Journalistenpreis Demenz 2018: Donya Farahani (1. Preis)

"Ich und meine Alzheimer-WG" - Ein Film von Donya Farahani

„Sah der gut aus, ihr Ehemann, der Sonnenschein?“, wird Frau Sonnenschein gefragt. „Weiß ich nicht mehr“, sagt sie entschieden. „Kannste mich totschlagen, das weiß ich nicht mehr.“ Aber eines weiß die Witwe noch: „Er konnte gut Akkordeon spielen.“

Ein Gespräch, das sich am nächsten Tag in ähnlicher Form wiederholt. Und am Tag darauf auch. Denn Frau Sonnenschein hat Alzheimer.

Szenen wie diese hat Donya Farahani viele erlebt während ihrer Zeit in der Alzheimer-WG. Eine Woche lang lebte die 31-jährige Journalistin in Mühlheim an der Ruhr mit sieben älteren Damen mit Demenz zusammen.

Mit der aus dieser Recherche entstandenen Reportage „Ich und meine Alzheimer-WG“  hat Donya Farahani den ersten Preis der Journalistenpreises Demenz 2018 gewonnen.


Donya Farahani
Donya Farahani, Siegerin im Journalistenpreis Demenz 2018



Reportage über das Leben mit Demenz


In der gut halbstündigen Reportage ist die Kamera immer ganz nah dran an den Menschen, ohne sie allerdings bloß zu stellen. So reihen sich viele berührende Geschichten aneinander: Manchmal komische wie die WG-Diskussion über Frau Sonnenscheins Sonnenbrille. Manchmal auch traurige Momente, wie die Erzählung der 88-jährigen Hermine Kirschner über ihren Umzug in die WG.

Die Journalistin Donya Farahani arbeitet seit 2011 beim Westdeutschen Rundfunk. Für die Sendereihe „Unterwegs im Westen“ hat sie schon viele Reportagen gedreht, hat Erfahrungen aus erster Hand unter anderem auf einem Bauernhof gesammelt und aus einem Bordell berichtet.

War das Wohnen in der Demenz-WG eine besondere Erfahrung für Sie und warum?

Donya Farahani:

„Die Erfahrung ist deswegen etwas so besonderes gewesen, weil sie mich nachhaltig geprägt hat. Ich habe mir das erste Mal Gedanken über Demenz und das Älterwerden gemacht und meine Haltung dazu überdacht: Ich bin in die Demenz-WG gezogen mit der Einstellung: Lieber kein Leben, als ein Leben mit Demenz. Ich dachte, bevor ich mich an meine Liebsten gar nicht erinnern kann, bevor ich alle Fähigkeiten verliere, soll doch lieber Schluss sein. Das sehe ich jetzt anders.
Frau Sonnenschein hat in der WG einmal zu mir gesagt: „Im Alter muss man nicht mehr alles können.“ Ich finde, da hat sie absolut recht. Der Mensch hat im Alter genug geleistet. Es ist in Ordnung, wenn er nicht mehr alles kann. Die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, ist okay für mich. Aber Leistung darf nicht das einzige sein, über das wir uns definieren. Wer weniger leisten kann, ist deshalb nicht weniger wert.

Für mich persönlich gilt nach meiner Zeit in der WG: Ich möchte nicht auf Teufel komm raus und um jeden Preis leben. Aber eine Zeit lang, wenn ich gut betreut werde, warum nicht? Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Frauen in der WG unglücklich sind.

Was waren die Herausforderungen bei den Dreharbeiten?

Donya Farahani:

Im Vorfeld vor dem Dreh war die größte Herausforderung, eine WG finden, die mich drehen lässt. Wir brauchten ja auch die Einverständniserklärung der einzelnen Vormünder. Menschen mit Demenz können so etwas ja nicht mehr selbst entscheiden. Da muss man Vertrauen aufbauen, das kann ich gut verstehen.

Beim Dreh habe ich mir ein Zimmer mit einer 88-jährigen Frau geteilt, die an Demenz erkrankt ist. Darauf musste ich mich einlassen. Und dazu kam die Unsicherheit: Ich will nichts Falsches sagen, nichts Falsches tun, damit sich keiner unwohl fühlt. Die Frage für mich war: Wie gehe ich am besten mit den Bewohnerinnen um? Nach ein paar Tagen hat sich das aber gelegt. „Einfach locker durch die Hose atmen“, hat Frau Sonnenschein gesagt.

War es schwer, von den Bewohnern akzeptiert zu werden?

Donya Farahani:
Nein. Auch dank der Pflegerinnen nicht. Ich wurde herzlich aufgenommen. Irgendwann war es normal, dass ich mit am Tisch sitze, wir zusammen fernsehen. Erst saß ich hinten, irgendwann direkt neben Frau Sonnenschein auf ihrer Lehne, meine Füße auf ihrem Rollator. Und nachts hat Frau Kirschner, meine 88-jährige Zimmergenossin, sogar manchmal geguckt, ob es mir gut geht und ich gut schlafe."

Was war das schönste Erlebnis während Ihrer Zeit in der WG?

Donya Farahani:

Es gibt sehr viele Momente. Ich werde nicht vergessen, wie Frau Sonnenschein aus dem Nichts gefragt hat, ob Gott einen Penis hat. Oder wie wir zusammen im Radio „Domian“ gehört haben - mitten in der Nacht. Es gab Gespräche über ihren Liebhaber, über den Tod. Schön, traurig, oft irgendwo dazwischen. Es war einfach eine sehr intensive Zeit.

Was das am wenigsten schöne?

Donya Farahani:

Mir tat meine Zimmergenossin Frau Kirschner leid. Sie stand noch am Anfang ihrer Demenz. Sie hat gemerkt, irgendwas stimmt nicht, aber sie konnte es nicht greifen. Sie hat versucht, sich Notizen zu machen, um sich besser zu erinnern. Und sie hat oft erzählt, dass sie denkt, ihre Verwandten wollen sie abzocken, also sie um ihre Rente betrügen. Auch, dass andere Bewohner sie bestehlen würden - was alles nicht stimmte. Das sind typische Anzeichen von Demenz. Da brauchen Angehörige viel Geduld.

Und dann war da noch Lilly, eine Bewohnerin mit fortgeschrittener Demenz. Es war krass, aus dieser Nähe zu sehen, dass sie nicht mehr eigenständig essen kann, nicht mehr in der Lage ist zu kommunizieren. Es war auch kaum noch zu erkennen, was sie von ihrem Umfeld überhaupt mitbekommt. Ihre Tochter hat sie oft besucht, war fest davon überzeugt, dass ihre Mutter sie erkennt. Ob ihre Mutter das wirklich getan hat, war objektiv betrachtet nicht erkennbar.

Auch Frau Sonnenschein konnte sich schon ein paar Tage nach Ende des Drehs nicht mehr an mich erinnern. Und das, nachdem wir eine Woche lang jeden Tag praktisch rund um die Uhr zusammen waren. Frau Kirschner auch nicht (auch wenn sie so getan hat, als ob sie sich erinnert). Das fand ich schon hart, obwohl ich nicht mal eine Angehörige bin. Aber gut, ich kann mich ja an sie erinnern. Und ich habe viele schöne Erinnerungen.

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