Moment „nicht dran“ ist, ist es auch gut. Dazu gibt es eine Beratung für die Mitarbeitenden gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, wo sie alle ihre Fragen stellen können. Wenn der Sterbende noch Eltern oder Geschwister hat, werden diese natürlich auch eingebunden.


Hospizkoffer zum Umgang mit Tod und Sterben
Der Hospizkoffer enthält Material rund um das Thema "Tod und Sterben".

Welche Hilfsmittel nutzen Sie für die Kommunikation mit Menschen mit Behinderungen?

Holger Ströbert: Viele Menschen mit Behinderungen sind in der Lage, sich verständlich zu machen und ihre Bedürfnisse zu äußern und es gibt Menschen, die sie schon lange kennen und ihre Kommunikationsformen übersetzen können. Aber es gibt auch Menschen, die nicht sprachfähig sind. Hier hilft zum einen eine genaue Beobachtung. Ändert sich sein Verhalten? Hat er Schmerzen? Welchen Wunsch möchte er äußern? Das ist eine Vorgehensweise, die weit über eine rein medizinische Versorgung hinausgeht.

Neben all diesem haben wir einen speziellen Hospizkoffer, der nützliches Arbeitsmaterial enthält. Das fängt an mit einem Informationsfilm für die Mitbewohner in der Wohngruppe mit dem Titel „Was ist das mit dem Tod?“. Gemeinsam mit den Mitarbeitenden angeschaut, bietet er die Grundlage für die gemeinsame Diskussion bis hin zur Entscheidungsfindung. Im Koffer finden sich außerdem eine ganze Reihe an hilfreichen Dingen, vom Duftöl, Kerzen, über einen kleinen Teddy bis hin zu einem Kreuz, das der Sterbende in der Hand halten kann. Dinge, mit denen man das Sterbezimmer gestalten kann.


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Holger Ströbert, Experte für Kinästhetik in der Heilerziehungspflege

Holger Ströbert ist gelernter Krankenpfleger und arbeitet seit 2009 in Polsingen im Fachdienst Pflege. Zusätzlich ist er Fachkraft für palliative Versorgung und sowie Berater in der letzten Lebensphase.

Expertin für Menschen mit Behinderung bei Diakoneo

Roswitha Fingerhut leitet die Wohnbereiche in Polsingen, Oettingen und Gunzenhausen.

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