Von Verena Mörzl, Rieser Nachrichten
Wenn Jochen und Karl-Hermann Rummel am Küchentisch sitzen und über ihren Alltag sprechen, dann stecken in ihren Blicken zueinander Vertrauen, Geborgenheit, etwas Unsicherheit, aber auch Zuversicht und Stolz. Denn dass die Brüder seit zwanzig Jahren allein in ihrer Oettinger Wohnung leben können, ist keine Selbstverständlichkeit. Wie sie damals „ins kalte Wasser geworfen wurden“, wie Karl-Hermann Rummel heute sagt, war der Beginn eines erfolgreichen Projekts der Offenen Hilfen Polsingen, Oettingen und Gunzenhausen und damit von Diakoneo – und für die Brüder der Start in ein neues Leben.
Vor ihrem Einzug in die Wohnung in Oettingen haben die Brüder in den Johannes-Heimen in Oettingen gelebt. Inzwischen leben sie selbstständig, mit Unterstützung durch das ambulante Begleitete Wohnen. Vielen Menschen wird durch diese Hilfe ein Plus an Lebensqualität verschafft. Nicht alle sehen die Einrichtung aber aus dieser Perspektive. Für einige ist die Tatsache, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen müssen, unangenehm. Sie genieren sich gar so, das die Begleiterinnen der Offenen Hilfen nicht mit dem Dienstwagen vor deren Wohnungen parken dürfen.
Vor zwanzig Jahren, so erzählt die Leiterin der Offenen Hilfen, Margit Schmutterer, die Geschichte, sind die ersten Bewohner der Johannes-Heime in Oettingen ausgezogen und in „ihre eigene Heimat eingezogen“. Die Menschen, die sie und ihre Mitarbeiter betreuen, nennen sie Klienten. „Unsere Leute“ könnte man auch sagen, fügt sie hinzu, aber das stimme ja nicht. „Wir besitzen Sie ja nicht.“ Und auch wenn die Mitarbeiter ihrer Arbeit gern nachgehen, wollen sie die Stunden, in denen die Klienten betreut werden, auf einem Minimum halten. Jochen und Karl-Hermann Rummel werden circa sechs Stunden betreut, dann, wenn der jüngere Bruder Jochen nicht in der Gartengruppe in Polsingen arbeitet und der ältere nicht unter anderem Armlehnen bei der Lebenshilfe in Nördlingen zusammenbaut.
19 Mitarbeiter gibt es im Begleiteten Wohnen in Oettingen, Wemding und Gunzenhausen. Die Betreuer gehen mit ihnen einkaufen, helfen im Haushalt und bei Behördengängen. Auch partnerschaftliche Beratung gehöre dazu sowie Beratung bei Streit.
Für die Wemdinger Eduard Schweier und Sabine Wengefeld war der Schritt ins Begleitete Wohnen ein Segen; für beide aber eine enorme Veränderung, vor welcher der Mann, auf dessen Nase eine runde Brille sitzt, mit der er wie die Skisprunglegende Eddie the Eagle, aussieht, „schlaflose Nächte“ verschafft hat. Das Paar hatte sich erst kurze Zeit zuvor kennen- und liebengelernt. Eduard Schweier war unsicher. „Ich wusste nicht, ob ich es mit ihrem Handicap schaffe“, sagte er. Sie leidet an einer körperlichen Behinderung seit ihrer Kindheit. Auch er selbst ist beeinträchtigt. Doch all die Bedenken waren unbegründet.
Margit Schmutterer bezeichnet sie und ihre Mitarbeiter als Vermittler der Gesellschaft. Bei der Offenen Hilfe in Oettingen steht den Klienten stets ein Ansprechpartner oder auch ein Arbeitsraum mit großem Tisch zur Verfügung. Für Gerhard Enzelberger ist das auch ein Rückzugsort. Der Oettinger arbeitet als Hausmeistergehilfe am Albrecht-Ernst-Gymnasium in Oettingen und nimmt ebenfalls das Betreute Wohnen in Anspruch.
"Allein hätte ich vieles nicht geschafft."
Gerhard Enzelberger, Hausmeistergehilfe in Oettingen
Der Schritt, bis man auf eigenen Beine steht, sei groß. „Es sind die Herausforderungen des Lebens“, sagt auch Begleiterin Lisa Heydecker. Manchmal müsse man als Betreuerin flexibel sein.
Die Offenen Hilfen bieten neben dem Begleiteten Wohnen Hilfen für Familien im Rahmen der Schulbegleitung und des Familienentlastenden Dienstes an, sowie Freizeit- und Bildungsangebote oder Reisen. Insgesamt sind 40 Menschen beschäftigt, 15 helfen ehrenamtlich. Rund 500 Menschen nehmen die Dienstleistungen in Anspruch.